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WIRED empfiehlt: Diese Science-Fiction-Romane retten euch über den Herbst

von Michael Förtsch
Die ersten kalten Regenschauer haben uns bereits erwischt und wirklich lang sind die Tage auch nicht mehr. Zeit also, um öfter zu einem guten Buch zu greifen. WIRED hat einige großartige Science-Fiction-Romane ausgewählt, die euch durch die kühle Jahreszeit bringen.

Der Sommer ist vorbei, der Herbst ist da. Das bedeutet lange Regenschauer, kühlen Wind und verspätetet S-Bahnen auf dem Weg zur Arbeit und nach Hause. Dazu werden die Nächte wieder länger und die Ausreden, warum die heutige Jogging-Runde ruhig mal ausfallen kann, häufiger. Das Positive daran? Es gibt so mal wieder genügend Gelegenheiten und Zeit, um zu einem Buch zu greifen – egal, ob nun auf Papier, dem E-Reader, dem Smartphone oder Tablet. Und da locken – schließlich sind wir hier bei WIRED Germany – vor allem viele spannende, ungewöhnliche und clevere Science-Fiction-Werke.

Alleine über die vergangenen Monate sind zahlreiche Romane von bekannten Autoren und vielversprechenden Jungschreibern erschienen, die sich wirklich lohnen und uns die Zukunft, die Implikationen des technologischen Fortschritts und die Wandlungen von Zivilisationen, Kulturen und des menschlichen Geistes ergründen lassen. Darunter ist Adrift von Rob Boffard, das perfekt als Science-Fiction-Neuinterpretation von Alfred Hitchcocks Das Rettungsboot beschrieben werden kann. Oder die finstere Gesellschaftsdystopie Vox von Christina Dalcher, die als Reflexion der Trump-Präsidentschaft und #metoo-Bewegung verstanden werden darf.

Aber auch einige Klassiker sind auf die ein oder andere Weise heute wieder hochaktuell. Zuvorderst Wir von Jewgeni Iwanowitsch Samjatin, das 2020 tatsächlich 100 Jahre alt werden wird. Weit vor den Edward-Snowden-Enthüllungen, der Erfindung von Gesichtserkennungssoftware und Chinas Social Credit System – und sogar vor George Orwells 1984 – skizzierte der russische Autor darin einen futuristischen Überwachungsstaat, der seine Bewohner zu Nummern degradiert und jegliche Individualität als Störung der Gemeinschaft definiert.

Hier also 22 großartige Sience-Fiction-Werke, die euch über den Herbst (und vielleicht auch noch den Winter) retten werden.

Biokrieg

Die globale Erwärmung hat die Erde ganz schön mitgenommen. Im 23. Jahrhundert liegen viele der einstigen Metropolen unter Wasser, riesige Konzerne kämpfen mit Privatarmeen um die Vorherrschaft und durch genmanipulierte Nahrungsmittel ausgelöste Krankheiten raffen immer wieder Tausende dahin. In dieser dystopischen Welt trifft Anderson Lake, ein Undercover-Handlanger eines Megakonzerns in Bangkok, auf Emiko, eine künstlich erschaffene Biomaschine. Emiko und andere sogenannte New People wurden einst als Sexspielzeuge, Soldaten, Haushalts- und Arbeitssklaven produziert – und versuchen nun in der untergehenden Welt ein eigenes Leben aufzubauen.

Lasst euch nicht vom furchtbaren deutschen Titel abschrecken. Der im Original The Windup Girl überschriebene Roman von Paolo Bacigalupi ist wohl eine der überraschendsten Science-Fiction-Geschichten der letzten zehn Jahre. Er ist durchsetzt mit Konzepten und Gedanken, die an Philip K. Dicks Blade-Runner-Vorlage Träumen Androiden von elektrischen Schafen? und Fritz Langs Metropolis denken lassen. Zugleich bringt auch er zahlreiche eigene und zeitgenössische Facetten ein, die die beschriebene Szenerie und Handlung beängstigend nahbar und nachvollziehbar erscheinen lassen.

Die Stadt und die Stadt

Die Bewohner der Städte Besźel und Ul Qoma haben es nicht leicht. Denn sie dürfen keinen Kontakt miteinander haben. Sie dürfen einander nicht ansprechen, ansehen oder auch nur riechen. Das gleicht einer Unmöglichkeit, denn beide Städte liegen ineinander und sind verflochten. Daher werden die Bewohner von der Geburt an konditioniert, nur ihre eigene Stadt wahrzunehmen. Doch als in Besźel eine Leiche einer jungen Studentin entdeckt wird, stellt der Kommissar Tyador Borlú fest, dass die Spur ausgerechnet nach Ul Qoma führt. Etwas, das unmöglich sein müsste.

