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Dieser 3D-Körperscanner zeigt euch die nackte Wahrheit

von Lauren Goode (Wired US)
Die Selbstoptimierung mithilfe neuer Technologien erreicht ein neues Level. Inzwischen kann man mit 3D-Körperscannern, die aussehen wie ein Spiegel, den eigenen Körper vermessen. Muskeln lassen sich von Fett unterscheiden. Das soll motivieren. Unsere amerikanische WIRED-Kollegin Lauren Goode hat den Scanner ausprobiert und sich über Chancen und Risiken Gedanken gemacht.

Ich habe ziemlich reichhaltig gefrühstückt. Also macht es nichts, wenn die Scans nicht allzu gut ausfallen, denke ich mir. Zumal ich die Hochzeit eines Freundes hinter mir habe, also ein langes, ungesundes Wochenende. Ausgerüstet mit diesen ziemlich klassischen Ausreden gehe ich die Treppe im Assembly hinauf, einem schicken Frauenclub in San Francisco. Es sieht aus als wäre hier früher einmal eine Kirche drin gewesen. Hier soll gleich meine Körperform und mein Körperfettanteil gemessen werden – von einer Firma, die sich Naked nennt, nackt.

Naked Labs stellt einen lebensgroßen Spiegel mit 3D-Kameras her, die ein 360-Grad-Bild des Körpers aufnehmen. Auch eine Waage gehört dazu, die der Mitbegründer und CEO des Unternehmens, Farhad Farahbakhshian, als Drehscheibe bezeichnet (mehr dazu später). Farahbakhshian, ein ehemaliger Elektroingenieur und zertifizierter Spinning-Instruktor, hat den Naked 3D Fitness Tracker vor zwei Jahren erstmals der Welt vorgestellt und per Crowdfunding über die Website des Unternehmens finanziert. Ursprünglich war der Start für März 2017 geplant. Diese Frist hat Naked Labs allerdings um viele Monate verpasst.

Mehrere Produktversionen und über 14 Millionen Dollar später, wird der Naked 3D Fitness Tracker jetzt ausgeliefert. Das Start-up hat bei einer späteren Finanzierungsrunde auch Geld vom Founders Fund bekommen, der Firma von Peter Thiel. „Das Produkt brauchte viel mehr Kapital, Arbeitskraft und Zeit, als wir erwartet hatten", erzählte Farahbakhshian mir schon am Telefon. Dafür seien aber auch bessere RealSense-Kameras von Intel eingebaut worden, auf die man noch warten musste.

Für fast 1.400 Dollar könnt ihr den Bodyscanner bestellen

Der Scanner kostet jetzt 1.395 Dollar, was deutlich mehr ist als die ursprünglich geplanten 499 Dollar. Aber Naked Labs setzt darauf, dass (a) Fitness-Freaks, (b) Menschen, die nach Motivation zum Abnehmen suchen, und (c) Kunden, die nicht durch tägliche 3D-Scans von sich selbst verunsichert werden, diesen Preis bezahlen werden. Die Zielgruppe habe sich verändert, sagte Farahbakhshian, von „Menschen mit einem Sixpack, die ein 8er-Pack bekommen wollen, zu Menschen, die einfach nur fit werden wollen... Sicher, es gibt Kraftsportler, die diesen einen Prozent zusätzlich aus sich herausholen wollen, aber wir richten uns auch an die Leute, die ihr ganzes Leben das Gefühl hatten, an ihrem Körper überhaupt nichts ändern zu können.“

Farahbakhshian und Sam Winter, die Forschungsleiterin von Naked Labs, warten auf mich, als ich den Raum betrete. Sam Winter leitet die Vorführung. Sie ist Neurowissenschaftlerin und Teilzeit-Triathletin. Sie und Farahbakhshian sagten mir schon vorher, dass der Scan besser funktionieren würde, wenn ich mich bis auf meine Unterwäsche ausziehe. Ich bleibe aber bei einer Stretch-Hose und einem langärmligen Hemd.

Der Spiegel ist schön konstruiert – ein Satz, von dem ich nie erwartet hätte, dass ich ihn einmal über einen Spiegel sagen würde. Aber ich fühle mich verpflichtet, ihn zu schreiben. Schließlich kostet der Spiegel 1.395 Dollar. Er wiegt 13,6 Kilogramm und hat inklusive Rahmen eine Höhe von 158 Zentimetern und eine Breite von 30 Zentimetern. Die Rückwand ist aus Kunststoff, die Seitenwände sind aus pulverbeschichtetem, stranggepresstem Aluminium. Drei RealSense410-Kameras von Intel befinden sich auf der linken Seite des Rahmens, zusammen mit einem Laserpointer – ja, ein Laserpointer, in einem Spiegel – und einer runden Kontrollleuchte.

