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Die Menschheit hat die Chance, eine bessere Zukunft zu erschaffen – oder eine Herrschaft der Algorithmen

von Andrej Budo-Marek
Die digitalen Technologien, die es entweder schon gibt oder bald geben wird, können unser Leben gesünder und einfacher machen. Darauf aufbauend wäre eine bessere Welt möglich. Doch die Digitalisierung könnte auch zu einer Herrschaft der Algorithmen führen. Unser Gastautor Andrej Budo-Marek von der auf Zukunftstechnologien spezialisierten Unternehmensberatung Detecon International hofft, dass Jean-Luc Picard am Ende Recht behalten wird.

„Wie viel kostet dieses Ding?“ „Die Wirtschaft der Zukunft funktioniert ein bisschen anders. Sehen Sie, im 24. Jahrhundert gibt es kein Geld“ - „Es gibt kein Geld? Wollen Sie damit sagen, Sie werden nicht bezahlt?“ „Der Erwerb von Reichtum ist nicht mehr die treibende Kraft in unserem Leben. Wir arbeiten, um uns selbst zu verbessern – und den Rest der Menschheit.“

Diese hoffnungsfrohe Vision unserer zukünftigen Entwicklung zeichnet Star Treks Captain Jean-Luc Picard in „First Contact“ während einer Zeitreise ins 21. Jahrhundert – die Vision einer technologisch hoch entwickelten Gesellschaft, die allen Menschen ein Leben in Wohlstand und Gesundheit ermöglicht und dabei nachhaltig mit ihrer Umwelt umgeht. Doch bei der Frage, wie wir dahin kommen und welche Rolle Technologien, insbesondere die digitalen, dabei spielen, lässt uns Star Trek leider weitestgehend im Dunkeln stehen. Aus heutiger Sicht unverständlich, denn wir befinden uns mitten in einer Phase der allumfassenden Digitalisierung, die einhergeht mit Veränderungen für den Einzelnen, die Gesellschaft, die Politik und die Ökonomie. Aktuelle Schlaglichter auf das Thema machen nur zu deutlich, dass es um mehr geht als nur die nächste Effizienzstufe für Unternehmen und Industrie. Und Digitalisierung wird und muss eine Rolle bei der Bewältigung unserer globalen Herausforderungen – steigende Weltbevölkerung, Überalterung, Urbanisierung sowie Verbrauch natürlicher Ressourcen, spielen.

Digitale und physikalische Welt bleiben getrennt – noch

In der Vergangenheit fanden Erfindungen und Innovationen in der physikalischen und digitalen Welt getrennt statt. Cyber-physikalische Systeme, wie beispielsweise Roboter, heben diese Trennung auf – Systeme werden smart. Parallel findet Biotechnologie kontinuierlich neue Anwendungsbereiche und findet nun auch Eingang in die physikalisch-digitale Welt, beispielsweise beim Tissue Engineering (künstliche Gewebezüchtung). Ein Roboter mit künstlicher Haut aus einem 3D-Drucker ist weniger Science-Fiction als man denkt.

Neu sind aber nicht nur das Zusammenspiel und die Verschmelzung dieser drei Welten, sondern auch die damit einhergehende, zunehmende Beschleunigung der technologischen Entwicklung. Eine Erfindung oder Innovation beeinflusst heute in der Regel eine Vielzahl von technologischen Entwicklungen. Beispielsweise gäbe es kein Smartphone ohne die Fortschritte in der Miniaturisierung von Elektronik und der Entwicklung moderner Materialien, beispielsweise für berührungs-empfindliche Bildschirme.

Betrachten wir das Internet heute, so könnten wir sagen, dass wir daran gewissermaßen angedockt sind. Wir nutzen zum Beispiel Geräte wie Smartphones für Informationsbeschaffung, Online-Shopping und vieles mehr. Aber wir bewegen uns heute hierbei nur in der digitalen Welt, die physikalische Welt bleibt separiert – bisher.

Eine Zukunft ohne Ampeln, aber mit personalisierter Medizin

Wenn wir heute über die Straße gehen, schauen wir auf die Ampel und gehen dann bei Grün über die Straße. Wenn aber in Zukunft alle Verkehrsteilnehmer inklusive der Fußgänger vernetzt sind, reicht der Blick auf die Anzeige unserer AR-Brille, um zu wissen, ob wir die Straße sicher überqueren können – Ampeln wären somit überflüssig. Heute müssen wir uns manuell beim Betreten gesicherter Bereiche mittels codierter Karten, Code-Eingabe oder Retina-Scan Zutritt verschaffen. Wenn aber der Sensor unter unserer Haut uns automatisch gegenüber dem Sicherheitssystem authentifiziert und autorisiert, können wir ohne Stopp passieren.