Borlú muss daher nun in der Schwesterstadt ermitteln, die er eigentlich weder betreten noch sehen darf. Damit nicht genug: Wie es scheint, könnte es neben den beiden Zwillingsstädten noch eine dritte …, ja, geheime Stadt geben. Die Stadt und die Stadt – im Original The City And The City – von China Miéville ist im Herzen ein spannender Krimi, der aber durch seine surreale Kulisse und schräge Szenerie ganz neue Möglichkeiten auftut, mit der Vorstellungskraft der Leser zu spielen und diese immer wieder herauszufordern. Dennoch hatte sich die BBC der Aufgabe gestellt, den Roman als Serie umzusetzen, die der Vorlage nicht ganz gerecht werden kann aber dennoch gelungen ist.

Mecha Samurai Empire

Mit United States of Japan hatte Peter Tieryas 2016 eine Art moderne, poppige aber dennoch dystopische Neuinterpretation von Philip K. Dicks Das Orakel vom Berge abgeliefert. Die setzt über drei Dekaden nach dem Ende des zweiten Weltkriegs an. Japan und das Deutsche Reich haben gewonnen und die USA unter sich aufgeteilt – und jagen einem Videospiel hinterher, das „subversive Gedanken“ unter der Bevölkerung streut. Mecha Samurai Empire spielt nun im Jahre 1994 im gleichen Universum aber erzählt eine ganz eigene Geschichte, die einen persönlicheren Blick auf diese Welt eröffnet.

Makoto Fujimoto ist jung und hat nur ein Ziel vor Augen: Er will Pilot eines Mech-Roboters werden, mit denen das japanische Reich für Ordnung sorgt. Jedoch ist er furchtbar in der Schule und wird als Taugenichts abgestempelt, der eh nur Games zockt. Daher sucht er nach einem anderen Weg. Er will sich langsam hoch und ins Cockpit hineinarbeiten. Dabei hat er Glück im Unglück: Denn die Allianz zwischen Japan und Deutschland bröckelt. Mecha Samurai Empire ist kurzweilig und vollgepackt mit Action. Aber dennoch schafft es Tieryas auch eine Charaktergeschichte zu erzählen, die ganz nebenbei kulturelle Assimilation, Propaganda und Verlust- und Versagensängste aufarbeitet.

Vox

Es hatte mit Pässen begonnen, die nicht verlängert wurden und einer Mauer, die an der südlichen Grenze errichtet worden war. Dann kam ein Abtreibungs- und Verhütungsverbot. Nun tragen alle Frauen ein silbernes Armband, die Männer jedoch nicht. Es ist ein Zähler. Denn in der Welt von Vox dürfen Frauen per Erlass nur 100 Worte am Tag sprechen. Verlieren sie eine Silbe zu viel, bevor der Zähler um Mitternacht zurückgesetzt wird, brechen sie das Gesetz. Jean McClellan, die einst Wissenschaftlerin war, kann schon bald ihren Beruf nicht mehr ausüben. Ebenso wie Richterinnen, Rechtsanwältinnen, eigentlich fast alle Frauen.

Sie werden aus der Gesellschaft, der Kultur und Kunst ausgeschlossen. Aber Jean und andere wollen gegen diesen Irrsinn und Unterdrückungsapparat ankämpfen. Der Roman von Christina Dalcher ist nicht nur eine politische und gesellschaftliche Dystopie, die verstört und irritiert. Er ist auch eine Abhandlung darüber, wie wirkmächtig und essentiell Sprache und Mitspracherecht sind – und die Möglichkeit, sich Ausdruck zu verschaffen. Gleichzeitig wirkt der Roman wie der geistige Nachfolger zum Kultwerk Der Report der Magd von Margaret Atwood und eine Antwort auf #metoo, den internationalen Rechtsruck und die Trump-Präsidentschaft.

