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Die AR-Brille Magic Leap One im Hands-on: Irgendwie zauberhaft, aber nicht magisch

von Michael Förtsch
Eigentlich gibt es die Magic Leap One derzeit nur in den USA zu kaufen. Aber einige Exemplare der Augmented-Reality-Brille haben es auch nach Deutschland geschafft. WIRED konnte eine davon in einem ausführlichen Probelauf testen.

Es war vor allem das, was nicht zu sehen war, was das kleine Start-up in Dania Beach, Florida, so faszinierend machte. Tech-, Finanz- und Mediengrößen wie Google, Alibaba, Kleiner Perkins, Warner Bros., Legendary Entertainment und JP Morgen steckten über zwei Milliarden US-Dollar in das 2010 gegründete Unternehmen. Einladungen in das mindestens fünf Flugstunden vom angesagten Silicon Valley gelegene Hauptquartier von Magic Leap waren rar und begehrt. Aber woran dort tatsächlich gearbeitet wurde, das wusste über Jahre hinweg keiner so recht. Und die, die es erfahren hatten, die sagten selbstverständlich nichts. Magic Leap glich damit beinahe einem okkulten Tempel, der mystische Offenbarungen und einen Blick in die Zukunft versprach. Der Firmengründer Rony Abovitz, der einst durch medizinische Roboter reich und berühmt geworden war, befeuerte das mal mit stoischer Geheimnistuerei und dann wieder mit vagen Andeutungen.

Erst Patente und Jobauschreibungen machten um 2014 klar, dass das Team um Abovitz an einer Art „Google Glass auf Drogen“ arbeitet. Von da an dauerte es noch ein Jahr, bis Magic Leap sich selbst aus dem Stealth Mode wagte und mit einem Video zeigte, was es da in Florida entwickelt: eine Augmented-Reality-Hard- und Software, die virtuelle 2D- und 3D-Objekte mit der echten Welt und ihrer Geographie verschmilzt; ein magisches Gerät, das sowohl Roboter aus Wänden brechen, Gras aus Tischen als auch Kalender aus der Handfläche und ein Browser-Fenster aus der Schreibtischschublade wachsen lassen kann. Spatial Computing nennt sich diese Vision, bei der die Nutzer vom Computer und seinen Arbeits- und Nutzungsoberflächen quasi eingehüllt werden.

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„Denk es dir als die Zukunft der Digitalisierung“, hatte Abovitz gesagt. „Es macht die Welt zu deinem Desktop und virtuellen Sandkasten.“ Die TV-, die Smartphone- und Kinobranche könne Magic Leap in den Abgrund drängen, spekulierten einige Medien bereits. Die Hardware, die mysteriöse Augmented-Reality-Brille, die all das möglich mache, die hielt das Unternehmen aber weiterhin unter Verschluss. Erst Ende 2017 wurde sie enthüllt: die Magic Leap One. Bis sie dann tatsächlich zu haben war, dauerte es noch ein Jahr. Seit dem 8. August kann die für Entwickler vorgesehene Creator Edition bestellt werden – zu einem Preis von 2.295 US-Dollar, und das nur in den USA.

Wie die Magic Leaop One nach München kam

Dennoch befinden sich zwei der ersten Exemplare, die versandt wurden, seit kurzem bei einer jungen Firma in München, beim 2015 gegründeten Start-up Holo Light, das Virtual-Reality- und Augmented-Reality-Applikationen für Industrieanwendungen entwickelt. „Wir wollen mit AR-Smart-Glasses die Industrie bereichern“, sagt Chef und Gründer Florian Haspinger, der WIRED zu einem Hands-on mit der Magic Leap One eingeladen hat. „Es geht uns etwa darum, dem Werker bei der Arbeit in der Halle, beim Ingenieurs- oder Design-Prozess zu unterstützen.“ Geht es nach den Holo-Light-Entwicklern, sollen Ingenieure beim Konstruieren von Motoren und Aufbauen von Maschinen deren digitale Abbilder vor sich schweben haben, sie manipulieren und umgestalten können. Ebenso sollen die Mitarbeiter in Autofabriken bei der Qualitätskontrolle eine virtuelle Checkliste im Augenwinkel tragen, Sollwerte abrufen und Fehler direkt mit der Brille fotografieren und weiterleiten können. Dafür entwickelt das Team auch einen eigenen AR-Stift, der genauer arbeiten und besser zu tracken sein soll als bisherige AR- und VR-Controller.