Ohne Vorwarnung fängt die Drehscheibe an, mich zu drehen

Winter schaltet den 3D-Fitness-Scanner ein und der Laserpointer leuchtet auf den Holzboden. Sie zieht die Waage unter dem Spiegel heraus und richtet deren Mitte auf den roten Punkt des Lasers aus. Die Waage, die über USB-C aufgeladen wird, ist eine Kunststoffscheibe mit einer Glasplatte. Als ich mich etwa schulterbreit daraufstelle, wackelt sie leicht. Das Start-up sagt, dass sie auch auf Teppichböden funktionieren soll.

Ich versuche genauso zu stehen, wie es mir die App von Naked Labs empfohlen hat: gerader Rücken, die Arme leicht von meinen Seiten gestreckt, die Hände zu Fäusten geballt. Meine Haare sind hochgesteckt. Farahbakhshian und Winter sagten, das wäre eine gute Idee, um die Nacken- und Trapezmuskeln beim Körperscan mit aufzunehmen. Und dann verstehe ich plötzlich, warum Farahbakhshian die Waage als „Drehscheibe“ bezeichnet hat: Ohne Vorwarnung fängt sie an, mich herumzudrehen, wie am Jahrmarkt. Ich lache, was mein Gesicht beim ersten Scan verwischt. Beim dritten Versuch habe ich dann aufgehört, mich zu bewegen und zu lachen. Fast jedenfalls.

Gescannt zu werden und die Ergebnisse zu sehen, sind zwei völlig unterschiedliche Erfahrungen. Der Scan selbst dauert nur 15 Sekunden. Danach dauert es allerdings einige Minuten, bis aus den zwei Gigabyte großen Aufnahmen eine 2-Megabyte-Datei wird. Die verarbeiteten Bilder werden dann vom Spiegel in die Cloud und von dort an die Naked Labs Smartphone-App übertragen.

Alle Scans erscheinen in der App in Graustufen, so dass man aussieht, als ob man aus flüssigem Metall wäre. Naked Labs verwendet auch eine „Glättungstechnik“ bei jedem Körperscan. Das klingt wie die politische korrekte Version von „gephotoshopt“. „Unser Ziel bei der Verwendung von Graustufen war es, jede Form von emotionaler Bindung an das Körpermodell zu entfernen und es so objektiv wie möglich zu machen“, sagt Farahbakhshian. Obwohl das Wesen auf dem Bildschirm wie der T-1000 aus Terminator aussieht, bin das zweifellos immer noch ich.

Die zusätzlichen Daten erscheinen neben der Darstellung der Figur. Ganz oben steht der Körperfettanteil, gefolgt vom Gewicht, der mageren Masse und der Fettmasse. Dann kann man über die verschiedenen Körperteile swipen und die Maße für Taille, Brust, Oberschenkel und Waden einsehen. Wenn man das jeden Tag aufruft, kann man sich auch Diagramme ansehen, die die Veränderungen im Laufe der Zeit veranschaulichen.

Interessant ist, dass Naked Labs den Körperfettanteil nicht mit Hilfe der bioelektrischen Impedanzanalyse berechnet, was viele Waagen oder andere Körperanalysegeräte tun. Es werden – ganz offensichtlich – auch keine hydrostatischen Tests verwendet, bei denen man sich im Wasser aufhalten müsste. Die Analyse funktioniert stattdessen völlig algorithmisch durch den Vergleich der Bilder mit einer Datenbank von Körperformen und DEXA-Scandaten. DEXA steht für Dual Energy X-Ray Absorptiometry. Dabei werden Knochendichte und Körperfett mithilfe von Röntgenstrahlen ermittelt.

Naked Labs hat keine medizinischen Ansprüche. Schade eigentlich.

Naked Labs verfolgt den gleichen Ansatz wie viele neue Produkte zur Vermessung des eigenen Ichs: Gib uns mehr Daten und wir geben dir wiederum die Informationen, die du brauchst, um dich zu verbessern. Für Naked Labs bedeutet das im Idealfall, dass die eigenen Kunden besser in Form kommen. Der Scanner ist schließlich ein Konsumprodukt, das heißt, das Unternehmen hat keinerlei medizinischen Ansprüche an das Gerät. Man hat auch keine Forschungspapiere veröffentlicht oder das Gerät von Experten begutachten lassen.

