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CRISPR: Gentechnik soll Küken vor dem Schredder retten

von Martin Pieck
Ein gentechnisches Verfahren aus Israel soll das alltägliche Küken-Gemetzel beenden – und der Industrie zusätzlichen Profit bescheren. Die Eier werden dabei zum Leuchten gebracht. Andere Methoden dürften aber schneller marktreif sein.

Hühner sind längst Designer-Tiere. Die Agrarindustrie hat sie zur Brut oder zur Mast optimiert. Masthühner werden deutlich größer als Legehennen. Letztere produzieren dafür viel mehr Eier. Nur die Hähne, also die männlichen Hühner, die bringen vielen Firmen zu wenig Profit. Sie setzen kaum Fleisch an und liefern keine Eier. Daher werden sie kurz nach dem Schlüpfen umgebracht – massenweise.

Rund 45 Millionen männliche Küken wurden in Deutschland letztes Jahr geschreddert oder mit CO2 vergast. Was der Geflügelindustrie wirtschaftlich sinnig erscheint, löst bei immer mehr Menschen Entsetzen aus. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) fasst das in eher vorsichtige Worte: „Die Erwartungen sind ganz klar gestiegen, wenn es um Tierhaltung geht."

Die Regierung will das Gemetzel beenden – nur wie?

Beinahe sechs Monate hat es gedauert, bis nach der Bundestagswahl die neue Regierung stand. Eines stand in den zähen Verhandlungen zwischen den Parteien aber schnell fest: Das Kükenschreddern soll ein Ende haben. Und das obwohl die Rechtmäßigkeit der Praxis sogar richterlich bestätigt wurde. Eine Aufzucht der männlichen Küken dauere viel zu lang und sei „mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden“ schrieb das Oberverwaltungsgericht Münster in einem Urteil, mit dem es eine Klage von Tierschützern zurückwies.

Im Koalitionsvertrag verpflichten sich CDU, CSU und SPD, das Töten von „Eintagsküken“ bis zur Mitte der Legislaturperiode zu unterbinden und erklärt ihre Absicht, „spezifische Ausstiegs-Szenarien“ zu entwickeln. Bislang klingen die allerdings ziemlich aufwendig. So sollen beispielsweise kleine Löcher in jedes einzelne Ei gefräst werden, um dann mittels Laser am Nukleinsäurengehalt das künftige Geschlecht vorhersagen zu können. In anderen Szenarien funktioniert die Geschlechtsbestimmung durch Flüssigkeitsentnahme und deren Analyse. Beide Varianten setzen allerdings physische Eingriffe beim Ei voraus. Heißt: Das alles dauert und ist teuer. Die Agrarlobby dürfte daher wenig begeistert sein.

Israel könnte die Lösung gefunden haben

Ein Start-Up aus Tel Aviv könnte nun eine kleine Geflügelrevolution entfachen. Die Firma eggXYt verspricht nämlich eine Methode, die deutlich kostengünstiger sein und ohne Eingriff am Ei ablaufen soll. Wenn es nach den Forschern aus Israel geht, sollen die männlichen Eier künftig unter UV-Licht sofort erkannt werden können. Sie sollen deutlich sichtbar gelb aufleuchten.

Möglich machen soll das das Genom-Editing-Verfahren CRISPR/Cas9. Dabei wird in das Erbgut der Muttertiere eingriffen, wobei neue Gene an bestimmten Stellen präzise ins Genom, also ins Erbgut der Henne, eingefügt werden. Die Einbringung des fluoreszierenden Proteins wird exakt so vorgenommen, dass später nur die Eier unter UV-Licht gelb strahlen, die diesen Bestandteil enthalten: die „männlichen" Eier.

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Die Methode hätte einen großen Vorteil gegenüber anderen Verfahren, an denen geforscht wird: Eine Bestimmung des Geschlechts ist dabei schon am ersten Tag nach dem Legen des Eis möglich. Die unbebrüteten Eier können sofort weiterverarbeitet werden – zum Beispiel als Tierfutter, in der Kosmetikindustrie oder sogar als Frühstücksei. Bei alternativen Methoden klappt das nicht so leicht, beispielsweise beim Prototypen eines Leipziger Forschungs-Teams. Durch Endokrinologie werden dabei zwar auch ziemlich zuverlässige Prognosen zum Kükengeschlecht möglich. Das Ei muss aber schon ein paar Tage bebrütet worden sein. Es kann zwar dem Brutvorgang entzogen werden, bevor das vermutete Schmerzempfinden des Embryos einsetzt. Die Entwicklung des Kükens hat aber bereits begonnen.

