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Digitaler Drogenkrieg auf den Philippinen: Wie Duterte Facebook als Waffe nutzt

von Julia Jaroschewski, Sonja Peteranderl
Mehr als 12.000 Tote in zwei Jahren: Auf den Philippinen führt Präsident Duterte einen brutalen Drogenkrieg. Auch in sozialen Netzwerken hetzen Duterte und seine Anhänger gegen suchtkranke Menschen und Dealer. Für Facebook sind die Philippinen ein Experiment, das außer Kontrolle geraten ist.

Es ist ein Bild, das jeden Filipino wütend macht: Ein Mädchen liegt in einem Shirt und einer heruntergezogenen Shorts im Gras – eine Neunjährige, die vergewaltigt und getötet wurde. Der Täter: angeblich ein Drogensüchtiger aus den Philippinen. In dem südostasiatischen Inselstaat löst das Foto eine Empörungswelle gegen Drogenabhängige aus. Es wird tausende Male geteilt, auch von Peter Tiu Laviña, dem damaligen Sprecher von Präsident Duterte: „Unser gerechtfertigter Kampf gegen Drogen und Kriminalität ist unerbittlich, weil wir uns dem Teufel selbst entgegenstellen“, schreibt Laviña zu dem Foto. Doch das Bild des ermordeten Mädchens, das auf den Philippinen zur Propaganda gegen Süchtige missbraucht wird, kommt aus Brasilien – und selbst dort war der Mörder kein Drogensüchtiger, sondern ihr Großvater.

Auf den Philippinen wird online und offline gegen Drogensüchtige gehetzt. Vor zwei Jahren hat Präsident Rodrigo Duterte den Krieg gegen die Drogen ausgerufen. Der Hardliner wurde 2016 gewählt, weil er versprochen hatte, die Drogen auszurotten, das Land von Süchtigen, Dealern, Korruption und Kriminalität zu säubern. Die Fische würden fett werden von all den Leichen in der Bucht von Manila, kündigte er an. Es gebe drei Millionen Drogenabhängige auf den Philippinen, so Duterte: „Ich wäre glücklich, sie alle abzuschlachten.“ Polizei und Killerkommandos haben in den letzten zwei Jahren mindestens 12.000 Menschen getötet. Wer verdächtigt wird, Drogen zu nehmen oder zu dealen, wird verhaftet oder erschossen. Vermummte Killerkommandos dringen in Häuser in Armenvierteln ein und exekutieren reihenweise Jugendliche und Männer. Leichen werden mit Warnschildern auf den Straßen liegen gelassen oder in der Bucht von Manila versenkt. Die Hetzjagd gegen mutmaßliche Süchtige und Dealer findet auch in sozialen Netzwerken wie Facebook statt – mit Propaganda und Falschnachrichten.

Mit Fake News und falschen Fotos wird auf Facebook gehetzt

„Die, die Empörung und Wut auf mutmaßliche Drogennutzer und Dealer schüren wollen, instrumentalisieren Fotos von Verbrechen, die von anderen begangen wurden“, sagt eine philippinische Journalistin zu WIRED, die ihren Namen nicht veröffentlicht sehen will, weil sie fürchtet, ins Visier der Regierung zu geraten. „Facebook wird auch von Regierungsmitgliedern oder -mitarbeitern genutzt, um nicht verifiziertes Material wie Berichte oder Bildmaterial zu verbreiten, die suggerieren, dass der Krieg gegen die Drogen international unterstützt wird und dass das Drogenproblem in den Philippinen zu einer Epidemie geworden ist, die man bekämpfen muss.“ Die meisten Filipinos würden ohnehin nur die Headlines lesen, so die Journalistin. „Sie erfassen weder den Kontext noch die grundlegenden Details einer Story und werden leicht von Fake News hinters Licht geführt.“ Duterte-Anhänger würden zudem nur positive Nachrichten über ihren Präsidenten glauben, egal ob sie wahr seien oder nicht.