The 2020 Commission Report on the North Korean Nuclear Attacks Against the United States

Ja, der Titel des Romans von Jeffrey Lewis gleitet nicht so einfach von der Zunge. Dabei steht dahinter eines der elaboriertesten Science-Fiction-Experimente dieses Jahres. Denn der 2020 Commission Report ist genau das, was der Titel andeutet: Eine Aufarbeitung eines Nuklearangriffs von Nordkorea auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Es ist weniger eine klassische Science-Fiction-Geschichte, sondern vielmehr ein detailliertes Gedanken- und Planspiel, das nicht nur in klassischen Erzählpassagen, sondern auch Tabellen, offiziellen Dokumenten, Interviews und Statements wie von Ex-Präsident Donald Trump erzählt wird.

Gemächlich, formell aber auch nervenaufreibend – und zwischen den Zeilen manchmal schwarzhumorig – schildert der Roman eine langsam eskalierende Situation, die damit beginnt, dass Trump sein Komitee für Nationale Sicherheit feuert, Nordkorea einen südkoreanische Passagiermaschine abschießt und wenig später einer von Kim Jong-uns Palästen explodiert. Kurz darauf sind Millionen Menschen tot. Das ist auch so erschreckend, da der 2020 Commission Report so plausibel erscheint. Und das kommt nicht von ungefähr. Denn Jeffrey Lewis ist Professor am Middlebury Institute of International Studies und einer der Experten für das nordkoreanische Nuklearprogramm.

Killing Moon

Im Jahre 2072 ist der Mond wieder im weltpolitischen Fokus. Die USA, China und Russland haben Außenposten auf dem Erdtrabanten errichtet, um dort das energiereiche Helium-3 abzubauen. Caden Dechert ist der Manager der US-Minenstation. Er macht seine Sache gut: Noch keiner ist unter seinem Kommando verunfallt oder zu Schaden gekommen. Aber zuletzt fallen ihm immer wieder Merkwürdigkeiten auf. Mal ist das Equipment seiner kleinen Crew aus unerfindlichen Gründen beschädigt. Dann wieder verschwinden Ausrüstungsgegenstände. Und schließlich tötet eine Explosion einen seiner Kollegen. Wie er herausfindet, war es eine Bombe!

Das sorgt für eine politische Krise auf dem Mond, die auf der Erde einen Krieg auslösen könnte. Denn die einzigen logischen Verdächtigen sind die Arbeiter der chinesischen und russischen Stationen. Schließlich ist sonst niemand auf dem grauen Steinklumpen, der es gewesen sein könnte. Das Romandebüt von David Pedreira ist ein grandioser Science-Fiction-Thriller, der eine gut durchdachte aber nicht allzu verkopfte Zukunftsvision porträtiert. Aber vor allem ist Killing Moon – im Original Gunpowder Moon kurzweilig geschrieben und inszeniert filmreife Momente. Damit würde er sicherlich auch fantastisch auf der Leinwand und im TV funktionieren.

The Million

Die Erde ist ein herrlicher Ort. Viel Blau, viel Grün, High-Tech und Luxus überall. Aber vor allem lebt es sich hier gut und in großer Ruhe. Denn auf dem Planeten residieren lediglich eine Million Menschen – die reichsten und mächtigsten Abkömmlinge der Spezies Mensch. Außer ihnen darf – eigentlich – niemand das Utopia betreten. Mit einer Ausnahme: Alle 30 Jahre erlaubt die Elite es den zehn Milliarden anderen Menschen für eine riesige Party vorbeizukommen. Das ist die Gelegenheit für Gavin Penn-of-Chaffee: In dem Trubel nimmt er die Identität eines toten Jungen an, der gerade in die Elitepolizei der Erdlinge aufgenommen worden war.

The Million zeichnet eine abgefahrene und bunte Zukunft, die gleichzeitig eine geschickte Sozialkritik darstellt. Sie führt nach Venedig, wo Gavin ausgebildet und trainiert, erzählt, wie die mächtigen Erdbewohner aus purer Langeweile ganze historische Städte neu errichten lassen, die aber lediglich von seelenlosen Instandhaltungsrobotern bevölkert sind. Allerdings ist der Roman von Karl Schroeder ein zum Teil auch sehr verworrenes und etwas träges Werk, das abschweift, den Faden verliert und die eigentliche Geschichte um eine düstere Verschwörung,zu vergessen scheint.

New York 2140

Es kam, wie es die Klimaforscher prophezeiten: Knapp 100 Jahre in der Zukunft liegt Manhattan unter Wasser. Aber verlassen ist es nicht. Stattdessen haben sich zahlreiche Menschen, die nicht in Ballonstädten oder Unterwasserhabitaten leben können oder wollen, in den umspülten Glas- und Betontürmen eingerichtet. New York 2140 folgt dabei den scheinbar separaten Leben von elf Menschen, die im ehemaligen MetLife Tower residieren, aber sich letztlich überschneiden. Darunter der Hausmeister Vlade, der Börsenspekulant Franklin und die Internetberühmtheit Amelia.

