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Warum wir unsere Musikdateien bald aus der DNA abrufen können

von Anna Schughart
Normale Speichermedien reichen bald nicht mehr für all die Daten, die wir produzieren. Doch Wissenschaftler arbeiten schon an einem Nachfolger: dem DNA-Speicher.

„Nevermind von Nirvana ist ein perfektes Album“, sagt Yaniv Erlich von der Columbia University. Aber er kann die CD nicht mehr anhören. Nicht weil, ihm Smells Like Teen Spirit zu den Ohren raushängt, sondern weil die CD nicht mehr richtig funktioniert. Das Problem kennt nicht nur Erlich: Viele Daten könnten in einigen Jahren verloren gehen, abgespeichert auf Medien, die kaputt gegangen, unlesbar geworden sind oder für die es keine Abspielgeräte mehr gibt.

Gleichzeitig produzieren wir immer mehr Daten – die bald nirgendwo mehr Platz finden. „Die Nachfrage nach Datenspeichern wächst exponentiell“, sagt Karin Strauss von Microsoft Research. „Aber die Kapazitäten von vorhandenen Speichermedien halten da nicht mit.“ Die magnetischen und optischen Datenspeicher, denen wir heute zum großen Teil noch unsere Informationen anvertrauen, werden an ihre Grenzen kommen. Die Innovationskraft bei der Entwicklung nimmt ab, es wird immer schwerer, diese Medien besser zu machen. „Wenn wir die Daten der Welt erhalten wollen, müssen wir entscheidende Fortschritte in Speicherdichte und Haltbarkeit anstreben“, sagt Strauss. Wie das möglich sein soll? Mit der Hilfe von DNA. Sie hat als Speichermedium so einige Vorteile. Ein paar davon sind nicht ganz offensichtlich, aber dazu später mehr.

Die offensichtlichen Vorzüge sind: DNA ist sehr gut haltbar, mit einer „Halbwertszeit von mehr als 500 Jahren“, wie Strauss sagt. Unter den richtigen Umständen können Wissenschaftler die DNA von Menschen, die vor Tausenden Jahren gestorben sind, isolieren und lesen. Außerdem begleitet die DNA den Menschen schon seit seiner Entstehung. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschheit vergisst, was DNA ist, ist eher gering – für einen Videorekorder stehen die Chancen jedenfalls schlechter. DNA ist zudem von Natur aus darauf ausgelegt, vervielfältigt zu werden, was auch keine schlechte Eigenschaft für ein Speichermedium ist. Vor allem aber ist DNA sehr, sehr klein und gleichzeitig in der Lage, Unmengen an Daten zu speichern.

Digitale Daten, ein Film oder ein Skype-Call, sind nichts anderes als eine lange Abfolge von Einsen und Nullen. DNA hat vier verschiedenen Basen: A, G, T und C. Man muss also nur die Informationen, die man in der DNA aufbewahren will, in AGTC übersetzen und dann nach dieser Vorlage DNA synthetisieren. Wenn man auf die gespeicherten Informationen wieder zurückgreifen will, liest man die DNA und verwandelt das Ganze wieder in Einsen und Nullen.

Doch die Herausforderungen stecken natürlich im Detail. Die DNA-Synthese ist beispielsweise kein einfacher Prozess, Fehler können sich einschleichen, manche Abschnitte sind vielleicht nicht mehr lesbar. „Man verliert einen Teil der Daten“, sagt Erlich. „Das ist Biologie, das ist messy.“ Erlich und sein Team haben deshalb eine Methode entwickelt, mit der einzelne Fehler nicht mehr so ins Gewicht fallen.

„DNA-Fountain“ heißt sie und arbeitet so: Statt beispielsweise einen Film eins zu eins auf der DNA zu repräsentieren, codiert Erlich „Hinweise“. So ist es möglich, die ganze Information noch zu rekonstruieren, auch wenn einzelne Teile fehlen. „Stellen Sie sich das wie ein leichtes Kinder-Sudoku vor: Selbst wenn es ein paar Lücken hat, wissen Sie, welche Zahlen dort stehen müssten“, sagt Erlich.

Strauss erforscht derweil unter anderem, wie man mit der Hilfe von Molekülen und Enzymen „random acces“ möglich machen kann. Denn ohne direkten Zugriff müsste man immer alle DNA-Daten auslesen, auch wenn man vielleicht nur ein paar Bytes braucht. „Mit random acces können wir eine viel kleinere Teilmenge zum Lesen aussuchen. Das macht den Leseprozess schneller und billiger“, sagt Strauss. Einfach ist das nicht: „Bei der Manipulation von DNA arbeiten wir auf molekularer Ebene, was grundsätzlich schwierig ist, weil wir einzelne Moleküle nicht leicht sehen oder manipulieren können.“

Einer der wichtigsten Gründe, warum wir unsere Daten aber nicht längst schon auf DNA-Molekülen abspeichern, ist: Die DNA-Synthese ist einfach noch zu teuer. „Um bei unserem Experiment ein Megabyte zu synthetisieren, haben wir 3500 Dollar bezahlt“, erzählt Erlich. Doch Strauss und Erlich sind beide davon überzeugt: Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die DNA-Synthese billiger wird. Bei der DNA-Sequenzierung war es schließlich genauso. Vor ein paar Jahren war es noch sündhaft teuer, DNA entschlüsseln zu lassen, heute kann jeder sein Genom für einige Dollar bei privaten Firmen analysieren lassen.

Wenn man sie fragt, wann DNA-Speicher Alltag werden, sagt Strauss deshalb: „Diese Forschung steht noch am Anfang, aber wir sind begeistert von den Möglichkeiten. Als wir 2015 angefangen haben, haben wir mit 150Kb gearbeitet, vergangenes Jahr mit 200Mb. Diese 1000fache Verbesserung in einem einzigen Jahr ist sehr ermutigend.“

„Jede Organisation, die langlebige Archive für große Mengen Daten braucht, würde von einer DNA-Speicheroption profitieren“, sagt Strauss. Die Technologie könnte Einfluss auf viele Industriezweige haben. Von der Sicherheitsindustrie, die vielleicht große Mengen Videomaterial speichern möchte, bis zum Gesundheitssektor, wo viele Daten über einen langen Zeitraum aufbewahrt werden müssen: also in Krankenhäuser, Forschungsinstitute und Polizeistationen zum Beispiel. „Konsumenten könnten einen Cloud-Service, der auf DNA basiert, nutzen, um all ihre Daten, inklusive Bilder und Videos speichern zu können“, sagt Strauss.

Die Menschen würden diese Speicher nutzen, ohne sich über DNA Gedanken zu machen, sagt Erlich. Er glaubt aber, dass man mit DNA-Speichern – wenn man seiner Fantasie freien Lauf lässt – noch viel verrücktere Dinge anstellen kann. Anstatt die Baupläne eines Gebäudes in einem Archiv aufzubewahren, könnte man es zum Beispiel in einer Farbe streichen, die DNA-Moleküle enthalte, die dann die Blaupause für das Gebäude codieren. „Jedes Objekt kann zu einem Speicher werden,“ sagt Erlich. Sogar lebende Organismen, wie Wissenschaftler aus den USA vor Kurzem gezeigt haben.

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