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Raketen aus Bayern sollen die Raumfahrt revolutionieren

von Michael Förtsch
Der Weltraum ist mittlerweile ein Milliardengeschäft. US-Raumfahrtunternehmen wie SpaceX, Rocket Lab oder Blue Origin schießen ihre Raketen für die NASA, private Firmen und wohl bald auch für Privatleute in den Himmel. Jetzt will auch ein Start-up aus Bayern mitmischen.

Die bayerische Raumfahrtrevolution soll in Gilching beginnen, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von München. In einem braven Bürogebäude hat Isar Aerospace seinen Firmensitz eröffnet. Das Haus gehört zum Start-up-Förderprogramm der ESA, das junge Raumfahrtunternehmen unterstützt. Die europäische Weltraumorganisation hat sich als Standort nicht ohne Grund den kleinen Ort in Oberbayern ausgesucht. In derselben Straße sitzen Unternehmen wie Diehl Aviation oder Ruag, die Rumpfteile und Flügel für Airbus, Bombardier und Boeing liefern. Eine Straße weiter werkeln dieFlugautobauer von Lilium. Und das DLR, das Deutsche Raumfahrt-Kontrollzentrum und der Sonderflughafen Oberpfaffenhofen sind zu Fuß ebenfalls in ein paar Minuten zu erreichen.

Isar Aerospace, das erst im März gegründet wurde, ist in Gilching also in bester Gesellschaft. Von hier aus wollen Daniel Metzler und seine Mitstreiter die Raumfahrt aufmischen. Am nötigen Selbstvertrauen mangelt es ihnen jedenfalls nicht. „Zurzeit sind wir knapp 10 Leute, Tendenz stark wachsend“, sagt der 26-jährige Gründer, der in Wien Maschinenbau studiert hat. Nach München hat ihn die Begeisterung für die Raumfahrt gezogen, so wie viele andere auch.

Die Uni hat München zum Raumfahrt-Mekka gemacht

Tatsächlich ist München bereits seit Jahrzehnten der geheime Star der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie. Denn: „An der TU München gibt es die motivierte Studentengruppe WARR, die bereits seit über 50 Jahren erfolgreich Raketensysteme entwickelt,“ sagt Daniel Metzler. Die Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt an der Münchner Uni sorgt dafür, dass die Studierenden in Sachen Aeronautik und Raumfahrttechnologie nicht nur theoretisches Wissen sammeln können, sondern auch Hands-on-Erfahrung. Das ist „in Europa einzigartig“, sagt Metzler. Selbst wenn die WARR heute auch an Weltraumaufzügen und Hyperloop-Pods forscht, besonders faszinierend bleibt für viele die Raketenwissenschaft. So war es auch bei Daniel Metzler, der die Entwicklung einer Suborbitalrakete geleitet hat.

Bei diesem Studentenprojekt lernten sich die meisten aus dem heutigen Kernteam von Isar Aerospace kennen. Ihr gemeinsames Ziel? Den Flug in den Weltraum günstiger machen. Auf dem Kieker haben die Raketentechniker jedoch nicht den Markt, den Elon Musk mit SpaceX abdeckt oder Jeff Bezos mit Blue Origin erobern will. Denn einen roten Tesla, Nachschubkisten für die ISS oder gar Menschen möchten die Münchner nicht ins All schießen – zumindest noch nicht. Stattdessen wollen sie den Markt der kleinen Trägerraketen, der sogenannten Microlauncher, aufmischen. Mit diesen werden vor allem Klein- und Kleinstsatelliten wie die Nanosats, CubeSats und PicoSATs ins All gefeuert, die bisher schon zur Erdbeobachtung und Kommunikation eingesetzt werden und bald auch Internet zur Erde funken sollen. Hier geht es also nicht um Tonnen, sondern um Kilogramm, die in den Weltraum müssen.