Das Science-Fiction-Werk des Aurora-Autors Kim Stanley Robinson legt eine dystopische aber nicht albtraumhafte Geschichte aus. Eine, in der das Schlimmste bereits überstanden scheint und Menschen wieder einen Alltag, Träume und Hoffnungen pflegen. Dabei entwickelt Robinson eine kritische Reflexion über das neue libertär-anarchische Zusammenleben und arbeitet sich am Turbokapitalismus und der stoischen Beharrlichkeit der Weltwirtschaft des frühen 21. Jahrhunderts ab. Das ist mal verträumt, mal schneidend scharfsinnig aber fordert dem Leser bei über 800 Seiten auch einiges an Geduld, Mühe und Lesepassion ab.

Borne

Wie es dazu kam, das bleibt verborgen. Aber die Welt ist bei weitem nicht mehr das, was sie einst war. Die große Stadt zerfällt und mutierte Kreaturen schleichen durch die Straßen. Mittendrin ist Rachel, die sich als Sammlerin durchzuschlagen versucht. Auf einer Erkundungstour stolpert sie über das gefürchtete Riesenbärenwesen Mord, das in diesem Moment jedoch still vor sich hin döst. In dessen dichtem Fell entdeckt sie eine kleine Kreatur, die sie mit nach Hause nimmt. Sie nennt das zunächst an eine Pflanze oder Seeanemone erinnerte Wesen Borne, peppelt es hoch und zieht es auf.

Wie Rachel feststellt, ist Borne offenbar intelligent. Das Tierchen entwickelt metamorphische Kräfte, beginnt seine Form zu verändern und lernt sogar zu sprechen, was nicht nur ihre Welt aus den Fugen reißen könnte. Wie schon seine Southern-Reach-Trilogie ist auch Jeff VanderMeers Borne ein äußerst surreales Werk, das sich und seine Welt und Logik, wenig erklärt. Stattdessen gleichen die geschilderten Szenen eher Traumbildern, die von Andeutungen, Eindrücken und einer vergleichsweise einfachen Sprache leben, die die eigene Imagination fordern. Damit ist Borne ein sonderbarer und wunderlicher Roman, der sicherlich nicht für jeden ist.

Proof of Concept

Selbst in der Stunde, da alles schon verloren scheint, erkennt die Menschheit nicht, dass sich etwas ändern muss. Die eine Hälfte des Erde ist zerstört und wird von ewigen Sand und Feuerstürmen geplagt. Die andere ist mit den sogenanntes Hives gepflastert, die mit Milliarden von Menschen vollgestopft sind, die sonst an der verschmutzten Luft zu ersticken drohen würden. Um die menschliche Spezies noch irgendwie zu retten, wollen Wissenschaftler einen Weg finden, zu anderen Welten zu reisen. Sie überzeugen die Finanz-, Regierungs- und Promieliten, ein irrsinnige Idee zu finanzieren.

Gemeinsam lassen sich die Wissenschaftler in einem Needle getauften High-Tech-Untergrundbunker einschließen. Darunter auch Kir, deren Gehirn als Gefäß für eine Künstliche Intelligenz namens Altair herhält. Doch während es so scheint, als würden die Forscher darum wetteifern, einen Überlichtgeschwindigkeitsantrieb zu entwickeln, geht eigentlich etwas anderes vor. Die Novelle der Nordwind-Autorin Gwyneth Jones ist vergleichsweise kurze 112 Seiten lang aber vollgepackt mit originellen Ideen, Charakteren und Wendungen, in denen man sich auch schnell einmal verlieren kann.

Autonom

Es heißt ja gerne, Lebenspartner finden sich oft auf der Arbeit. Das scheint auch für die Regierungsagenten Elias und Paladin zu gelten, die im Jahre 2144 der berüchtigten Medikamentenfälscherin Jack hinterherjagen. Die Sache ist nur: Paladin ist ein Roboter. Aber nicht einer wie die Replikanten aus Blade Runner oder Ava aus Ex Machina. Paladin ist eine Kampfmaschine aus Stahl und Karbon, die nahezu nichts Menschliches an sich hat. Abgesehen von seiner hochentwickelten Künstlichen Intelligenz. Und eben jene hadert mit Elias Regungen.

