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Ein Berliner Start-up liefert E-Auto-Strom per Fahrrad – und irgendwann vielleicht mit Robotern

von Michael Förtsch
Wer bei einem Benzin- und Dieselwagen den Tank leer fährt, der kann auch abseits der Tankstelle nachtanken – einfach mit einem Kanister. Bei einem E-Auto ist das bisher nicht so leicht. Ein kleines Start-up aus Berlin will das ändern.

Das Netz von Elektroladesäulen in Deutschland wächst, aber leider nur langsam. Fahrer von Elektroautos müssen daher bei längeren Touren immer noch hoffen und bangen, dass sie an der kommenden Raststätte oder in der nächstbesten Stadt eine freie Säule finden. Denn auch wenn sich mit Diensten wie OpenChargeMap deren Standorte vergleichsweise simpel nachschauen lassen, heißt das noch nicht, dass man sofort eine freie Säule findet – die dann auch noch funktioniert. Selbst in einer Großstadt wie Berlin ist es daher leicht, mit einem leeren Akku liegen zu bleiben oder letztlich an einer Säule zu landen, die mehrere Querstraßen von der eigenen Wohnung entfernt liegt.

Genau hier will ein Start-up aus Berlin in eine Marktlücke stoßen. Das im Herbst 2017 gegründete Chargery bietet nämlich eine Art Notlade- und Stromkurier-Dienst für Elektroautofahrer an. Und der kommt mit dem Elektrofahrrad, das einen Anhänger mit einer großen Kiste hinter sich herzieht. In der steckt ein Verbund aus Batteriepaketen, der mit einem Ladekabel an den Wagen angeschlossen wird. Nach 30 Minuten sollen die meisten Fahrzeuge wieder genug Saft für über 150 Kilometer haben – nach vier Stunden sei der Akku gänzlich gefüllt. „Wir haben von einem Benzinlieferdienst in Großbritannien gelesen“, sagt uns Christian Lang, der Chargery gemeinsam mit Paul Stuke gegründet hat. „Die Idee, Energie zum Auto zu liefern erschien uns grundsätzlich sinnvoll – allerdings nicht für Benzin.“

Bestärkt wurde Lang in seiner Meinung, als er selbst einige Tage ein Elektroauto fuhr und morgens fast 15 Minuten gehen musste, um seinen Wagen zu erreichen. Derzeit arbeitet Chargery schon mit DriveNow, dessen kleine BMW i3 immer öfter in der Hauptstadt zu sehen sind. Aber in den kommenden Monaten sollen noch einige weitere Unternehmen und Automobilhersteller dazu kommen. Wer ganz privat liegen bleibt oder eine Akku-Füllung braucht, der soll im kommenden Jahr beim Chargery-Büro in Berlin-Mitte einen Service- oder Stromnotruf absetzen können.

Tatsächlich existieren für die rund 2.000 Elektrofahrzeuge in Berlin, wie eine aktuelle Erhebung zeigt, gerade einmal 743 öffentlich zugängliche Ladesäulen. In München, das den Ausbau in Zusammenarbeit mit den Stadtwerken SWM und Autobauer BMW vorantreibt, sieht es im Vergleich derzeit sogar noch prekärer aus. Hier gibt es bereits über 6.000 Elektroautos. Denen standen im Juni gerade einmal 392 Ladestationen gegenüber. Bis Ende des Jahres sollen es immerhin 550 werden – 1.500 weitere seien angedacht. Am dichtesten ist das Netz momentan in Hamburg, das über 785 Ladepunkte zählt.

Mehr als nur eine Übergangslösung?

Derzeit hat das Stromliefer-Start-up sieben Räder mit strampelnden Kurieren im Einsatz. Damit gelingt es schon zwischen 25 bis 30 Autos pro Tag zu versorgen. Das Geschäft soll gut laufen. Daher wird gerade die Expansion geplant. „Ab Beginn des kommenden Jahres werden wir auch in andere deutsche und europäische Städte kommen“, sagt Christian Lang. Denn schließlich klagen Elektroautofahrer und E-Fahrzeugverleiher nicht nur in Berlin über eine spärliche Ladeinfrastruktur. Aber auch wenn die über die kommenden Jahre besser wird, würde Chargery nicht arbeitslos werden.

„Die Elektrofahrzeuge werden in den kommenden Jahren deutlich stärker anwachsen als die Ladesäulen – insbesondere im urbanen Bereich“, sagt Lang. Daher könnte das Finde-eine-freie-Ladesäule-Problem wohl länger bestehen als viele glauben. Das legen auch Zahlen des Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft nahe: Deutschlandweit gäbe es mittlerweile rund 13.500 öffentlich zugängliche Ladestation. Das wären schon einmal 25 Prozent mehr als im Vorjahr. Allerdings wurden alleine im ersten Halbjahr 2018 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fast 70 Prozent mehr Elektrofahrzeuge zugelassen – nämlich rund 17.000 zu den bereits 53.861, die Anfang 2018 angemeldet waren.

Doch nicht nur das würde Chargery ein langfristige Erfolgschance bescheren. Ebenso würde das Unternehmen einen Rund-um-Service anbieten – sowohl für Car-Sharing-Anbieter als auch Privatleute: Laden, Reifendruck-, Wasserstand prüfen, Reinigung und „darüber hinaus eine Vielzahl an weiteren Dienstleistungen“ – und das bestellbar zur Wunschzeit per App. „Wir sehen Chargery absolut nicht als Brückenlösung“, erklärt der Gründer daher. „Heute sind schon nahezu alle Aufträge reguläre Aufladungen, da unser Service für den Flottenbetreiber einige Vorteile aufweist.“

Ursprünglich hatten die Gründer des mittlerweile 15 Köpfe starken Unternehmens weitaus futuristischere Pläne im Kopf. Eigentlich wollten sie keine Pedalhelden mit einem Ladeanhänger losschicken, sondern Roboter, die die leeren Fahrzeuge ausfindig machen und sich mit einer Batterie anstöpseln. Wobei: „Natürlich hat diese Idee noch Zukunft“, sagt Lang. Denn es gibt durchaus Entwicklungen und Projekte, die diese Idee realistisch erscheinen lassen. Allerdings, so der Gründer, „ wird es noch etwas dauern bis ein autonomer Laderoboter über Straßen und Gehwege fährt.“

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