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Test: Die adidas Storefactory fertigt euren persönlichen Pullover

von Lina Hansen
Seit Dezember lässt adidas in Berlin produzieren: Im extra eröffneten Pop-Up Store sollen Kunden noch bis Mitte März ihren eigenen Pullover entwerfen können, der dann direkt im Laden hergestellt wird. WIRED-Autorin Lina Hansen hat die Kleiderfabrik vor Ort ausprobiert.

Dass es um Pullis geht, könnte mir Adidas kaum klarer machen. Als ich den KNIT FOR YOU Pop-Up-Store der Sportmarke im Bikini Berlin betrete, tapezieren sie den ganzen Laden. Sie kleben an den Wänden, stapeln sich in den Regalen, hängen von der Decke. Dabei bin ich eben genau nicht wegen der Masse hier, sondern um mein eigenes Stück stricken zu lassen. Deswegen drückt mir ein Mitarbeiter auch keinen weiteren Pulli, sondern ein Notizbuch samt QR-Code in die Hand.

Nachdem ich Name und E-Mail-Adresse in einen Computer eingegeben habe, bringen mich die adidas-Mitarbeiter in einen dunklen Raum namens „Create-Station“. In der Mitte befindet sich ein weißes Viereck – als ich es betrete, registriert mich ein in die Wand installierter Kinect-Bewegungssensor und eine Projektion auf meinen Oberkörper beginnt.

adidas hat ein Camouflagemuster voreingestellt. Mit jeder Bewegung meines Oberkörpers bewegt und verändert sich auch das Muster, mit den Händen streiche ich es weg und verschiebe es. Im Spiegel kann ich mich beobachten – die Situation mutet fast wie ein Kunstprojekt an. Als ich das Prinzip verstanden habe, scannt die Kollegin von adidas meinen QR-Code. Innerhalb von 30 Sekunden nimmt der Scanner 300 Bilder von meinen persönlichen Zusammenstellungen auf, die alle zu möglichen Mustern für meinen Pullover werden.

Ursprünglich war die Storefactory nur als Teil eines vom Wirtschaftsministerium geförderten Forschungsprojekts geplant. Nun ist sie zum Pop-Up-Store geworden, der auf einem von Anfang bis Ende digitalisierten Einkauf aufbaut, und der das Feedback der Kunden direkt integrieren soll. QR-Code einscannen, gestalten, mit dem perfekt abgestimmten Pullover den Laden verlassen – so verkauft es adidas. Dass die Strickmaschinen im Hinterzimmer durch die Glasscheiben einsehbar sind, soll das Gefühl unterstützen, hier mitbestimmen zu können, was man am Ende mit nach Hause nimmt.

Nachdem ich vor der Kinect noch munter rumgehampelt bin, darf ich mich an der nächsten Station („Scan & Fit“) gar nicht mehr rühren. Im Bodyscanner stelle ich mich auf ein Podest in einer Kabine, während der Scanner mich zehn Sekunden lang rundum vermisst. Das Ergebnis mit meinen genauen Maßen sehe ich danach auf dem Bildschirm. Ein seltsames Gefühl, sich bis aufs letzte Detail rundum anschauen zu können – die ungeschönte Wahrheit sozusagen. Und ein noch seltsameres Gefühl, dass alle diese Daten jetzt bei adidas gespeichert sind. „Der Avatar wird nur vom Hals abwärts gespeichert – und alle Daten sind anonymisiert und werden getrennt von Ihren persönlichen Daten vom Anfang aufbewahrt“, sagt mir ein adidas-Sprecher auf Nachfrage. Möchte ich mich nicht vermessen lassen, könne ich mich aber auch zwischen den Standardgrößen S, M und L entscheiden.

Das Konzept wirkt auf den ersten Blick wie eine Spielerei und der Laden mit seinen Stationen und interaktiven Elementen hat mehr von einem Vergnügungspark als von einem Geschäft. Das Argument dahinter allerdings überzeugt mich: Durch die Anfertigung auf Anfrage könnte in Zukunft die Überproduktion etwa von Kleidung ausgeschlossen werden, durch die genaue Passform und das selbstgestaltete Design würden Reklamationen verringert. Außerdem kann ich mich selbst und mit eigenen Augen davon überzeugen, dass die Produktion unter vertretbaren Bedingungen stattfindet. Die Daten aus dem Bodyscan könnte ich dazu verwenden, beim nächsten Einkauf wieder eine auf mich abgestimmte Passform zu erhalten. Dass mich die adidas-Verkäuferinnen während des kompletten Einkaufs betreuen und mir alles haargenau erklären, finde ich sehr angenehm – ist allerdings auch Geschmacksache.

Der nächste Schritt zum individuellen Pullover führt zur Style&Share-Station. Die Computer übersetzen meine Körpermaße in eine Pullovergröße. Und auch die zuvor erzeugten Muster kommen hier wieder ins Spiel: Das 3D-Modell auf dem Bildschirm zeigt mir alle 300 Varianten, die ich aufgenommen habe. Ich suche mir eine der drei Farben aus (sie richten sich nach der Wolle, die der Store gerade im Laden hat) und scrolle mich durch die Pullovervariationen.

Irgendwann verschwimmen die unterschiedlichen Muster zu einem einzelnen und ich bin überfordert. Ich mag es minimalistisch, also entscheide ich mich letztendlich für eine schlichte Variante. Außerdem stellt das Programm eine sich minütlich ändernde Nummer zur Verfügung, die ich nach Belieben auch einarbeiten lassen kann. Zum Schluss drucke ich mir eine Karte mit allen Informationen zum Pullover aus – ich drücke sie einer Mitarbeiterin in die Hand, die damit den Produktionsauftrag gibt. Praktisch: Wer den Prozess zwischendurch unterbrechen muss, kann später jederzeit wiederkommen und auf alles zurückgreifen, was er bis zu dem Punkt gestaltet und ausgewählt hat.

Innerhalb von vier Stunden stricken die Maschinen im von Glas umgebenen und einsehbaren Hinterraum den Pullover. Von Hand bringen die Mitarbeiter die Etiketten an. Als ich den Pullover abhole, probiere ich ihn gleich an: Er ist gut verarbeitet, fühlt sich angenehm an und sitzt perfekt. Der Preis von 200 Euro klingt hoch – so viel Geld würde ich normalerweise nicht für einen Pullover ausgeben. Doch für die hochwertige Merinowolle, aus der innerhalb weniger Stunden ein Einzelstück entstanden ist, ist der Preis in meinen Augen nachvollziehbar.

Der Einkauf mit motivierender Musik und Design per Kinect ist ein nettes Erlebnis. Ob das Ganze auf Dauer etwas für eine große Masse an Kunden ist und Konkurrenz zu Discountern schaffen kann, bleibt fraglich.

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