Das Debütwerk von Annalee Newitz spielt durchaus clever mit Geschlechter-, Rollenbildern und dekonstruiert Klischees. So sieht sich der sich der eigentlich geschlechtslose Roboter eher als männlich – aber beginnt das alsbald infrage zu stellen. Und auch die Pharma-Piratin Jack ist anders als es zunächst scheint. Das alles ist mutig, dynamisch, amüsant und gibt so einige Denkanstöße mit. Leider stolpert der Roman dann und wann dabei, die Emotionen seiner Hauptfiguren glaubhaft zu vermitteln und um sie herum eine lebendige Welt aufzubauen. Dennoch ist Autonom – im Original Autonomous – äußerst spaßig und sehr lesenswert.

Adrift

Es gibt ja einige Hotels mit einem großartigen Ausblick. Aber das Hotel der Bergbaustation Sigma XV hat wohl den besten: Denn von dort blickt man direkt auf den Pferdekopfnebel. Jedenfalls bis das Luxus-Resort plötzlich von einem Schiff zerstört wird, das ebenso schnell verschwindet, wie es aufgetaucht war. Nur durch Zufall und die schnelle Reaktion der Pilotin Jana Volkova überlebt eine kleine Touristengruppe, die sich gerade auf einem Rundflug in der Red Panda befunden hat. Allerdings: Jetzt ist die Gruppe zusammengepfercht in dem abgerockten Shuttle-Schiff auf sich gestellt – ohne Kontakt zur Außenwelt, Nahrung, Wasser oder Aussicht auf Rettung.

Am besten lässt sich Adrift als Science-Fiction-Variante von Alfred Hitchcocks Das Rettungsboot zusammenfassen. Denn genau wie in dem Film von 1944 finden sich auch hier verschiedenste Charaktere in einer aussichtslosen Situation wieder: die beiden Jungs Corey und Malik, die Touristenführerin Hannah Elliott, die Pensionärin Lorinda Esteban, der Hotelkritiker Jack Tennant und mehr. Autor Rob Boffard gelingt es, mit seiner bildlichen Sprache, eine klaustrophobische Stimmung aufzubauen und unter den sich mal betucht, mal rasant entfaltenden Figuren sowohl Zuneigung, Reibung, Angst, Panik und Paranoia zu streuen. Adrift ist mitreißend, stringent, flott gelesen und ein einfach unterhaltsamer Thriller.

Das Syndrom

Die großen Industrienationen hatten versucht, sich vorzubereiten. Aber vergebens: Ein unbekanntes Virus brach aus und ging um die Welt. Hunderte Millionen erkrankten. Die meisten Betroffenen kamen mit einfachen Grippesymptomen davon. Zahlreiche weitere starben. Andere fielen jedoch in eine mysteriöse Starre, unfähig, sich zu bewegen aber noch bei vollem Bewusstsein: Sie ließen die Mediziner und Gesellschaft zunächst ratlos zurück. In den Jahren nach dem Virus entwickeln Wissenschaftler aber eine Möglichkeit, diesen Menschen zu helfen. Über eine Gedankensteuerung wird es den sogenannten Hadens ermöglicht, in die virtuelle Welt Agora einzutauchen, wo sie eine Parallelgesellschaft mit eigener Kultur erschufen.

Ebenso ist es den Locked-In-Opfern aber auch möglich, mit ihrem Geist simple humanoide Roboter zu nutzen oder auch die Körper von freiwilligen Menschen zu übernehmen, um wieder am realen Leben teilzunehmen. Es kommt jedoch, wie es kommen muss: Die beiden FBI-Agenten Chris Shane und Leslie Vann werden auf einen Mordfall angesetzt, der, wie sich schnell zeigt, mit einem geborgten Körper begangen wurde. John Scalzis Das Syndrom – im Original Lock In – ist der Auftakt zu einer bislang zweiteiligen Romanreihe, der eine vielschichtige Welt mit erforschenswerten Figuren aufmacht und interessante Gedanken zur Virtual-Reality- und Gaming-Kultur besteuert.

Ball Lightning

Mittlerweile ist der chineische Autor Liu Cixin durch seine Trisolaris- oder Die-drei-Sonnen-Trilogie auch im Westen zu einer Science-Fiction-Ikone aufgestiegen – auch wenn es fast acht Jahre gedauert hat. Nun ist ein weiteres seiner Werke in einer englischen Übersetzung erschienen: Ball Lightning – im Original 球状闪电. In dem muss der junge Chen mit ansehen, wie seine Eltern von einem Kugelblitz getötet und zu Asche verbrannt werden. Es ist ein Phänomen, das von allen entweder als ein Hirngespinst oder eine Täuschung abgetan wird. Doch Chen will nicht aufgeben und herausfinden, was ihm seine Familie genommen hat.

