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„Architecture of Radio“: Richard Vijgen entzaubert das scheinbar Unsichtbare

von Oliver Klatt
Funkmasten und Überwachungssatelliten, WiFi-Router und Serverfarmen: Sie alle senden und saugen rund um die Uhr. Das Informationszeitalter hat ein Netz um die Welt geworfen. Und wir alle sind darin gefangen. Das Kunstprojekt in Form einer iPad-App „Architecture of Radio“ von Richard Vijgen macht dieses Datengeflecht sichtbar, das uns tagtäglich umgibt und durchdringt.

Am Freitag eröffnet im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) die Ausstellung Infosphäre. Mehr als hundert Künstler und Designer aus aller Welt setzen sich darin mit der digitalen Gegenwart und ihren Implikationen für den Menschen auseinander. Genau wie wir von einer lebensspendenden Biosphäre umgeben sind, so die Veranstalter, seien wir auch von einer globalen Infosphäre abhängig, die aus Signalen und Funkwellen, Sendern und Empfängern gebildet wird. Mit seiner App „Architecture of Radio“, die im Rahmen der Ausstellung erstmals genutzt werden kann, visualisiert der niederländische Künstler Richard Vijgen dieses Netzwerk als geisterhafte, elektrisch knisternde Parallelwelt. Mit WIRED Germany sprach er über sein Projekt — und die Überraschungen, auf die er in der Infosphäre gestoßen ist.

Richard Vijgen

WIRED: Richard, als Künstler und Designer beschäftigst du dich vor allem mit der Visualisierung von Daten. Was reizt dich daran?
Richard Vijgen: Ich finde es interessant, abstrakten Konzepten eine visuelle Form zu geben. Das hilft einem dabei, sie besser zu verstehen. Besonders trifft das auf die Digitalkultur zu. Vieles davon entzieht sich unserer Vorstellungskraft und ist nur schwer greifbar. Während wir uns früher das Internet noch als Cyberspace oder im Fall der mittlerweile gelöschten Geocities als Stadt vorgestellt haben, reden wir heute von Social Networks und von der Cloud. Die Sprache, mit der wir das Internet beschreiben, ist abstrakter geworden. Und die Technologie dahinter wird zunehmend unsichtbar. Anfangs musste man die eigene Homepage noch in HTML selbst programmieren, heute lädt man einfach ein Bild mit dem Smartphone auf Facebook hoch, ohne darüber nachzudenken, wie das Ganze funktioniert. Ich möchte dazu beitragen, diese scheinbar immaterielle Welt zu entzaubern und Menschen dabei helfen, eine Beziehung zu ihr zu entwickeln.

Ich wollte, dass es sich anfühlt, als würde man durch ein Fenster in eine unsichtbare Welt hineinblicken.

WIRED: Warum ist das wichtig?
Vijgen: Weil wir in eine immer größere Abhängigkeit von dieser Technologie geraten. Und weil diese Technologie immer komplexer wird. Wir sollten in der Lage sein, zumindest in Teilen zu verstehen, was hinter den Kulissen vor sich geht.

Richard Vijgen

WIRED: „Architecture of Radio“ könnte dazu beitragen. Wenn man die Welt durch die Perspektive der App betrachtet, sieht man all die Handy- und WiFi-Signale, die einen umschwirren, aber auch in der Ferne stehende Sendemasten und Satelliten, die über einem im Orbit ihre Runden drehen. Weshalb wolltest du das alles sichtbar machen?
Vijgen: Es hat mich schon immer interessiert, wie es möglich ist, dass das Internet und alles, was damit zusammenhängt, funktioniert. Als das ZKM an mich herangetreten ist, habe ich mir zunächst die Frage gestellt, auf welche Weise ich selbst mit diesem Netzwerk verbunden bin — und habe dann begonnen, mir das Internet als ganzheitliches System vorzustellen. Ich habe zunächst eine Liste all jener Elemente gemacht, aus denen dieses System besteht: Nicht nur das Signal meines Handys oder meine Internetverbindung, sondern auch die Informationen über das Wetter, die ein Satellit einfängt, der über mir schwebt. Oder auch die GPS-Signale, die ein anderer Satellit zur Erde sendet, damit ich weiß, wo ich bin. Das alles sind Teile einer Infrastruktur, die funktioniert, sobald ich mein Handy nach den Wetteraussichten frage. Aber natürlich ist das nur ein erster Versuch, dieses Netzwerk zu visualisieren, denn es gibt noch viele andere Dinge, die Teil dieses Systems sind, und in Architecture of Radio nicht dargestellt werden. Das Internet der Dinge zum Beispiel: Alltagsgeräte, die Signale aussenden. Oder auch Flugzeuge, die über uns hinwegfliegen.

