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Dem E-Sport fehlen die Frauen

von Lara Keilbart
Blizzard will groß ins E-Sport-Geschäft mit einer neuen Liga für das Spiel Overwatch einsteigen. Über 100 Profi-Zocker sind bereits unter Vertrag. Unter ihnen keine einzige Frau. Ein Symptom dafür, wie wenig für weibliche Spieler in der Branche getan wird.

Der E-Sport boomt. Turniere füllen ganze Stadien, Spieler fahren millionenschwere Preisgelder und Sponsorenverträge ein.Ganz wie im klassischen Sport gibt es mittlerweile nationale und internationale Ligen – nur Frauen spielen dort selten eine Rolle.

Ein aktuelles Beispiel dafür ist die neue Profiliga für Overwatch. Der teambasierte Ego-Shooter von Blizzard wurde nach seiner Veröffentlichung im Mai 2016 zu einem der erfolgreichsten Online-Spiele weltweit. Mit einer eigenen Liga will Blizzard jetzt auch am Hype um den digitalen Sport teilhaben. Aber als die Teams ihre über 100 Spieler bekannt gaben, war eines auffällig: Nicht eine einzige Frau gehörte zu den Profi-Zockern. Und das, obwohl Overwatch laut der Analysefirma QuanticFoundry das Online-Spiel mit dem höchsten Frauenanteil ist.

Frauen haben schon immer gespielt, auch wenn das Marketing sich meist nur an Männer richtete. Laut Zahlen des deutschen Branchenverbands game sind 47 Prozent aller Gamer weiblich. Auch Hans Jagnow, Präsident des eSport-Bund Deutschland, sagt, dass Gaming nichts mit dem Geschlecht zu tun hat: „Gaming ist schon seit Jahren diversifizierter, als man es in der öffentlichen Wahrnehmung vielleicht vermutet hätte.“ Seine Kollegin Anna Baumann ergänzt: „Gerade im internationalen Kontext ist der Frauenanteil im Management in den letzten Jahren gewachsen.“ Wer sich jedoch nicht durchsetzen könne, seien Profi-Spielerinnen.

Auf den ersten Blick erscheint die E-Sports-Szene dominiert von Männern. Aber in allen relevanten Profi-Games erarbeiten sich zunehmend Frauen ihren Platz. Julia Kiran ist seit Jahren erfolgreiche Counter-Strike: Global Offensive-Spielerin. Sie sagt, sie habe nie wirklich zu spüren bekommen, dass sie als Frau nicht willkommen wäre: „Es gibt einfach noch nicht genügend Frauen, die mit Männern auf dem Top-Level mithalten können“, sagt die Schwedin.

„Der durchschnittliche E-Sport-Zuschauer ist nach wie vor eher männlich, das variiert allerdings auch immer stark anhand des Spieletitels“, sagt ESL-Sprecher Christopher Flato. Trotzdem weiß auch der Turnierveranstalter, dass eine Öffnung der Community hin zum Breitensport nicht von alleine passiert. Die ESL gründete deshalb zusammen mit Hardwarehersteller Intel vor etwa zwei Jahren Any Key, eine Organisation, die sich für eine faire und inklusive Zukunft von Gaming einsetzen soll.

Eine Möglichkeit dafür ist die Veranstaltung von Frauenturnieren. „Ich denke, dass solche Turniere eine großartige Möglichkeit für Frauen sind, zusammenzukommen. Es hilft, eine Gemeinschaft aufzubauen“, sagt StarCraft-II-Spielerin Kathy Shin. Die StarCraft-Szene ist eine der ältesten und wegweisendsten im Bereich E-Sport, aber auch hier sind Männer laut Zahlen der wichtigsten Turnierorganisation ESL immer noch die überwiegende Mehrheit.

Hans Jagnow vom eSport Bund hält nichts von diesem Weg: „Getrennte Ligen entbehren im E-Sport jeder sachlichen Grundlage und wären eher ein Kniefall vor dem männlichen Establishment. Es braucht viel mehr einen Kulturwandel in der Szene, in den Teams und in den Spielen“, sagt er. Wie fernab der Realität dieser Kulturwandel jedoch noch ist, zeigte zuletzt eben auch Blizzard mit seiner Overwatch-Liga ohne Frauen.

Der E-Sport hat noch immer Probleme mit Sexismus: „Ich weiß, wie kindisch manche, nicht alle, Männer sein können. Dass sie einfach nicht zulassen können, dass eine Frau das Sagen hat oder besser ist als sie selbst“, sagt Profispielerin Kiran. Das negative Verhalten mancher Spieler in Videospielen richtet sich jedoch keineswegs nur gegen Frauen. Beschimpfungen und Belästigungen gehört auch für Männer immer wieder zum Alltag in Online-Videospielen. In Overwatch war das schlechte Verhalten zeitweise so schlimm, dass Chef-Entwickler Jeff Kaplan sogar persönlich zu einem besseren Miteinander aufrief und Blizzard ein spezielles Team dagegen einrichtete.