Der junge Mann stürzt sich in die Forschung, experimentiert und glaubt zunächst, der Lösung näher zu kommen. Hierbei trifft er auf Lin Yun, eine Militärwissenschaftlerin, die seine Obsession teilt. Doch wie beide realisieren, kratzen sie nur aber der Oberfläche eines viel tiefergehenden Mysteriums. Ball Lightning ist kein kosmisches Epos wie die Trisolaris-Trilogie, sondern eine intimere Erzählung, die über Besessenheit, Schmerz und Selbstzerstörung reflektiert. Wobei Liu Cixin erneut Themen wie Kernphysik und Quantenmechanik streift aber trotzdem eine gut abgestimmte Mischung aus klassischer Science Fiction und Wissenschaftsthriller erschafft.

Starship: Verloren im Weltraum

Roy Complain lebt in einem Stamm. Der baut mühselig Feldfrüchte an und versuchen irgendwie über die Runden zu kommen. Denn das Leben ist hart und die Welt gefährlich. Die Nahrungsmittel sind stets knapp und andere Stämme nicht unbedingt friedlich gesinnt. Gemeinsam mit einigen Gefährten will Complain eine neue Heimat finden, die vielleicht bessere Bedingungen gewährt. Hierbei wird seine Frau von Unbekannten entführt. Also begibt er sich auf eine Rettungsmission. Wie er bei seiner Odyssee erkennen muss, ist seine Welt anders ist, als er dachte: Er lebt auf einem gigantischen Raumschiff, das durch das All treibt.

Über Jahrhunderte, wenn nicht länger, hat sich im Inneren des Schiffs ein eigenes Ökosystem gebildet. Und die Nachkommen der einstigen Besatzung sind in primitive Strukturen zurückgefallen. Bereits im Jahre 1958 hatte Brian Aldiss den Roman Starship verfasst. Im verhangenen Jahr war der Kultautor kurz nach seinem 92. Geburtstag verstorben. Daher wurde Starship nun in einer bereits zuvor von Aldiss selbst überarbeiteten Fassung neu aufgelegt. Die „wenigen Worte“, die er änderte, würden zwar nicht das Abenteuer verfälschen aber „einen Unterschied“ machen – einen guten Unterschied, wie er verspricht.

Worlds Seen in Passing

Vor mittlerweile zehn Jahren war TOR.com als Science-Fiction-Magazin des US-Verlages Tor Books gegründet worden. Seitdem hat sich die Seite zu einem der wichtigsten Anlaufpunkte für Science-Fiction-Fans entwickelt. Denn nicht nur wurden unter dem TOR-Banner in den letzten Jahren einige der überraschendsten und spannendsten Science-Fiction-Romane veröffentlicht, sondern es erscheinen auf TOR.com ebenso regelmäßig Kurzgeschichten und Novellen von bekannten Autoren und jungen Talenten – von denen nicht wenige mit einem Hugo oder Nebula Award ausgezeichnet wurden.

Einige der besten Science-Fiction-Kurzwerke wurden nun gesammelt in Worlds Seen in Passing zusammengefasst. Darunter die bizarre Alien-Invasions-Geschichte This World Is Full of Monsters von Borne- und Southern-Reach-Autor Jeff VanderMeer oder The Lady Astronaut of Mars von The-Fated-Sky-Autorin Mary Robinette Kowal, die der Frage nachgeht, was eigentlich passiert, wenn große Entdeckerinnen und Entdecker dem Alter und dem Tod entgegen sehen. Und in Last Son of Tomorrow spürt Greg Van Eekhout der Frage nach, was ein Superheld tut, wenn er jene Menschen überlebt, die er liebt und in eine Sinnkrise stürzt.

Severance

Es ist nicht so, dass Candace Chen ihren Job bei einem New Yorker Verlagshaus hasst – aber verabscheuen tut sie ihn schon. Dazu hat ihr Freund gerade die Stadt verlassen. Sie hat niemanden um sich, der ihr auch nur irgendetwas bedeuten würde. Daher ist's gar nicht so schlimm als plötzlich ein Virus ausbricht, das ihre Mitmenschen in Zom..., nein, keine Zombies, sondern „geistlose Wesen“ verwandelt, die einfach immer wieder und wieder die gleichen Tätigkeiten vollführen – bis sie irgendwann zerfallen. Gleich einer Zeitlupenaufnahme eines Verkehrsunfalls geht die Gesellschaft vor die Hunde, Chaos macht sich breit und Candace dokumentiert als das in ihrem Blog NY Ghost.