Auch das Gesundheitswesen und die Medizin werden sich im Zuge der Digitalisierung stark verändern. Jeder Mensch ist in biologischer Hinsicht anders, Arzneimittel folgen heute aber dem One-size-fits-all-Prinzip. Mit der Folge, dass die Wirksamkeit von Arzneimitteln individuell unterschiedlich ist. Personalisierte Medizin setzt nun genau hier an, indem sie an die individuelle Biologie angepasste Arzneimittel zur Verfügung stellen will. Basis hierfür ist unter anderem die Analyse großer Datenmengen. Weitere Anwendungsgebiete sind die durch Künstliche Intelligenz unterstützte Diagnose, intelligentes Patienten-Monitoring sowie die Entlastung des Pflegepersonals bei administrativen Tätigkeiten.

Kostengünstigere und kleinere Sensoren ermöglichen es, die Trennung zwischen physikalischer und digitaler Welt aufzuheben.

Andrej Budo-Marek

Verbesserte Lebensbedingungen und bessere Medizin haben unsere Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten zwar deutlich erhöht, jedoch nicht im gleichen Maße unsere Lebensqualität im Alter. Gesundheit findet heute gewissermaßen punktuell statt – z.B., wenn wir etwas für unsere Fitness tun. Wenn aber in unserem Körper oder in unserer Kleidung implantierte Sensoren vitale Parameter permanent messen, können wir Gesundheit zu etwas Permanentem erweitern – „genug gesessen, mach ein paar Dehnungsübungen“, „nimm die Treppe, nicht den Aufzug“. Diese Liste an Anwendungen ließe sich noch um viele Beispiele, auch aus der industriellen Welt, erweitern. Anwendungen wie die intelligente Überwachung von Maschinen und Lieferketten sind nur zwei Beispiele, die bereits heute industrielle Reife erlangt haben.

Die Technologien, die zur Realisierung der oben genannten Szenarien benötigt werden, sind im Prinzip da, auch wenn ihr heutiger Reifegrad unterschiedlich ist. Immer kostengünstigere und kleinere Sensoren ermöglichen es, die Trennung zwischen physikalischer und digitaler Welt aufzuheben – alles wird vernetzt und formt damit das Internet der Dinge (Internet of Things). Die Interaktion mit dem Internet der Dinge wird direkter, fassbarer beispielsweise über Sprachsteuerung, Augmented und Virtual Reality und mittels Künstlicher Intelligenz gleichzeitig individueller und persönlicher. Die benötigte Rechenleistung wird durch immer kleinere, aber gleichzeitig leistungsfähigere mobile Geräte wie auch durch Integration von Computing-Ressourcen ins mobile Netz zur Verfügung gestellt. Rechenleistung und Speicher werden hierdurch ubiquitär quasi unbegrenzt verfügbar.

Sharing kann den Ressourcenverbrauch reduzieren

Künstliche Intelligenz wird bereits heute in zahlreichen Anwendungen eingesetzt. Meistens für uns unsichtbar im Hintergrund, manchmal sichtbar wie bei der Gesichtserkennung in der Foto-App. Künstliche Intelligenz wird in den verschiedensten Gebieten Zugang finden und damit zu fundamentalen Veränderungen führen, auch für den Einzelnen. Im Prinzip können alle Tätigkeiten, die vom Menschen in einer Zehntel-Sekunde erledigt werden, auch durch Künstliche Intelligenz übernommen werden.

Die Digitalisierung wirkt sich somit natürlich auch auf die Arbeitswelt aus. Die damit einhergehende Automatisierung ist, gelinde gesagt, signifikant – gerade auch für die betroffenen Beschäftigten. Wir werden daher nicht umhinkommen, uns mit unserem, aus dem industriellen Zeitalter stammenden Verständnis von Arbeit, auseinanderzusetzen. Richtig umgesetzt bieten sich uns jedoch positive neue Möglichkeiten. Wir werden aber lernen müssen sie zu nutzen.

Sharing und Peer-to-Peer Netzwerke – nur durch die Nutzung digitaler Plattformen praktikabel – führen durch die Nutzung eines Guts durch mehrere Personen nachweislich zu einem reduzierten Ressourcenverbrauch. Es müssen weniger Güter produziert werden, und diese unterliegen einem höheren Nutzungsgrad. Dies führt schlussendlich zu neuen Märkten, neuen Geschäftsmodellen und einem veränderten Kundenverhalten.

Blockchain als Technologie bietet das Potential den Mittelsmann bei Transaktionen jeglicher Art zu ersetzen. Jede Transaktion wird durch einen Informationsblock beschrieben und verschlüsselt in einer sich kontinuierlich fortschreibenden Kette (chain) abgelegt – das Hauptbuch wird überflüssig. Die Transaktion ist einerseits für jeden transparent, die Details jedoch nur für die Teilnehmer einsehbar. Damit werden beispielsweise Mikrozahlungen praktikabel und der gesicherte Datenaustausch in Machine-to-Machine oder Internet-of-Things Szenarien möglich.