WIRED: In der Ausstellung zeigt deine App auch den Verlauf der Ethernet-Kabel in den Wänden des ZKM.
Vijgen: Ja, für diese spezielle Version der App habe ich eine weitere Architekturebene hinzugefügt. Beim ZKM war man so freundlich, mir die entsprechenden Bauzeichnungen zur Verfügung zu stellen. Das wird bei der Version von „Architecture of Radio“, die später zum Download veröffentlich wird, natürlich nicht möglich sein.

WIRED: War es denn schwierig, an die anderen Informationen heran zu kommen? Oder sind die für jeden zugänglich?
Vijgen: Die Flugbahnen der Satelliten sind sehr gut dokumentiert. Dafür gibt es die Datenbank des Jet Propulsion Laboratory der NASA. Die weiß über alle Objekte Bescheid, die die Erde umkreisen. Obwohl es vermutlich auch Satelliten gibt, die nicht darin aufgeführt sind. Über die Position der Sendemasten habe ich mich mithilfe des Open-Source-Projekts OpenCellID informiert.

Sobald man das Netzwerk vor sich sieht, wird einem klar, wie abhängig wir davon sind. Wir stecken ganz tief drin.

WIRED: Wie hast du entschieden, auf welche Weise du diese Informationen visualisierst?
Vijgen: Ich wollte, dass es sich anfühlt, als würde man durch ein Fenster in diese unsichtbare Welt hineinblicken. Ich habe mich von Augmented-Reality-Anwendungen inspirieren lassen, die Informationen über die sichtbare Welt darlegen. Der Unterschied ist: Anstatt die Realität um visuelle Elemente zu ergänzen, ersetzt meine App die herkömmliche Wahrnehmung der Welt durch eine, die man sonst nicht zu sehen bekommt. Auch war es mir wichtig, das Interface der App möglichst simpel zu halten. Es gibt keine Knöpfe, die man drücken muss. Stattdessen nimmt man das iPad einfach nur in die Hand und schaut sich mit der App in dieser Parallelwelt um.

Richard Vijgen

WIRED: Man kann die Signale aber nicht nur sehen, sondern auch hören, wenn sie näherkommen oder durch einen hindurchfließen.
Vijgen: Auf diese Sounds bin ich gestoßen, als ich mit dem Frequenzbereich von billigen TV-USB-Sticks herumexperimentiert habe. Damit ist es tatsächlich möglich, akustische Signale von Satelliten zu empfangen, die sich ganz ähnlich anhören, wie die Geräusche meiner App.

WIRED: Gibt es Dinge, die dich überrascht haben, als du dich mit Architecture of Radio erstmals in der Dimension der Funksignale und Satellitendaten umgesehen hast?
Vijgen: Um die App zu testen, bin ich viel damit durch die Gegend spaziert. Dabei ist mir aufgefallen, wie dicht das Mobilfunknetz geknüpft ist. Man bekommt dabei wirklich den Eindruck, dass man es mit einer verstecken Welt zu tun hat, die über spezifische Eigenschaften verfügt. Auch in ihr gibt es Gegenden, die interessanter sind als andere. Bei den Satelliten wiederum fand ich bemerkenswert, wie viele es von denen gibt. Wenn man nach Süden blickt, sieht man, wie sich ein Band aus hunderten Kommunikationssatelliten wie die Milchstrasse über den Himmel erstreckt. Das Erstaunliche daran ist, dass etwa 90 Prozent der Satelliten weniger als zehn Jahre alt sind. Einige kleinere Modelle werden sogar in Schwärmen ausgesetzt — die sogenannten Doves vom Planet Lab in San Francisco. Und es werden immer mehr.

WIRED: Beunruhigt dich, was du mit deiner App sichtbar gemacht hast?
Vijgen: Das ist ein schwieriges Thema. Ich habe schon mehrere E-Mails von Menschen erhalten, die sich für elektrosensibel halten und glauben, diese Wellen spüren zu können. Mich hat sogar eine Firma kontaktiert, die Farbe herstellt, die WiFi-Signale abschirmen soll. Mir ist bewusst, dass viele Menschen das alles für sehr problematisch halten. Ich weiß aber auch, dass nur wenige Wissenschaftler ihnen zustimmen. Keine Ahnung, wie gesundheitsschädlich diese Strahlungen sind. Sicher ist jedoch, dass einem bereits vom Anschauen mulmig werden kann — womöglich, weil man die eigenen Ängste vor der modernen Gesellschaft darauf projiziert. Und über eines gibt es überhaupt keine Zweifel: Sobald man dieses Netzwerk vor sich sieht, wird einem klar, wie abhängig wir von diesem System sind. Es ist notwendig geworden für die ökonomische und politische Struktur unserer Welt. Wir stecken da ganz tief drin.

Die Ausstellung „Infosphäre“ im ZKM läuft bis zum 31. Januar 2016. Zum Jahreswechsel soll Architecture of Radio für iOS- und Android-Geräte als Download erhältlich sein. 

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