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Der Musikpionier Jean-Michel Jarre mag Künstliche Intelligenz, Snowden und den Sound von Monkey Island

von Martin Pieck
Jean-Michel Jarre gilt als Pionier der elektronischen Musik. Seine Alben Oxygène und Equinoxe sind Meilensteine. Bis heute bleibt der 70-Jährige innovativ, wie er im WIRED-Interview bewies. Zurzeit ist er fasziniert von den Möglichkeiten, die Künstliche Intelligenz der Kunst bietet. Neugierig wurde Jarre auch durch ein Projekt mit dem Whistleblower Edward Snowden.

Das Interview mit WIRED hätte der musikalische Querdenker fast verpasst, weil er von (analoger) Technologie ausgebremst wurde: Er blieb im Aufzug stecken. Zehn Minuten später war von Aufregung aber keine Spur, dafür erzählte er unserem Autor völlig entspannt, was er zukünftig von Künstlicher Intelligenz erwartet und warum Vivaldi bei Metallica spielen würde.

WIRED: Sie werden zurzeit vor allem nach einem Song ihres neuen Albums „Equinoxe Infinity“ gefragt. Der heißt „Robots don't cry“. Aber wenn ein Roboter keine Gefühle zeigen kann – wie kann er dann genug Gefühl aufbringen, gute Musik zu machen?

Jean-Michel Jarre: Ich hätte den Song anders nennen sollen, nämlich: Robots don't cry – so far. Ich glaube in den nächsten zehn Jahren werden Algorithmen und KI in der Lage sein, große Soundtracks zu kreieren. Das wird Fragen aufwerfen, etwa wie wir als Künstler uns positionieren sollten. Es ist Teil der menschlichen DNA, dass gestern alles besser war und dass morgen alles noch schlechter wird. Dabei brachte Technologie immer Fortschritte und KI könnte der größte sein. Deshalb ist Equinoxe Infinity eigentlich eine Art Soundtrack für Maschinen, die von uns lernen.

WIRED: Vor 40 Jahren brachten sie Equinoxe heraus – ein Album, das in die Musikgeschichte einging. Auf dem Cover abgebildet waren viele kleine Figuren mit Ferngläsern, die Beobachter. So haben Sie sich damals das Jahr 2018 vorgestellt. Ziemlich treffend. Wenn ich Sie heute bitten würde, ein neues Cover zu gestalten: Wie würden Sie die Zukunft illustrieren, wenn wir wieder 40 Jahre weiterdenken, also ins Jahr 2058?

Jarre: Witzig, dass sie das fragen. Der erste Titel des neuen Albums Equinoxe Infinity war Equinoxe 2058.

WIRED: Wirklich?

Jarre: Ja (lacht). Aber dann kam die Neuverfilmung von Blade Runner ins Kino – und die hieß Blade Runner 2049. Das war mir zu ähnlich. Außerdem liebe ich die Idee der Unendlichkeit. Also schein mir Equinoxe Infinity dann auch passender für die Geschichte, die ich mit meiner Musik erzählen wollte.

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WIRED: Sie mögen auch die Möglichkeiten neuer Technologien, reden viel über Künstliche Intelligenz in der Musik. Nutzen Sie selbst KI in ihren Songs?

Jarre: Für dieses Projekt wollten wir gerne mit KI arbeiten. Ich war im Kontakt mit Google, mit Microsoft, mit Sony, Flow Mashine und so weiter. Wir waren schon auf dem Weg, Außergewöhnliches zu tun. Doch es war nicht möglich – noch nicht. Aber das dauert vielleicht nur noch ein paar Monate.

Ich hätte bereits eine meiner Melodien in einen Algorithmus füttern können, der mir dafür eine Johann-Sebastian-Bach-Version meiner Arbeit zurück gegeben hätte. Das ist aber nicht, was ich erwarte. Es ist nämlich so, dass viele KI-Entwickler besessen sind von Bach und das aus einem guten Grund. Sie sind Mathematiker und Bach ist für sie deshalb natürlich ein idealer Musiker. Aber nun müssen sie langsam verstehen, dass seit Bach etwas vorangegangen ist, vor allem in Sachen Groove. Wir müssen Roboter mit ein wenig Groove impfen.