Als die Situation immer schlimmer wird und schließlich das letzte Quäntchen an Zivilisation erlischt, schließt sich Candace einer Gruppe von anderen Überlebenden an. Deren Anführer sieht sieht in der Apokalypse die Chance auf einen Neustart der Menschheit. Der Roman von Ling Ma ist bitterböse Satire und eine rotzig-scharfsinnige Aufarbeitung der immer wiederkehrenden Kritik an der angeblich so unfähigen, selbstverliebten und Smartphone-abhängigen Generation der Millennials. Dabei jongliert Ling Ma gekonnt mit verschiedenen Sprach- und Schreibstilen, zitiert und verarbeitet Popkultur- und Zeitfragmente – und lässt durchaus durchblicken, wenn sie, wie es scheint, im realen Leben gleiches durchlebt hat, wie ihre liebenswerte Protagonistin.

Wir

Der Roman von Jewgeni Iwanowitsch Samjatin erschien bereits im Jahre 1920. Dennoch wirkt seine Geschichte heute wieder erschreckend aktuell: Aus einem 200 Jahre andauernden Krieg und einer großen Revolution geht der Vereinigte Staat hervor. Dessen oberstes Ziel ist es, das Wohl der Gemeinschaft zu wahren. Und das, geht, wie jeder weiß, alleinig durch Konformität und Dauerüberwachung. Daher trägt jeder Bewohner keinen Namen, sondern eine Nummer. Die Häuser haben Wände aus Glas, so dass die Beschützer sofort jene ausmachen können, die die Integrität gefährden. So wie D-503, der als Wissenschaftler an der Raumrakete Integral forscht. Zumindest bis er auf die Rebellin I-330 trifft.

Vieles in Wir – im Original Мы – scheint eine perfekte Metapher auf Vorgänge, Technologien und politische Strukturen zu sein, die der russische Autor gar nicht kennen konnte: Sei es die Überwachung durch die Five-Eye-Staaten, der Diktatur-Schwenk in der Türkei, das Social Credit System in China oder die Neusprech-Diktion moderner Politsysteme und Rechtsnationalisten. Dazu lässt vieles an den Überwachungsklassiker 1984 denken. Das kommt nicht von ungefähr. Denn dessen Autor, George Orwell, kannte Wir und hatte den Roman vielfach gelobt. Alleinig die Tagebuchform macht die Dystopie für heutige Leser vielleicht etwas träge – aber das Durchhalten lohnt.

The Black God's Drums

Es sind nur knapp über 100 Seiten. Aber die eröffnen eine alternative Weltgeschichte, die unfassbar farbenfroh und einfallsreich daherkommt. Im Zentrum von The Black God's Drums steht die 14 Jahre alte Jacquelin, die aber besser als Creeper bekannt ist. Sie versucht dem New Orleans des Jahres 1884 zu entkommen – einem neutralen Hafen in einer Welt, in der der Bürgerkrieg etwas anders ausging als er es in Wirklichkeit tat. Ihre Chance sieht sie in der Kapitänin Ann-Marie, die ein heruntergekommenes Luftschiff befiehlt. Denn die Einbeinige will ihr ein Geheimnis über eine Superwaffe abkaufen, die die Konföderierten gerade entwickeln.

Jene Waffe droht plötzlich die ganze Stadt auszulöschen – und noch viel mehr. The Black God's Drums ist ein Sammelsurium vom geistreichen und brillant skizzierten Figuren, die eigentlich weit mehr Raum zur Entfaltung auf mehr Seiten verdient hätten. Daneben spielt der Autor Phenderson Djèlí Clark noch mit Einflüssen afrikanischer und karibischer Religionen, arbeitet Facetten der Rassismus- und Sklavengeschichte der USA und Kolonialstaaten ein und arbeitet mit sprachlichen Eigenheiten der Südstaatenbevölkerung – die manche Leser eventuell etwas stolpern lassen. Mit alldem zeigt die Novelle schon alle Ingredienzien, die es für einen einfangenden Roman brauchen würde.

