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Diese Argumente solltet ihr bei der Facebook-Debatte nicht verwenden

von Johnny Haeusler
In der Diskussion um Facebook und Cambridge Analytica bieten sowohl Expertinnen als auch Laien bereits Lösungen an. Unserem Kolumnisten Johnny Haeusler sind hier drei Argumente im Netz aufgefallen, die sich zwar im ersten Moment sinnvoll anhören, die aber den Nutzerinnen in der Praxis nicht helfen oder die Probleme sogar verharmlosen.

1. Die Nutzerinnen sind selbst schuld

Das oft gehörte und sogar von Bettina Gaus, der politischen Korrespondentin der „taz“ in einem Radiobeitrag geäußerte Argument, klingt erstmal logisch: Die Nutzerinnen müssten erstmal mündige Internet-Bürgerinnen werden und besser darauf achten, welche AGB sie unterzeichnen und welche Rechte sie Facebook oder anderen Unternehmen überlassen. Erst dann können sie sich beschweren. So einfach ist das aber nicht.

Natürlich sind wir als Nutzerinnen gefragt, nicht völlig dumpf auf jeden OK-Button zu klicken. Aber wirklich zu glauben, wir könnten unsere Daten kontrollieren, indem wir AGB durchlesen, ist Unsinn. Ganz abgesehen davon, dass sich die AGB einiger Unternehmen wöchentlich ändern. Die Nutzerinnen somit ebenso oft vor der Entscheidung stünden, ob sie einen Dienst weiter wollen. Keine leichte Herausforderung, denn die meisten Bürgerinnen sind keine Juristinnen und werden daher die möglichen Konsequenzen vieler Punkte nicht einordnen können.

Zudem beschäftigen Firmen wie Facebook nicht ohne Grund herausragende Produktdesignerinnen, Programmiererinnen, Expertinnen für User Interfaces. Bei der Gestaltung des Portals geht es selbstverständlich darum, die Nutzerinnen jene Aktion ausführen zu lassen, die den Portalbetreiberinnen und ihren Kundinnen am meisten nützt. So hat Facebook zum Beispiel 2012 alle Abfragen vor der Nutzung der App stark verändert, um Nutzerinnen schneller und häufiger zur Freigabe der eigenen Daten zu bewegen. Ein Beispiel dabei: Statt der vorher bestehenden zwei Schaltflächen mit der Aufschrift „Allow“ („Erlauben“) beziehungsweise „Don’t allow“ („Nicht zulassen“) gab es nach dem Redesign nur noch die größere Schaltfläche „Play Game“ („Spiel spielen“) und darunter Hinweise auf die mit einem Klick erteilten Genehmigungen — in hellem Grau und wesentlich weniger prominent als vorher.

Selbstverständlich fallen Internet-Fachleute nicht auf solche billigen psychologischen Tricks herein – hoffentlich zumindest. Da die Facebook-Bevölkerung aber nun mal nicht aus zwei Milliarden Internet-Fachleuten besteht, ist davon auszugehen, dass die gestalterische Änderung nicht folgenlos blieb.

Zudem ist mir bei dem Vorwurf, die Nutzerinnen von Facebook seien selbst Schuld, eine Sache unklar: Warum wird diese Logik nicht auf alle anderen Lebensbereiche angewendet. Sie haben einen unlauteren Kreditvertrag unterzeichnet? Tja, hätten sie mal besser nachgelesen und verstanden, was auf Seite 67 im Kleingedruckten steht! Sie haben eine Magenverstimmung wegen eines bei uns gekauften Lebensmittels? Aber da steht doch hinten ganz klein drauf, welche chemischen Stoffe darin enthalten sind!

Sehr viele wichtige Lebens- und Geschäftsbereiche sind zurecht und glücklicherweise starken Regulierungen und Gesetzen unterworfen, welche (meistens) die Rechte von Verbraucherinnen stärken sollen. Natürlich dürfen Konsumentinnen nicht von jeglicher Eigenhaftung freigesprochen werden. Doch wir können in den meisten Fällen erst einmal davon ausgehen, dass wir nicht vergiftet werden, wenn wir im Restaurant essen gehen. Und wir müssen auch nicht befürchten, dass wir nach der Unterzeichnung eines Mietvertrags plötzlich die doppelte als zuvor vereinbarte Miete zahlen müssen. Oder dass wir uns nicht wehren können, wenn uns doch jemand übers Ohr hauen wollte.