Profispielerin Lilian Chen empfiehlt mit Empathie auf Sexismus und toxisches Verhalten zu reagieren. „Menschen wollen sich ändern und wollen helfen, wenn man sie im richtigen Ton darauf anspricht“, berichtet sie aus eigenen Erfahrungen. Auch Kiran will sich mehr auf die positiven Möglichkeiten konzentrieren. „Wir sollten einander und das andere Geschlecht, in diesem Fall die Frauen, mit offenen Armen begrüßen,“ sagt die Counter-Strike-Spielerin. Auch Flato von der ESL sieht Handlungsbedarf: „Gerade jetzt befinden wir uns in der Zeit, in der solche Weichen gestellt werden müssen. Sowohl innerhalb der Turnierorganisationen, als auch bei Spielern und Zuschauern.“

In Overwatch galt Spielerin Kim Se-Hyeon lange als vielversprechendes Talent. Sie war die erste Frau, die es geschafft hat, sich für das Apex Turnier zu qualifizieren, Südkoreas professionellster Wettbewerb. Sie war so gut, dass ihre Gegenspieler sie des Betrugs bezichtigten. Obwohl es keine Beweise dafür gab und Se-Hyeon sich ihren Gegnern immer wieder in Live-Matches stellte, litt ihr Ruf. Weder sie, noch andere Spitzenspielerinnen wie Riley Frost oder Ye Qianqian bekamen einen Platz in der neuen Overwatch-Liga. Blizzard Entertainment, die Overwatch gerne als besonders inklusiv und offen für alle präsentieren, wollten sich nicht zu den Gründen äußern.

2020 werden E-Sports bereits bei den Asian Games als Medaillensport dabei sein. Der nächste Schritt wären E-Sports als eine Disziplin bei den Olympischen Spielen. Doch bis dahin muss sich gerade in Sachen Sportlerinnen noch viel tun. Auch in Deutschland gibt es fast keine Frauen im Profi-E-Sport. Fußballvereine wie Schalke, Leverkusen und Wolfsburg haben zwar E-Sport-Teams für das Spiel FIFA in ihr Portfolio genommen. Der Berliner Hertha BSC hat sogar eine Akademie ins Leben gerufen. Aber: Auch hier nur Männer. „Scouting funktioniert gerade so: Männer wählen Männer aus, die zu den anderen Männern in den Draft passen könnten. Warum nicht an dieser zentralen Stelle eine Frau in den Prozess integrieren und ihr die Entscheidung lassen? Genug Kompetenz gibt es in diesem Bereich“, sagt Jagnow vom eSport Bund.

Während es im klassischen Sport das Argument gibt, dass Frauen und Männer wegen ihren körperlichen Unterschiede in verschiedenen Ligen spielen müssen, gilt das spätestens im E-Sport nicht mehr. Frauen sind genau so reaktionsschnell mit der Maus wie Männer. Anna Baumann vom eSport Bund rät deshalb, möglichst früh anzusetzen, um eine Trennung nach Geschlechtern zu vermeiden. Als Positiv-Beispiel gilt das amerikanische Team Cloud 9, das bereits eine Nachwuchsförderung aufbaut und dabei auf das gemeinsame Spielen von Männern und Frauen setzt. Darüber hinaus sollten Clubs verpflichtet sein, Trainingsräume zur Verfügung zu stellen, die auch Spielerinnen willkommen heißen, sagt Baumann.

Derzeit leben und trainieren viele Spitzenteams in sogenannten Gaminghäusern, die oftmals Spielern und Spielerinnen nicht einmal Einzelzimmer zur Verfügung stellen. Keine gute Voraussetzung für gemischte Teams. „Es ist unbedingt notwendig, jetzt in dieser jungen, noch offenen Phase des E-Sport eine Kultur zu entwickeln, die Frauen und Männern gleichermaßen Aufstiegschancen vermittelt, bevor sich ein Männerclub dauerhaft etablieren kann“, sagt Baumann.

Repräsentation in der Profi-Liga ist einer der wichtigsten Faktoren, um kompetitives Gaming für Frauen attraktiv zu machen. „Das heißt: Aufstiegschancen schaffen und Männerkultur abbauen“, sagt Jagnow vom eSport Bund. „Da müssen wir selbst besser werden.“ Bis jedoch Frauen auf höchstem Spielniveau keine Seltenheit mehr sind, wird es wohl noch einige Zeit dauern.

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