Am Ende der Zeit

Im Jahre 1997 wird die Familie eines Navy-SEAL getötet und seine Tochter Marian entführt. Shannon Moss von einer Geheimabteilung des NCIS soll den Fall aufzuklären. Denn der Verdächtige ist der Familienvater selbst: Patrick Mursult. Das alles wäre wohl recht banal, wenn in diesem 1997 nicht Reisen durch das All und die Zeit möglich wären. So untersucht Moss sie nicht nur Tatorte, sondern springt auch in die Zukunft und Vergangenheit, um Indizien zu sammeln. Dabei entblättert sich ein komplexer Plot um vermisste Soldaten, eine Terror-Gruppe und einen rätselhaften Planeten. Das alles ist wiederum mit einem drohenden Ereignis namens Terminus verknüpft: Dem höllenhaften Ende aller Tage, das stetig näher rückt.

Am Ende der Zeit – im Original The Gone World – vermischt auf clevere Weise Thriller, Detektivgeschichte und Science-Fiction-Epos. Denn Autor Tom Sweterlitsch behandelt jeden Mord wie ein eigenes Mysterium in eines großen Rätsels. Er beschreibt Tatorte, führt wilde Gedankenspiele über Zeitreisen aus und konfrontiert mit bizarren Technologien und Konzepten: Traumzeit, „doppelte Menschen“ und und mehr. Dabei wird es düster, dunkel und pessimistisch – aber auch stets packender und interessanter. Kein Wunder, dass die Filmrechte schon verkauft sind. Gedreht werden soll die Hollywood-Adaption von District-9-Regisseur Neill Blomkamp.

The Book of M

Das sieht man auch nicht alle Tage: Inmitten des Trubels eines Marktes in Mumbai passiert es. Der Schatten eines Mannes verschwindet urplötzlich. Egal, wo er steht, wie er sich auch wendet, die dunkle Silhouette, ist verschwunden. Der Wissenschaft gibt das Rätsel auf – und auch religiöse Institutionen wissen nicht so recht, wie sie das Geschehen interpretieren sollen. Vor allem als immer mehr Menschen auf der Welt ihren Schatten verlieren – und daraufhin, wie voller Erschrecken festgestellt wird, ihre Erinnerungen. So soll es auch Max ergehen, die gemeinsam mit Ory, als das Chaos begann, in die US-amerikanische Wildnis geflüchtet war. Jedoch gab es auch dort kein Entkommen vor der Epidemie.

The Book of M erschafft eine epochale und poetische Erzählung, die durch ihre beiden Hauptfiguren und zahlreiche Nebendarsteller zu allererst ein rasantes Abenteuer transportiert, das elegant zwischen dystopischer Science Fiction und Fantasy hin- und herschwingt. Daneben konstruiert die Autorin Peng Shepherd jedoch auch ein überzeugendes Bild einer fragilen Gesellschaft, die von unzähligen Ängsten und Unsicherheiten regiert wird. Genau das macht den Roman auch so packend und über weite Strecken auch regelrecht furchterregend – und zu einem ziemlichen Lese-Muss.

Six Months, Three Days, Five Others

Vor zwei Jahren hatte die iO9-Redakteurin Charlie Jane Anders ihren Debütroman veröffentlicht, Alle Vögel unter dem Himmel, der viel Lob einfuhr. Nun folgt mit Six Months, Three Days, Five Others eine Sammlung ihrer Kurzgeschichten. In Six Months, Three Days treffen sich Doug and Judy und verlieben sich in einander. Das Problem? Er kann in die Zukunft sehen, sie hingegen verschiedene mögliche Zukünfte. Beide wissen daher, dass es für sie nicht gut ausgehen wird. In The Fermi Paradox Is Our Business Model wird wiederum enthüllt, wo wir und die ganzen Zivilisationen im All herkommen – und das all das recht wenig mit einem Gott zu tun hat. In As Good as New glaubt eine Hausfrau hingegen, der letzte Mensch auf Erden zu sein.

Wie schon Alle Vögel unter dem Himmel sind auch die Geschichten von Charlie Jane Anders oftmals absurd, witzig aber dabei auch unheimlich clever, heiter und gerne von einem zunächst nicht absehbaren philosophischen Tiefgang geprägt. Sie lassen sich gut weglesen, machen viel Freude und sorgen unter Garantie für so manches Schmunzeln. Die titelgebende Geschichte Six Months, Three Days soll übrigens verfilmt. Zumindest wurden die Rechte an NBC verkauft und Jessica-Jones-Darstellerin Krysten Ritter als Judy gecastet.

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