Ebenso werkelt die österreichisch-deutsche Mannschaft an einer eigenen VR- und AR-Infrastruktur. „Das soll es mehreren Personen erlauben, in Echtzeit in virtuellen Umgebungen kollaborativ zu arbeiten“, sagt Haspinger. Hierbei hat das Start-up bereits einige der ganz großen Namen der Tech-Branche im Boot – die wir aber noch nicht verraten sollen. Wichtig für das Team: Ihre Software soll möglichst auf allen Geräten verfügbar sein. „Daher ist eben auch die Magic Leap interessant“, so Haspinger. Nur über gute Kontakte in die USA ist sie so schnell in die bayerische Hauptstadt gekommen. Namentlich war das Jad Meouchy von BadVR zu verdanken, der mit seinen Mitarbeitern vor allem an der VR-Visualisierung von Finanz-, Transaktions- und Grundstücksdaten arbeitet. „Er hilft uns in dieses ganze Netzwerk reinzukommen“, sagt Haspinger. „Er unterstützt uns sehr, stellt Kontakte her und arbeitet selbst an spannenden Projekten.“

Die Augmented-Reality-Brille im Probelauf

Kollegen in den USA haben die Magic Leap One bereits vor der Veröffentlichung bei Magic Leap ausprobiert und waren mehrheitlich ernüchtert. WIRED gehörte nun zu den ersten, die sich auch in Deutschland austesten konnten: Tatsächlich hat schon das Anlegen der Magic Leap wenig magisches. Das liegt vor allem an der Untertassen-großen und immerhin 415 Gramm schwere Recheneinheit – genannt Lightpack – , die mit einem breiten Clip an die Hosentasche oder den Gürtel geklemmt wird. In ihr sind unter anderem der Nvidia Tegra X2, acht Gigabyte RAM und 128 Gigabyte Speicher sowie wie eine Batterie verbaut, die zwischen zweieinhalb und drei Stunden durchhält.

Von der Recheneinheit aus verläuft ein dickes Kabel zum Headset – offiziell Lightwear genannt. Das Headset ist weit weniger schwer und klobig als Microsofts HoloLens, die vor immerhin zwei Jahren ihre Premiere feierte. Tatsächlich liegt die Magic-Leap-Brille mit 325 Gramm an Gewicht und ihrer Stirnbandform vergleichsweise leicht und komfortabel auf dem Kopf; ähnlich wie eine gut gepolsterte Taucher- oder Skibrille. Leider machen es die massiven Bügel und die Linseneinfassung unmöglich, eine Brille darunter zutragen. Immerhin ermöglicht es ein Magnet-Clip zusätzlich geschliffene Linsen mit Stärke einzusetzen.

Das Design des Magic-Leap-One-Headsets ist ziemlich futuristisch geraten und erinnert an etwas, das ein Keyboard Cowboy in einem William-Gibson-Roman wie Neuromancer tragen würde, während er durch den Cyberspace schwebt. Auch im kommenden Action-Rollenspiel Cyberpunk 2077 würde es wohl wenig auffallen, wenn einer der Charaktere mit einem solche Gadget auf der Nase umherlaufen würde.

Der dritte Teil der Magic Leap One ist der Controller, der mit seiner Form, der Touch-Fläche und Button-Platzierung verdächtig an den der Oculus Go erinnert – und auch genauso gut und unkompliziert funktioniert. Damit wäre alles zusammen und startklar – eigentlich. Denn bevor man wirklich loslegen kann, muss die Brille erst einmal das Linux-basierte Betriebssystem Lumin OS booten. Und das dauerte – zumindest in unserem Versuch – fast drei Minuten. Das ist deutlich länger als es bei einer Oculus Go oder bei den meisten Mixed-Reality-Headsets dauert, die spätestens nach einer Minute startbereit sind.

Bevor man wirklich loslegen kann, muss außerdem der Raum, in dem gespielt oder gearbeitet wird, gemapped werden. Das geht ähnlich wie bei einer Panoramaaufnahme mit einem Smartphone: Mit der Brille wird herumgeschwenkt. Dann müssen mit gezielten Blicken eventuelle schwarze Flecken an der Decke oder dem Boden ausgefüllt werden, die die Kameras der Brille nicht gleich ausmachen und kartographieren konnten. Das ist's, was die Magic Leap One besonders macht: Environment und Real World Awareness. Zumindest in gewissen Grenzen, weiß die Brille, wie die 3D-Umgebung um den Nutzer herum ausschaut und strukturiert ist.