Das ewige Tauziehen zwischen den Wünschen von Unternehmen und den Rechten von Konsumentinnen fair zu gestalten ist eine der Aufgaben von Politik, und sie wird sicherlich selten perfekt wahrgenommen, funktioniert an vielen Stellen aber doch erstaunlich gut. Und mir ist unklar, warum so viele Menschen in meiner Timeline offenbar dagegen allergisch sind, auch im digitalen Raum und beim kommerziellen Umgang mit Daten auf klare Regelungen und größtmögliche Verlässlichkeit für Nutzerinnen zu bestehen. Ich bin relativ sicher, dass Frau Gaus nicht die Fahrerinnen bestimmter Autos für den Dieselskandal verantwortlich macht. Wieso sie — und viele andere — diese Richtung im Fall Facebook einschlagen, erschließt sich mir nicht.

2. Cambridge Analytica sind Hochstapler, ihre Methoden wirken nicht

Es wurde in den letzten Tagen immer wieder argumentiert, dass die Methoden von Cambridge Analytica gar nicht so effektiv sind, wie sie es im eigenen Marketing behaupten. Wir sollen uns also keinerlei Sorgen machen, dass unsere Daten an ein mehr als zwielichtiges Unternehmen gegangen sind, dem Verbindungen zu Fachleuten der psychologischen Kriegsführung und rechtsgerichteten Militärexpertinnen vorgeworfen werden.

Wenn die also nichts können, sollen wir beruhigt sein? Das bin ich aber nicht.

Denn selbst wenn Cambridge Analytica wirklich so inkompetent war bei der Manipulation der Wählerinnen, wie viele denken, ändert das nichts am eigentlichen Problem. Es wäre schließlich nur eine Frage der Zeit, bis es jemand besser macht und das Marketingversprechen von Cambridge Analytica Wirklichkeit wird.

3. Niemand kann mündige Wählerinnen zu einer bestimmten Wahl überreden

Natürlich wirkt Werbung nie, denken viele. Ich dachte auch mal, man könne niemanden davon überzeugen, dass die Erde eine Scheibe, Impfungen gefährlich oder Deutschland eine GmbH sei. Aber siehe da: Es geht doch! Wenn die Werbung nur geschickt genug als Information getarnt ist.

Oft wird nämlich bei der Debatte auch übersehen, dass wir bei den Tätigkeiten von Cambridge Analytica im Zusammenhang mit den US-Wahlen oder dem Brexit offenbar nicht einfach von „Facebook-Werbung“ sprechen müssen, sondern von gezielt gestreuter Desinformation, die individuell auf einzelne Nutzerinnen angepasst wird.

Theresa Hong, die für die Wahlkampagne Trumps die Facebook-Posts geschrieben hat, berichtet in einem BBC-Video aus dem August 2017 von 35.000 bis 45.000 verschiedenen, individuellen Versionen bestimmter Kampagneninhalte. Und sie erzählt außerdem von den Büros, in denen nicht nur Mitarbeiterinnen von Cambridge Analytica arbeiteten, sondern zur Unterstützung auch welche von Facebook, Google und YouTube. Denn laut Hong: Wenn man Abermillionen in soziale Plattformen investiert, dann bekommt man natürlich auch die Sonderbehandlung. Und Unternehmen wie Facebook würden dann ein paar Mitarbeiterinnen schicken, um sicherzustellen, dass die Kundin genau das erreicht, was sie möchte.

Ich weiß nicht, ob politische Kampagnen jemanden in seiner Wahl komplett neu beeinflussen können. Ich gehe aber davon aus, dass entsprechend individualisierte, unregulierte Desinformation das kann. Und ich finde es zumindest erstaunlich, wenn so getan wird, als wäre alles, was diese Leute getan haben, einfach nur Unfug ist, der nicht „funktioniert“. Politische Kampagnen sind nicht einfach nur Produktwerbung. Und sie müssen deshalb auch höheren Standards genügen.

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