Sieben Milliarden männliche Küken könnten „gerettet“ werden

Aussortieren, bevor gebrütet wird – das ist eines der Argumente, mit denen die eggXYt-Macher ihre Methode anpreisen. Sie sagen: Damit könnten weltweit über sieben Milliarden Küken-Leben jährlich gerettet werden. Oder besser gesagt: Sie schlüpfen erst gar nicht, sondern kommen als Eier in den Verkauf. Küken-Sortierer würden überflüssig. Die Industrie hätte also finanzielle Vorteile: eine Win-Win-Situation – möglicherweise.

Ob man hier tatsächlich von Lebensrettung reden kann, in dem man verhindert, dass Leben überhaupt entsteht, lässt sich natürlich diskutieren. Das erklärte Ziel von eggXYt ist jedenfalls ehrgeizig: „Wird unsere Technologie eingesetzt, geht die Zahl der ungewollten männlichen Küken weltweit von sieben Milliarden runter auf null“, sagt Yehud Elram, einer der Firmengründer, zu WIRED.

DNA der weiblichen Hühner soll unberührt bleiben

„Bei unserem Produkt bleibt die weibliche Legehenne genetisch unberührt, ihre DNA ist identisch zu der eines normalen weiblichen Huhns“, sagt Elram. Lediglich die männlichen Eier, also die ungewünschten, würden eine Biomarkierung beinhalten. Eine Behandlung sei außerdem nicht bei jedem Muttertier nötig. Die Fähigkeit, fluoreszierende männliche Eier zu legen, werde von Generation zu Generation weitervererbt. Eine Behandlung sei also nur an der Spitze der genetischen Pyramide notwendig.

Gentechnik ist umstritten, gerade in Deutschland. Es hängt also auch von der ethischen Beurteilung der neuen Methode ab, ob sie hierzulande eingesetzt wird. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat die Forschung zur Geschlechtererkennung im Ei in den letzten Jahren mit knapp fünf Millionen Euro gefördert. Bislang profitierte davon unter anderem das Leipziger-Projekt. Eine Sprecherin des Ministeriums sagte aber zu WIRED, das man allen Ansätzen offen gegenüber stehe, die das Kükentöten schnellstmöglich beenden können. Um eggXYt einschätzen könne, fehle es aber noch an Hintergrundinformationen.

Wird das Genom-Editing des Start-ups so bewertet, dass die Tiere danach als gentechnisch verändert gelten, dann bräuchte es eine spezielle Zulassung, um die Eier in der EU verkaufen zu dürfen. Die Entscheidung, die für Yehud Elram und sein Team von großer Bedeutung ist, könnte aber bald anstehen. Denn nach eigener Aussage sind sie schon ziemlich weit mit ihrer Entwicklung. Bis die Technik marktreif ist, könnte es danach trotzdem noch ein paar Jahre dauern.

Endspurt zum Ende des Kükenschredderns

Die Forscher und Unternehmen, die zurzeit an Alternativen zum Kükenschreddern und -vergasen arbeiten, sind weltweit auf der Zielgeraden. Sobald die erste Technik praxistauglich und umsetzbar ist, will die Regierung das Töten der Eintagsküken verbieten. Auch der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft bereitet sich auf den Ausstieg vor. „Es gilt unser klares Bekenntnis zum Ausstieg aus der Praxis des Tötens männlicher Eintagsküken, sobald eine praxistaugliche Alternative vorliegt.“

Die deutschen Unternehmen haben die Methode, die gerade in Israel entwickelt wird, noch nicht auf dem Schirm. Sie konzentrieren sich auf Verfahren, die kleine Eingriffe im Ei voraussetzen, aber schon länger getestet werden. REWE etwa setzt auf die endokrinologische Variante aus Leipzig. Ein weiterer Forschungsbeitrag kommt derzeit aus Bayern. Vor wenigen Tagen gab die Technische Universität München bekannt, ein Patent auf ein neues Verfahren angemeldet zu haben. Dabei wird – wie beim israelischen Projekt – ebenfalls nicht-invasiv gearbeitet, das heißt: ohne Öffnen oder Einstechen der Schale. Mit Hilfe von Magnetresonanztomographie soll hier das Kükengeschlecht sichtbar gemacht werden. In zwei Jahren soll ein Prototyp stehen.

Je früher die erste Technologie marktreif ist, desto mehr männlichen Küken bleibt das Schreddern oder Vergasen erspart. Sie werden dann gar erst geboren, sondern landen in Kosmetik – oder am Frühstückstisch.

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