Eine digitale Armee von Duterte-Unterstützern, Trollen und Fake-Profilen lässt Propaganda auf Facebook viral gehen, ruft zu Mord und Gewalt an Süchtigen auf oder greift Kritiker von Präsident Duterte oder seinem kontroversen Krieg gegen die Drogen an – mit drastischen Folgen. Auch Kritiker wie die Rechtsanwältin und Abgeordnete Leila de Lima, die sich gegen den blutigen Drogenkrieg positionieren, werden mit Schmutzkampagnen mundtot gemacht. Im vergangenen Jahr verbreitete Präsident Duterte ein Fake-Sex-Video der Juristin und Senatorin de Lima, die gerade zu Exekutionen im Drogenkrieg ermittelte. Der Diffamierungsfeldzug, darunter Hashtagkampagnen wie #ArrestLeiladeLima, und Vorwürfe wegen Drogenhandels schufen das Klima für ihre Verhaftung. De Lima sitzt seit mehr als eineinhalb Jahren im Gefängnis, die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisiert ihre „politisch motivierte Verhaftung“ und hält die Zeugen für den Vorwurf des Drogenhandels für fragwürdig.

Facebooks Expansion geriet außer Kontrolle

In den Philippinen hat sich schon vor den US-Wahlen gezeigt, wie populistische Machthaber Gesellschaften mit Falschinformationen spalten – auch mit Hilfe von Facebook. Für den Konzern sind die Philippinen zu einem Expansions-Experiment geworden, das außer Kontrolle geraten ist. Der Inselstaat sollte zum Paradebeispiel dafür werden, wie Facebook einem rückständigen Land mit schlechter Internet-Infrastruktur zum Anschluss an die digitale Weltgemeinschaft verhilft – und den globalen Eroberungsfeldzug von Facebook mit neuen Marktanteilen in Asien schmücken. Doch stattdessen ist Facebook heute auch zur Waffe eines autoritären Machthabers geworden, der mit seinen polternden, Trump-ähnlichen Kampagnen die öffentliche Meinung steuert und kontrolliert. Seine Unterstützer lassen Hass, Hetze und Kampagnen viral gehen – und verschärfen so den öffentlichen Diskurs.

Drogennutzer werden online immer wieder attackiert, als Kriminelle verurteilt, von denen die Bevölkerung befreit werden muss. „Ich beobachte, dass Duterte Drogennutzer auf Facebook diskriminiert“, sagt Ethan zu WIRED. „Nicht alle Drogennutzer sind kriminell, aber ihnen werden alle Verbrechen angelastet.“ Er ist selbst drogensüchtig, hat mit Shabu, also Crystal Meth, angefangen, spritzt sich regelmäßig Shake, eine Mischung aus Crystal Meth und dem Beruhigungsmittel Nubain. Kriminell ist er trotzdem nicht. Er würde gerne aufhören mit den Drogen, aber so einfach sei das nicht. „Es ist ein Gesundheitsproblem und wir brauchen Hilfe“, sagt Ethan. Das einzige, was die Regierung unternehme, sei Süchtige zu verhaften – oder zu töten. Auf der Straße hat er Angst, dass er in eine Polizeikontrolle gerät. Er ist vorsichtig geworden, auch Facebook nutzt er eher selten. Drogennutzer werden auch online in den Untergrund gedrängt. Und kaum jemand wagt es, sich der Propaganda offen entgegenzustellen. „Nutzer haben Angst zu kommentieren, selbst wenn sie eine andere Meinung zu einem Thema oder Facebook-Post haben oder nicht mit dem übereinstimmen, was Duterte sagt – sie fürchten, dass ihre persönlichen Informationen auf Facebook sonst für Attacken genutzt werden könnten.“

Die digitale Hetze entfaltet auch deswegen solch eine Wucht, weil Facebook eine der wichtigsten Plattformen im Land ist. Für viele Filipinos ist Facebook ein Synonym für das Internet. 67 Millionen Menschen sind in dem 106-Millionen-Land online, die meisten per Mobiltelefon – und fast jeder von ihnen hat ein Facebook-Profil. Dem Global Web Index zufolge verbringen Filipinos weltweit am meisten Zeit in sozialen Netzwerken, vor allem auf Facebook: fast vier Stunden pro Tag.

Facebook-Mitarbeiter schulten das Duterte-Team

Facebook hat den Social Media-Boom vorangetrieben. Gerade einmal 30 Millionen Filipinos, weniger als ein Drittel der Bevölkerung, waren 2013 online, als Facebook in Kooperation mit lokalen Telekommunikationsunternehmen eine kostenlose Variante des sozialen Netzwerks einführte. Ohne für das Datenvolumen zu zahlen, konnten die Handynutzer damit bei Facebook surfen. 2015 wurde dann Facebooks Internet.org-Initiative auf den Philippinen gelauncht – eine App mit unbegrenztem Gratis-Zugang zu ausgewählten Webseiten, darunter natürlich: Facebook. Im philippinischen Wahlkampf 2016 zeigten Facebook-Mitarbeiter den Teams aller Kandidaten, wie man die Plattform für politische Kampagnen nutzt – auch dem Team von Duterte.

