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Mit diesem Spezial-Carbon könnte die Karosserie von Elektroautos zur Batterie werden

von Martin Pieck
Schwedische Forscher haben ein neues Material entdeckt, das Elektroautos revolutionieren könnte. Das Carbon soll steif genug sein, um damit eine stabile Karosserie für Fahrzeuge zu bauen – und gleichzeitig Energie speichern können. Zusätzliche Batterien wären unnötig. Bevor die Wunder-Kohlefasern zum Einsatz kommen, müssen aber noch einige Probleme gelöst werden.

Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Das dachten sich vielleicht auch Leif Asp und sein Team an der schwedischen Chalmers Universität, als sie schließlich die Idee hatten, wie sie das Elektroauto revolutionieren könnten. Zwar wird dafür noch einiges an Forschung notwendig sein. Doch die Ergebnisse, die Asp bislang liefert, sind vielversprechend. Der Wald, der vorher niemandem auffiel, besteht übrigens nicht aus Holz, sondern aus Carbon, also Kohlenstoff.

Carbonfasern haben eine Reihe von Eigenschaften, die sie in verschiedenen Bereichen zur Wunder-Zutat machen. Im Fahrradbau etwa nutzt man den Werkstoff, um extrem leichte, aber steife Rahmen zu erstellen. Auch bei Autokarosserien kommen Kohlefasern schon zum Einsatz. Für Leif Asp ist eine andere, zusätzliche Fähigkeit entscheidend: Schon vor Jahrzehnten experimentierte die amerikanische Navy mit Carbon-Lithium-Ionen-Batterien. Die schafften zwar nie den Durchbruch im Massenmarkt. Doch dadurch wurde klar, dass gewisse Kohlenstofftypen eigenständig Energie speichern können.

Das Elektroauto selbst wird zur Batterie

Die Forscher nahmen diese Fährte wieder auf: Es musste doch einen Weg geben, die verschiedenen positiven Eigenschaften des Kohlenstoffs sinnvoll zu kombinieren! Wie es aussieht, sind die Schweden auf dem richtigen Weg. Sie mussten sich das Carbon dafür aber genauer anschauen, sehr viel genauer. Der Schlüssel liegt nämlich in seiner Kernstruktur. Besteht ein Kohlenstofftyp aus winzigen, wild angeordneten Kristallen, hat dieser sehr nützliche elektrochemische Eigenschaften und kann Energie speichern. Der Haken: Er wird dann nicht richtig fest. Sind die Kristalle stattdessen groß und parallel zur Faser angeordnet, ist es mit den elektrochemischen Eigenschaften nicht weit her, dafür steigt die Steifigkeit der Faser. Das ist die Grundvoraussetzungen um Carbon als Hüllenmaterial im Fahrzeugbau einzusetzen.

Nachdem man diesen grundsätzlichen Unterschied zwischen den Carbon-Strukturen herausgefunden hatte, war der Rest reine Fleißarbeit: Die Wissenschaftler mussten einen Kohlenstoff-Typ finden, der irgendwo in der Mitte zwischen energiespeichernd und stabil war. Anscheinend hatten sie dabei Erfolg.

Für eine Studie untersuchten sie die Zwischensteifigkeitsfaser M60J. Die besitzt trotz einer hohen Steifigkeit zumindest moderate elektrochemische Eigenschaften. Damit wäre sie als Baumaterial für Fahrzeug- oder gar Flugzeughüllen geeignet und bringt trotzdem den entscheidenden, revolutionären Vorteil mit: Man könnte eine Außenhülle aus M60J laden. Die Karosserie des Fahrzeugs könnte künftig als strukturelle Batterie den bisher genutzten Batterie-Block ersetzen. Das würde die Elektroautos viel leichter machen, denn eine Hülle brauchen sie ohnehin. Nur hätte sie dann eine Doppelfunktion inne. Außerdem soll sich die Batterie-Karosserie schneller aufladen und langsamer entladen. Und: Die Kohlenstoff-Fasern, die in dünnen Kabeln verlegt werden sollen, könnten auch schon durch die Fahr-Vibrationen mechanische Energie aufnehmen und sie in elektrische umwandeln. Soweit zumindest die (optimistische) Theorie.

Marktreif ist die Technologie noch nicht

Wann und ob wir diese neue Art von Elektroautos auf der Straße erleben werden, ist derzeit noch unklar. Denn es gibt noch eine ganze Reihe von Unsicherheiten. Es blieben auch ein paar skeptische Fragen, die wir von WIRED den schwedischen Forschern gestellt hat, unbeantwortet. Zum Beispiel die, ob sich das ganze Verfahren ökologisch wirklich rechnen würde. Für das Super-Carbon spricht, dass man sich konventionelle Batterien sparen könnte und leichtere Elektroautos mit mehr Reichweite bekommen könnte. Dagegen spricht allerdings der enorme Energiebedarf für die Herstellung von reinen Kohlenstofffasern.