WIRED: Also steckt im aktuellen Album Groove ohne Künstliche Intelligenz?

Jarre: Künstliche Intelligenz ist vertreten als soziale Inspiration. Sie ist das Thema der Story. Viele von uns verbringen mehr Zeit damit, auf Ihr Smartphone zu gucken als auf die eigenen Partner und Familien. Und diese technischen Objekte beobachten uns ebenfalls, um uns zu studieren, um uns Produkte zu verkaufen, die wir nicht wirklich brauchen, um uns auszuspionieren. Dass Maschinen uns studieren, dass Konsumenten zu Produkten werden, das ist die eher dunkle Seite. Diese Beobachter könnten irgendwann aber auch zu Whistleblowern werden. Sie könnten genauso die Guten sein, die gute Seite der KI. All diese Fragezeichen lasse ich bewusst stehen.

Das ganze Universum basiert auf einer Kette von chemischen Reaktionen.

WIRED: Wird Künstliche Intelligenz uns auch beobachten, wenn es um Musik geht? Dass KI Tracks komponieren kann, ist klar. Aber kann sie auch auf meinen individuellen Geschmack eingehen und mir binnen Minuten meine ganz persönliche Musik komponieren, die gerade zu meiner Laune passt?

Jarre: Das ist eine sehr interessante Frage. Ja, das ist eine großartige Idee. Jede Form von Kunst ist total subjektiv. Wenn man sich vorstellt, dass KI ein ideales Stück Musik nur für dich kreiert … andersrum könnten Menschen auch ideale Musik für Roboter schaffen.

WIRED: Die auch einmal Gefühle haben werden?

Jarre: Jahrhundertelang dachten wir, der Rauch einer Zigarette würde sich zufällig bewegen. Aber das ist nicht der Fall, es ist eine sehr komplexe Gleichung. Das ganze Universum basiert auf einer Kette von chemischen Reaktionen. Auch Gefühle und Emotionen entstammen unserem Gehirn und einer Menge chemischer Kombinationen, die uns zum Lachen und zum Weinen bringen. Wieso sollte das nicht eines Tages auch künstlich möglich sein? Warum nicht? Es ist sehr arrogant zu glauben, dass sei nur menschlich. Das erinnert mich an die, die glauben, es gäbe kein anderes Leben im Universum. Das ist so arrogant. Wir sind verängstigt und arrogant, wenn es um die Zukunft geht und wir sollten da viel demütiger sein. Ich sage nur: Es ist nicht unmöglich.

WIRED: Aber wenn Roboter anfangen zu weinen, werden Künstler…

Jarre: …noch viel mehr weinen (lacht),...

WIRED: ...weil sie nicht mehr gebraucht werden.

Jarre: Das glaube ich nicht. Das ist interessant. Wir haben das ja schon gesagt, als man plötzlich Musik aufnehmen konnte. Man glaubte, dass man keine Orchester mehr bräuchte. Es kam aber völlig anders. Das gleiche Spiel hatten wir mit dem Internet. Da hieß es, es wird die Radiosender killen. Aber die waren nie so einflussreich wie heute, speziell in Ländern, wo das Internet sehr weit fortgeschritten ist. Es ist einfach Entwicklung. Ich sehe nicht ein, warum es nicht cool sein sollte, mit KI zu arbeiten, um sich weiter zu entwickeln. Wieso nicht?

WIRED: Sie sind technischen Entwicklungen gegenüber sehr aufgeschlossen. Das mag verwundern, wenn man sich einen ihrer letzten Feature-Gäste vor Augen führt: Edward Snowden.

Jarre: (lacht) Ja, stimmt. Das ganze Projekt war von meiner Begegnung mit Edward sehr geprägt. Ich bin sehr beeindruckt, weil Edward mich sehr an meine Mutter erinnert. Sie war in der Resistance. Sie hat mir immer gesagt: Wenn jemand mit seinen Handlungen der Gemeinschaft ein Leid zuführt, dann muss jemand dagegen aufstehen. Das tat Snowden. Für mich ist er ein Held, jemand, der die Mächtigen hinterfragt und Ihnen sagt, dass sie Fehler machen. Menschen mit dieser Einstellung wurden von den Mächtigen immer als Terroristen gebrandmarkt.