Ein toxisches Match: Das digitale Know-How des Wahlkampfteams und das populistische Auftreten des Politikers verwandelten ihn in kurzer Zeit in einen Social Media-Star, obwohl Duterte selbst mit sozialen Netzwerken nicht viel anfangen kann. Der heute 73-jährige Präsident ist der Meister der strategischen Provokation: Er tritt wie ein polternder, alter Mann auf, dem die Meinung der Welt egal scheint. Er setzt darauf, dass ihn niemand stoppt. Seine Reden sind gut kalkulierte Attacken, die auch online massenhaft für Klicks und Kommentare sorgen.

Dabei scheut er auch keine ungewöhnliche Allianzen: Erfolgreiche Social Media-Influencer wie die 34-jährige Mocha Uson, die Duterte im Wahlkampf unterstützte, hat der Präsident ins Kommunikationsteam der Regierung geholt. Uson hat früher über Sex gebloggt und ist als Model, Tänzerin und Sängerin bekannt geworden. Jetzt verwandelt ihre leichtbekleidete Girl-Band „Mocha Girls” junge Filipinos in Duterte-Fans. Sie wurde angeblich zur Duterte-Unterstützerin, weil ihr Vater, ein Richter, ermordet wurde. Ihrer Facebookseite „Mocha Uson Blog” folgen mehr als 5,7 Millionen Menschen. Ihr letztes Instagram-Selfie mit Duterte bekam schnell fast 2500 Likes. In den sozialen Netzwerken hetzt Mocha Uson gegen die politische Opposition, postet positive Nachrichten zu Duterte und verbreitet Falschnachrichten. Kritiker haben sie deswegen die „Queen of Fake News“ getauft. Für die Regierung soll Mocha Uson Dutertes Botschaften in der Bevölkerung und in den Medien vermitteln – die Uson selbst oft als „Presstitutes“, „Pressehuren“, beschimpft, die nur Gerüchte verbreiten würden.

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Facebook hat auf die WIRED-Anfrage nicht reagiert

Die Nachrichtenseite Rappler hat ein Pro-Duterte-Netzwerk aus mehr als 400 miteinander verknüpften Facebook-Gruppen und -seiten identifiziert, die Propaganda verbreiten. Rappler selbst wird regelmäßig von der Regierung angegriffen, weil die Redaktion es wagt, den Präsidenten zu kritisieren und den Drogenkrieg in Frage zu stellen. Dem Medium wurde Anfang des Jahres die Lizenz entzogen. Auch Steuerhinterziehung warfen die Behörden Rappler vor. Mit Gerüchten will das Duterte-Lager das Medium vernichten, das seine digitale Propagandamaschine entlarven will. „Die einzige Verteidigung, die wir haben, ist, sichtbar zu machen, was los ist“, sagte Maria Ressa, Journalistin und CEO von Rappler, kürzlich bei einem Vortrag in Berlin. Wenn Menschen nicht mehr wüssten, was richtig und was falsch sei, wenn Fakten nicht mehr zählten, dann profitiere der, der am lautesten ins Mikrofon brülle. Ressa hat in den letzten Jahren immer wieder angeprangert, was auf den Philippinen passiert – doch Facebook hat erst reagiert, als die digitale Polit-Propaganda auch in anderen Ländern wie den USA zum Problem wurde.

Auf eine Anfrage von WIRED zur zukünftigen Strategie für die Philippinen hat Facebook bisher keine Stellung genommen. Im Frühling 2018 hat Facebook eine Fact-Checking-Initiative mit den lokalen Medienpartnern Rappler und Vera Files gelauncht und mehr als 20 Seiten gesperrt, die Pro-Duterte-Falschnachrichten weiterverbreitet hatten. Der Sprecher von Duterte, Harry Roque, empfahl daraufhin den Duterte-Anhängern auf die russische Plattform VKontakte umzuziehen – einem „free market place of ideas“.

Die Recherche auf den Philippinen wurde vom European Journalism Centre (EJC) mitfinanziert.

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