Wie man diesem Problem begegnet, erforschen gerade Asps Kollegen an der Königlichen Technischen Hochschule in Stockholm. Ihre Ergebnisse stehen aber noch aus. In der Zwischenzeit will Asp die neue Kohlenstofffaser weiterentwickeln. Die Idee dabei: Das Material soll nicht nur extrem leicht sein und als Energiespeicher fungieren, es könnte auch andere Funktionen übernehmen, etwa die der Parksensoren am Auto. Rechnet man alles zusammen, sollen so Gewichtseinsparungen von 50 Prozent möglich sein. Damit würde ein SUV wie der Mercedes GLE in Zukunft in etwa so viel wiegen, wie der winzige VW Lupo der Gegenwart.

Beispielrechnung mit dem BMW i3

Doch auch das ist noch Theorie. Um den derzeitigen Stand der Wissenschaft zu veranschaulichen zieht Leif Asp den BMW i3 heran, der schon jetzt zu Teilen aus Kohlefaserverbundwerkstoffen besteht. Die Forscher haben ausgerechnet, was die Ausstattung mit den neu entwickelten Kohlenstoff-Elementen für den Elektrowagen aus München bedeuten würde.

Das Gewicht würde sich von derzeit 1.300 auf 1.070 Kilogramm reduzieren. Allerdings würde sich die Reichweite ebenfalls verringern: Denn während die derzeit verwendete Standardbatterie über eine Speicherfähigkeit von 90 Amperestunden verfügt, würde die Karosserie-Batterie nur noch 38 Amperestunden schaffen. Ein voll aufgeladener i3 könnte also nicht mal mehr halb so weit fahren. Das Beispiel, das Asp selbst gewählt hat, ist noch keine allzu gute Werbung für seine Technologie. Aber er ist eben Wissenschaftler und kein Autoverkäufer.

An der Energie- und Leistungsdichte müssen die Forscher also noch arbeiten. Doch der Aufwand könnte sich lohnen, immerhin verspricht die neue Technik spannende Vorteile. Übrigens nicht nur für Autos, wie Asp gegenüber WIRED bestätigt: „Wir haben auch Analysen zu Laptops gemacht und es wurde klar, dass dort sogar größere Gewichtsreduktionen möglich sind.“ Neben diesem gesteigerten Komfort, profitierten Laptops außerdem von den deutlichen langsameren Entladezeiten, da die tragbaren Computer Energie nicht so schnell abgeben müssten wie beispielsweise Autos.

Rollende Brandgefahr oder Sicherheitsgewinn?

Im Auto würde die Technik ohnehin noch eine Frage aufwerfen, die sich beim Laptop gar nicht erst stellt: Was passiert im Falle eines Unfalls, wenn die Feuerwehr das geladene Fahrzeug aufschneiden muss? „Hierzu haben wir noch nicht viel geforscht“, gibt Asp zu. Allerdings habe es bereits Versuche gegeben, bei denen man einen Nagel in das Material getrieben habe. Dabei sei lediglich ein leichter Temperaturanstieg festgestellt worden. „Außerdem beinhalten die Materialien Feststoff-Polymer-Elektrolyte anstatt der flüchtigen flüssigen Elektrolyte traditioneller Lithium-Ionen-Batterien.“ Außerdem sei die Zell-Energie-Dichte geringer als bei herkömmlichen Batterien. Daher erwartet man in Schweden, dass die strukturelle Batterie sogar sicherer wäre als die derzeit genutzte Lithium-Ionen-Akkus – auch weil zusätzlich weniger Gefahr von entstehenden Gasen ausgeht.

Derzeit werden viele neue Konzepte für Energiespeicher erforscht. Welche Technik sich durchsetzen wird, zeichnet sich noch nicht ab. Die strukturelle Batterie aus Schweden hat jedenfalls Potenzial. Volvo und seit letztem Jahr auch Airbus sind dabei schon mit an Bord. Der Flugzeughersteller erwartet Ende 2019 die ersten Demo-Hüllen mit funktioneller Batteriestruktur. Und sollten als Nebeneffekt auch noch Laptops und Smartphones dabei herumkommen, deren Akkus länger halten: Dafür gibt es auf jeden Fall einen Markt.

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