In den Tank kommt flüssiger Sauerstoff

Dem Space-Boom zum Trotz existieren derzeit nur wenige Unternehmen, die regelmäßige Starts mit Microlaunchern anbieten. Außerdem nutzen die 20 bis 30 relevanten Firmen dabei oft Systeme, die wenig effizient und nur schwer wiederverwendbar sind. Technologisch treten sie auf der Stelle. Genau hier will das bayerische Team ansetzen. „Wir fokussieren uns auf die Raketenantriebe, da diese das komplexeste System an einer Trägerrakete darstellen,“ sagt Metzler zu WIRED. Das Team will Raketenmotoren bauen, die statt mit toxischem Kerosin, giftigen Zusätzen wie Salpetersäure oder komplexen Feststoffkompositen mit flüssigem Sauerstoff – kurz LOX – funktionieren. LOX-Triebwerke sind leistungsstärker, kontrollierbarer und sicherer – außerdem sollen sie vor allem auf Dauer Geld sparen. Aber: Es ist verdammt knifflig, sie zu konstruieren.

Zwei Raketenmotoren haben die Münchner momentan in Arbeit: Finch, der mit zwei Kilonewton an Schubkraft zum Transport von einzelnen Mini-Satelliten konzipiert ist. Der andere, Aquila, soll mit der 20-fachen Leistung größere oder mehrere Zuladungen gleichzeitig ins All hieven. Wie viel er schafft, hängt dabei auch von der Anzahl der Raketenstufen an. Geht alles nach Plan, könnte der kleine Finch bereits Ende des Jahres probeweise gezündet werden. Einzelne Komponenten haben schon erfolgreiche Testläufe hinter sich. „Das Gesamtsystem erfordert jedoch noch Arbeit,“ sagt der Raumfahrtingenieur Metzler. „Bereits kleine Fehler können katastrophale Auswirkungen mit sich tragen. Deswegen müssen die Motoren auch möglichst zuverlässig sein.“

Der Milliardenmarkt wächst immer weiter

Der weltweite Markt für den Start von Kleinraketen ist schon jetzt riesig: Schätzungen zufolge hat er ein Volumen von 339 Milliarden US-Dollar. Binnen 25 Jahren soll er nochmal um das Achtfache anwachsen. Klar, dass da nicht nur Isar Aerospace dabei sein will. Auch andere Start-ups wie Rocket Lab, Firefly und Vector wollen den Kleinraketenbau revolutionieren. Einige von ihnen versprechen viel und wedeln mit aggressiven Zeitplänen. Die Oberbayern bleiben aber lieber zurückhaltend. „Im Raumfahrtsektor darf man nicht zu ambitioniert sein, da physikalische Gesetze nicht einfach umgangen werden können,“ meint Metzler. „Mit einem gesunden Ingenieursverstand ist man einem Großteil der Konkurrenz bereits voraus.“

Die meisten Konkurrenten sitzen in den USA, dem Mutterland der Raumfahrt. Doch auch der Standort Deutschland, mitten in Europa hat seine Vorteile. „Die Nachfrage ist sowohl international als auch in Europa da“, sagt der Ingenieur. Aber: „Außerhalb der USA fehlt es einfach an Angeboten.“ Dabei tut sich da abseits des Raketenbaus bereits einiges – nämlich in Sachen Raum- und Raketenbahnhöfen. „Es gibt diverse Möglichkeiten, Raketen aus Europa zu starten,“ sagt Metzler. „Startmöglichkeiten gibt es in Skandinavien und seit Neuestem wird in Schottland ein Spaceport errichtet.“

Dass auch in Deutschland oder sogar in Bayern ein Raketenbahnhof entstehen wird, glaubt der Gründer von Isar Aerospace allerdings nicht – schon deshalb, weil das Land zu dicht besiedelt ist. Aber dass Deutschland und Bayern zum wichtigen Standort der Raumfahrtbranche werden könnten, das sei schon denkbar – und aus seiner Sicht auch ein erstrebenswertes Ziel. „Die bayerische Staatsregierung arbeitet daran, Bayern als Raumfahrtstandort zu etablieren,“ sagt Metzler. Aber auch Deutschland als solches könne und sollte bei der jetzigen Renaissance der Raumfahrt mitspielen. Denn schließlich geht es nicht nur darum, gegen Geld Triebwerke zu bauen oder Raketen ins All zu feuern. „Der Weltraum ist groß und eröffnet viele Möglichkeiten,“ sagt der junge Gründer. „Der Start ins All ist erst der Anfang.“

Am 24. Juli wird Daniel Metzler auf der Tech-Konferenz daho.am in München als Speaker zur Privatisierung der Raumfahrt sprechen.

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