Die größte Gefahr ist die Herrschaft der Algorithmen

Alle oben aufgeführten Beispiele benötigen zu ihrer Umsetzung Daten. Während Bewegungsdaten eines Containers im Rahmen von Logistik-Anwendungen als eher unkritisch einzustufen sind, unterliegen persönliche Daten besonderen Anforderungen im Hinblick auf Sicherheit und Wahrung unserer Privatsphäre. Niemand dürfte daran interessiert sein, seine medizinischen Daten offen im Netz zu finden. Im Umgang mit Daten müssen jedoch nicht nur individuelle und wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Interessen in Erwägung gezogen werden. Hier muss die Legislative die notwendige Basis schaffen, denn das eigentliche Risiko ist nicht, dass Maschinen intelligenter als Menschen werden, sondern die Herrschaft der Algorithmen, also letztendlich von Mathematik, Statistik und Ökonomie.

Ein weiteres, oft übersehenes Problem ist der Ressourcenverbrauch und der damit verbundene CO2-Ausstoß. Um zwei Beispiele aufzuführen:

  • Wäre das Internet ein Land, wäre es weltweit der drittgrößte Energieverbraucher.
  • 2015 wurden 42 Mio. Tonnen Elektroschrott ausrangiert, 2020 sollen es bereits 52 Mio. Tonnen sein.

Natürlich führen digitale Technologien auch zu Ressourcen- und Kosteneinsparungen, aber diese werden oft durch Rebound-Effekte zunichtegemacht. Online-Shopping erspart uns den Weg ins Geschäft und ist in vielen Fällen kostengünstiger. Leider neigen wir jedoch dazu, das eingesparte Geld durch mehr Käufe auszugeben – wodurch die Gesamtbilanz wiederum negativ wird.

Im Extremfall limitieren digitale Technologien sich selbst, wie das Beispiel Blockchain anschaulich zeigt. Blockchain ist so rechenintensiv, dass ein großflächiger Einsatz unsere Energie-Kapazitäten übersteigen würde. Natürlich wird an energieeffizienten Algorithmen gearbeitet, aber mit diesen reduziert man – nach aktuellem Kenntnisstand – die Sicherheit von Blockchain.

Technologischer Fortschritt wirft vielfältige Fragen auf, für die idealerweise im Vorfeld Antworten gesucht werden sollten. Nehmen wir das Beispiel Künstliche Intelligenz:

  • Wie bewerten wir eigenständig handelnde und entscheidende Algorithmen?
  • Muss es No-Go-Areas, wie beispielsweise die Waffentechnologie, geben?
  • Wie begegnen wir der Verschiebung hin zu hochqualifizierten Tätigkeiten?
  • Wie gehen wir mit dem Spannungsfeld Persönlichkeitsrechte und Daten um?

Nur wenn wir die Gesamtbilanz des Einsatzes von Technologie Ende-zu-Ende betrachten, werden wir echte Verbesserungen erreichen.

Wohin steuert die Menschheit?

Die globalen Herausforderungen sind unübersehbar, die richtigen Wege leider nicht immer, denn unsere Welt ist nicht nur globalisiert, sondern die Problemfelder auch noch hochgradig miteinander vernetzt. Es gilt jetzt unsere Möglichkeiten zu nutzen und die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen.

Ökonomische Stärke und Nachhaltigkeit können beispielsweise über Innovationsfähigkeit in positiver Weise gekoppelt werden, sind aber gleichzeitig nicht unbeeinflusst vom demografischen Wandel und Urbanisierung. Einerseits reduziert die Alterung der Gesellschaft den Anteil der arbeitsfähigen Bevölkerung, andererseits treibt Urbanisierung Ressourcenverbrauch und CO2-Ausstoß in die Höhe.

Die Kosten des Gesundheitssystems nehmen, unter anderem getrieben durch die Alterung der Gesellschaft, einen kontinuierlich steigenden Anteil am Bruttoinlandsprodukt ein. Neben der Kostenproblematik stehen wir vor der Herausforderung, Lebensqualität und Lebenserwartung in Einklang zu bringen und dem Mangel an medizinischem Personal zu begegnen. Digitale Technologien helfen durch die Anwendung unterschiedlicher Hebel.

Ich beneide Sie um diese ersten Schritte in eine neue Zeit.

Jean-Luc Picard

Die Komplexität und Tragweite der Fragen und ihrer Antworten bedarf des Mitwirkens von Regierung, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft. Im Bemühen die Welt nachhaltiger zu gestalten, gilt es natürlich auch, die Möglichkeiten von Technologie zu nutzen. Hierbei gilt es aber, eine Ethik zu entwickeln, die über die Nutzung als Werkzeug zur Effizienzsteigerung hinausgeht und sicherstellt, dass unsere Welt eine humane bleibt. Dazu bedarf es eines Verständnisses der technologischen Entwicklungen und der sich daraus ergebenden Konsequenzen, damit wir am Ende der Reise, um Jean-Luc Picard zu zitieren, sagen können „Ich beneide Sie um diese ersten Schritte in eine neue Zeit“.

Andrej Budo-Marek

Andrej Budo-Marek

von GQ

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