Noch ist die Brille nicht massentauglich

Da der Shop von Magic Leap praktisch noch leer ist, gibt es noch nicht allzu viel auszuprobieren. Eine App, die von vornherein integriert ist, ist Create, die ganz gut demonstriert, was mit der Magic Leap One machbar ist. Denn mit Create lassen sich aus vorgefertigten Bauteilen eigene kleine Welten und Spiele in die reale Umgebung hineinbauen. Mit dem Laser-artigen Zeiger des Controllers können beispielsweise kleine Gruppen von Comic-Bäumen und Wiesen gepflanzt werden, die mit einem Flop aus dem Boden schießen. Es lassen sich Rampen und Rutschen in die Luft und damit kleine Achterbahnen aufbauen. Wird dann ein Rad oder eine Kugel hineingesetzt, sausen diese die Bahn physikalisch korrekt entlang.

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Außerdem können virtuelle Dominosteine aufgestellt werden. Beginnt man damit auf einer Tischplatte und kommt an deren Rand, werden die nächsten Steine auf dem Boden – und damit quasi eine Etage tiefer – platziert. Kippt man sie später mit einem Fingerzeig um, fällt der letzte Stein auf dem Tisch von der Kante auf die Steine darunter. Dort geht die Kettenreaktion weiter. Ähnliches gilt für kleine Figuren wie einen Ritter oder einen Tyrannosaurus Rex, die einfach in den Raum gesetzt werden können – und sich automatisch gegenseitig bekriegen. Stapft der Dino über eine Couch und sieht unter sich den Krieger patrouillieren, springt er mit einem Fop-Klang hinab und zermatscht ihn. Eine Schildkröte, die in die Luft frei gelassen wird, schwimmt herum, weicht Wänden, Zimmerpflanzen und Pfeilern aus.

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Diese kleine Wesen und Gegenstände wirken durch die Brille gesehen plastisch und greifbar. Ihre Farben und Flächen sind massiver und stärker als bei Microsofts HoloLens, was sie aus der realen Umgebung zwar herausstechen lässt aber nicht unnatürlich abhebt. Das ist auch der Lichtleitertechnik von Magic Leap zu verdanken. Denn die Bilder werden hier durch quadratische transparente Photonik-Wafer, die hinter den runden Gläsern sitzen, gezeichnet, die das Licht direkt auf die Retina projezieren. Ebenso ist auch das Blickfeld in dem die 3D-Figuren dargestellt werden, mit 50 Grad breiter als bei Microsofts Brille, die nur 35 Grad aufbringt. Aber: Es ist trotzdem nicht einmal annähernd umfassend genug. Nähert man sich den digitalen Kreaturen an, verschwinden Teile von ihnen an den Rändern der Wafer aus dem Sichtfeld – beinahe als würde man stetig durch ein Fenster schauen. Das kratzt stark an der Immersion und Glaubwürdigkeit; ein großes Problem bei allen aktuellen Augmented- und Mixed-Reality-Headsets, das auch die so lange erwartete Magic Leaop One nicht löst.

Läuft jemand zwischen den Nutzer und eine der Create-Figuren, dann flackert sie kantig hindurch. Ebenso wenn eine Zimmerpflanze oder ein Tisch- und Stuhlbein in die Quere kommt. Weniger auffällig war dieses Problem bei Tónandi, einer interaktiven AR-Musik- und Optik-Erfahrung, die in Zusammenarbeit mit der Band Sigur Rós entstand. Zu ätherischen Klängen wachsen hier Unterwasserpflanzen aus Tischen, Stühlen und Decken. Dazu fliegen leuchtende Funken und Lichtbälle umher, die mit den Händen – die recht akkurat erkannt werden – gefasst, gezogen und aufgeladen werden können, um einen dann in die nächste Zauberumgebung zu ziehen, wo andere Pflanzen und magische Effekte zu sehen sind. Das ist schick, kunstvoll aber nichts, was zulange beschäftigt.