Snowden ist ein großer Fan von elektronischer Musik und er liebt meine Musik. Er mochte schon den ersten Atari-Computer und die 8-Bit-Musik aus dieser Ära. Als Ingenieur ist sein Blick auf Künstliche Intelligenz sicher etwas kritischer. Aber ja, gute Frage, was er jetzt dazu sagen würde. Die würde ich ihm gerne heute stellen. Er könnte seine Meinung geändert haben. Ich glaube nicht, dass er mir widersprechen würde. Technik ist toll. Du hast halt immer zwei Optionen. Die Sammlung von Information sollte einfach nicht so weit gehen, dass sie Privatsphäre berühren.

WIRED: Das ist ja auch die Aussage Ihres Albums, zwei Seiten einer Medaille.

Jarre: Genau.

WIRED: Nicht nur Edward Snowden hat wohl noch die Melodien der frühen Adventure-Games im Kopf, wenn er an elektronische Musik denkt. In meinem Fall ist es Monkey Island.

Jarre: Oh, ja.

Wenn Vivaldi heute noch leben würde, er würde bei Metallica spielen.

WIRED: Wenn Sie den Titelsong des Games hören: Ist er tatsächlich ein Kunstwerk, wie es die eigene, etwas romantische Erinnerung suggeriert, oder einfach das Produkt limitierter Möglichkeiten, die Computer damals boten?

Jarre: Limitierungen sind der Schlüssel jedes kreativen Prozesses. Das Problem mit heutiger Technik ist doch das: Seit dem Beginn unserer Unterhaltung sind wahrscheinlich ein paar Hundert neue Softwares entwickelt worden. 90 Prozent davon werden morgen früh schon obsolet sein. Technik lässt uns glauben, sie könne unsere Probleme lösen. Das ist wahr in gewissen Situationen, zum Beispiel, wenn ich mir einen Kaffee mache oder den Boden reinigen will. Aber Kunst ist etwas anders. Wir brauchen Limits. Heutzutage müssen wir uns diese Grenzen selbst setzen. Das rate ich jungen Künstlern: Wähle vorsichtig eine einzelne Software und häng Dich da für sechs Monate rein. Dann wirst Du damit etwas ausdrucken können.

WIRED: Also waren die Grenzen das Geheimnis des Erfolgs der alten Game-Klassiker, kein Hindernis.

Jarre: Exakt. Natürlich.

WIRED: Sie haben vor Jahrzehnten Ihre heiß geliebte Gitarre und eine Eisenbahn gegen den ersten Synthesizer eingetauscht. Denken Sie heute noch wehmütig an die Gitarre?

Jarre: Nein, ich konnte mir bald eine neue und bessere kaufen (lacht). Aber ich weiß, was Sie meinen: Für meine letzte Tour hatte ich einen Part mit Heavy-Metal-Riffs, der mir sehr viel Spaß gemacht hat. Ich liebe das. Heutzutage kann man die Genres so gut mischen: Metal mit Klassik, Jazz mit Punk, Hiphop natürlich auch. Es funktioniert. Es ist einfach eine andere Herangehensweise an Musik, wie ein abstraktes Gemälde – der Umgang mit Texturen, Wave-Formen. Es ist wie Kochen auf eine sehr essentielle Art.

WIRED: Es ist aber sicher schwierig, gute Heavy Metal-Musik mit KI zu generieren.

Jarre: Das glaube ich gar nicht. Ich glaube, es ist sogar einfacher. Jazz wäre eher schwierig, alles mit weniger fester Struktur. Metal ist wie klassische Musik. Wenn Vivaldi heute noch leben würde, er würde bei Metallica spielen.

WIRED: Die richtige Frisur hatte er wohl. Jean-Michel Jarre, vielen Dank für das Gespräch!

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