Dabei gäbe es durchaus noch weitere Anwendungen für solche 3D-Bodyscans. Eine nette Variante: Einzelhändler könnten die Technologie nutzen, um Kleidung zu verkaufen, die genau zur Körperform passt. Eine ernsthafte Möglichkeit: Selbst Krankheiten könnten sich mit den Scannern aufspüren lassen.

Geh 10.000 Schritte.... Was passiert, wenn es 9.000 oder 11.000 sind? Darüber erfahrt man ja nichts.

John Shepherd, Universität von Hawaii

„Wenn man alle Technologien betrachtet, mit denen man sich selbst vermessen kann, dann liefern eine Menge davon nur Informationen, bei denen man keine Ahnung hat, was man damit anfangen soll. Geh 10.000 Schritte.... Was passiert, wenn es 9.000 oder 11.000 sind? Darüber erfährt man ja nichts“, sagt John Shepherd, ein Epidemiologe an der Universität von Hawaii. Er beschäftigt sich seit 30 Jahren mit quantitativer Bildgebung. „Die Körperform dagegen ist so unterschiedlich, dass man daraus etwas über Risikofaktoren für Krankheiten lernen kann.“

Shepherd und sein Forschungsteam leiten seit 2015 eine von der NIH finanzierte Studie namens Shape Up. Die Studie basiert auf zwei Prämissen: Erstens, dass die Körperform ein wichtiger Biomarker für die allgemeine Gesundheit ist. Zweitens, dass eine genaue Überwachung der Körperform für die Menschen nützlicher sein könnte, als nur Zahlen auf einer Skala zu betrachten. Sie haben für ihre Forschung die Technologie von Naked Labs sowie 3D-Scanner von Fit3D, Styku, TC Squared und SciStream verwendet.

Die Shape-Up-Kontrollgruppe umfasst derzeit 1.500 Personen im Alter von 5 bis 85 Jahren, sowohl Männer als auch Frauen, wobei bei ihrer Zusammensetzung auf Diversität geachtet wurde. Das war in der Forschung bisher selten so: Sowohl Shepherd als auch das Team von Naked Labs weisen darauf hin, dass die meisten Vorhersagealgorithmen für Körperfett und Körpermuskel noch auf den Daten von weißen Männern beruhen.

Die ständige Selbstvermessung könnte zu seelischen Problemen führen

Aber nicht alle Forscher sind von den technischen Möglichkeiten so angetan wie John Shepherd. Denn auf dem Weg zur Selbstverbesserung und zur Optimierung der eigenen Gesundheit könnte es zu schwerwiegenden psychologischen Problemen kommen. Anfang des Jahres berichtete die Florida State University, dass einige Teilnehmer einer 3D-Bodyscanner-Studie nach dem Betrachten ihrer Scans niedergeschlagen und unzufrieden waren. Die Forscherin Jessica Ridgway meint, dies könnte mit der „Selbstdiskrepanztheorie“ zu erklären sein – wenn es eine Dissonanz zwischen unserem tatsächlichen und unserem idealen Selbst gibt. 3D-Scanner vergrößern diese Unstimmigkeit möglicherweise.

Sam Winter, die Neurowissenschaftlerin von Naked Labs, sagt, das ihr in der 25-Personen-Beta-Testgruppe des Unternehmens nur eine Person aufgefallen sei, die ihrer Meinung nach negative emotionale Reaktion auf ihre Körperscans hatte. Aber die überwältigende Mehrheit der Gruppe fand die Scans hilfreich, betont sie. John Shepherd von der Universität Hawaii sagt, sein Team habe bisher noch nicht mit anderen Forschern zusammengearbeitet, um den psychologischen Aspekt von Körperscans zu untersuchen. „Der Hauptgrund ist, dass wir gerade testen, ob die Anwendung überhaupt funktioniert, damit wir wissen, ob wir es Menschen grundsätzlich empfehlen können oder nicht.“

Zurück in der WIRED-Redaktion zeige ich drei Kollegen die Körperscans, die mir das Naked-Labs-Team per E-Mail geschickt hatte. Zwei Kollegen sind entsetzt – nicht wegen meiner Ergebnisse, zumindest hoffe ich das, sondern wegen des ganzen Konzepts, täglich den eigenen Körper zu scannen. Ein anderer Mitarbeiter ist allerdings fasziniert: „Als jemand, der viel zu viel Zeit damit verbringt, seinen Körper mit Maßtabellen zu vergleichen, finde ich das irgendwie cool“, schreibt er mir auf Slack. Aus irgendeinem Grund bekomme ich mein Graustufenabbild nicht aus dem Kopf.

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