Ein bisschen Zukunft, aber noch nicht mehr

Die Creator Edition der Magic Leap One lohnt sich zurzeit wirklich nur für Entwickler, die dafür auch Programme oder Games gestalten wollen. Denn was es für die Brille gibt sind eher Technologie-Demonstrationen, die noch keinen sinnigen Mehrwert liefern. Das soll sich bis zum Erscheinen der Konsumentenversion noch ändern. Nicht umsonst hat Magic Leap Neal Stephenson, den Autor von Snow Crash, sowie Graeme Devin, den Macher von The 7th Guest, angeheuert und ist eine Partnerschaft mit WETA eingegangen, dem Special-Effects-Team hinter Der Herr der Ringe, das am Steampunk-Robo-Shooter Dr. Grordbort’s Invaders arbeitet, der bereits im Shop zu finden ist, allerdings mit dem Vermerk „Coming Soon“. Sogar Gollum-Darsteller Andy Serkis arbeitet mit seinem Motion-Capture-Studio The Imaginarium an einem AR-Game, in dem Serkis als ein Ork namens Grishneck auftauche.

Magic-Leap-Gründer Abovitz werkelt wiederum an einem Science-Fiction-Epos, das den Namen Hour Blue tragen soll, aber nicht allzu bald erscheinen dürfte. Außerdem soll das Unternehmen ein Projekt vorantreiben, das KI-Assistenten wie Alexa und Siri auf die Magic Leap One bringen soll – nicht nur als Stimmen, sondern in Form eines 3D-Roboters oder eines menschlichen Assistenten, die sich auch wie ebensolche verhalten sollen. Sie werden eine Beziehung zum Benutzer aufbauen und eine eigene Persönlichkeit entwickeln, heißt sie. Aber auch bis diese erscheinen, dürfte es noch ein weiter Weg sein.

Die Magic Leap One ist zweifellos ein beeindruckendes Stück Technologie und verglichen mit der HoloLens und Google Glass ein guter Sprung nach vorne. „Sie ist leichter zu tragen und es ist angenehmer, damit zu arbeiten“, bestätigt auch Florian Haspinger von Holo Light. Aber den Andeutungen und Versprechungen eines geradezu mystischen Gerätes, das die Art, wie wir uns in der digitalen Welt bewegen, Medien konsumieren und Computer verstehen, verändert, wird es nicht gerecht – und hätte es wohl niemals werden können. Rony Abovitz hat über Jahre hinweg gemeinsam mit Medien einen Hype geschürt, der weit jenseits des machbaren lag. „Ich denke, wir waren arrogant“, hatte der Firmengründer zugegeben.

Nichtsdestotrotz hat die Brille durchaus Potential, wenn freie Entwickler sich ihrer annehmen und Interesse daran finden: Ob das so sein wird, wird wohl die Entwicklerkonferenz LEAP zeigen, die im Oktober in Los Angeles stattfindet. Das Team von Holo Light hat sich bereits bei einem internen Hackathon in die Brille und ihre Software eingegraben. „Wir haben unser HoloView portiert“, sagt Haspinger. „Du kannst also CAD-Modelle laden und betrachten.“ Dabei haben die Entwickler auch schon interessante Funktionen entdeckt, mit denen sich etwa einzelne Finger und Gelenke der Hand erkennen und zwei Controller gleichzeitig nutzen lassen. Aber auch einige renommierte Spieleentwickler vertiefen sich schon in die Magic Leap One und versuchen sowohl bereits erschiene als auch kommende Virtual-Reality-Games auf die Augmented-Reality-Brille zu holen, wie WIRED erfahren hat.

Irgendwie zauberhaft, aber nicht magisch ist die Magic Leap One also. Sie bietet sicher eine Aussicht darauf, was vielleicht einmal sein wird. Doch nur dafür ist der momentane Preis viel zu hoch. Er lässt sich für Nutzer und wohl auch Indie-Entwickler, die hauptsächlich experimentieren, ein wenig Spaß haben oder die Möglichkeiten austesten wollen, nicht rechtfertigen. Vor allem fehlt es noch an Anwendungen und Games, die demonstrieren, wofür die Brille wirklich taugt und was eigentlich dazu verführen soll, sie mehrmals die Woche über den Kopf zu streifen. Ohne die ist die Magic Leap One nämlich nicht mehr als ein teures Experiment.

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