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Brauchen wir eine Klarnamenpflicht in sozialen Netzwerken?

von Johnny Haeusler
Die Forderung nach einer Klarnamenpflicht im Internet ist zurück. Dabei hatten wir das alles doch schon einmal. Sind wir mittlerweile weiter und könnte es einen Kompromiss geben? Unser Kolumnist Johnny Haeusler übt sich in Zuversicht aber hat auch Zweifel.

Ich bin Social-Media-Opa. Ich schaue mir den ganzen Quatsch jetzt einfach schon zu lange an. Jedes Jahr das Gleiche. Die Tweets und Facebook-Posts wegen des zu heißen Sommers. Oder wegen des ersten Schnees. Die nackten Instagram-Füße vor der Brandung, wenn man mal Urlaub hat. Die Feuerwerk-GIFs zum Jahreswechsel …

Was wir aber schon seit längerer Zeit nicht mehr hatten: Die Forderung nach einer Klarnamenpflicht für soziale Netzwerke. Danke also an Daniel Mack, Kommunikationsberater und Politiker bei Bündnis 90/Die Grünen, der zudem von 2012 bis 2014 Mitglied des Hessischen Landtags war.

Am Vormittag des 14.9.2018 schrieb Daniel Mack auf Twitter: „Wird Zeit für eine gesetzliche Klarnamenpflicht auf Facebook, Twitter, Instagram und Co. Wer sich durch das Postident-Verfahren legitimiert, ist dabei. Wer nicht, bleibt draußen. Easy.“

Und er ergänzte danach: „Und wer mir hier nicht mit Klarnamen und Profilbild schreibt, der/die wird in Zukunft keine Antwort mehr erhalten.“

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Die Tweets schienen aus Frust und Wut heraus geschrieben zu sein, Mack führte später einen Screenshot mit einer Gewaltandrohung als Beleg für die Notwendigkeit seiner Forderung an. Auf den ersten Blick klingt das ja auch logisch: Wenn jemand mit seinem „echten“ Namen im Netz unterwegs ist, dann wird er wohl nicht mehr so ausfallend sein, wie es manche Menschen derzeit sind.

Macks ursprünglicher Tweet hatte zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Textes immerhin 256 Likes. Aber auch 749 Antworten, von denen die meisten Daniel Mack mal mehr und mal weniger freundlich verbal den Kopf wuschen. Zurecht.

Zum einen ist die Debatte um Sinn und Unsinn einer Klarnamenpflicht nämlich mindestens so alt wie soziale Netzwerke, ich erinnere mich unter anderem an den Online-Tumult um Googles Netzwerkversuch Google+, bei dem Klarnamen Pflicht waren. Das war 2011.

Zum anderen genügt ein einziges Wort, um die Hoffnung auf besseres Verhalten durch eine Klarnamenspflicht einen schnellen, aber qualvollen Tod sterben zu lassen: Facebook.

Facebook ist schließlich der virtuelle Ort, an dem Thomas Müller (Name geändert) aus der Hauptstraße 1 in Wuppertal (Wohnort geändert) als Geschäftsführer eines mittelständischem Unternehmens (Beruf geändert) öffentlich seinen Gewaltfantasien gegenüber Feministinnen freien Lauf lässt (Beispiel leider nicht geändert). Trotz Klarnamen. Trotz Angabe einer echten Wohnadresse. Und obwohl ein Klick auf seinen Namen sogar den Arbeitgeber preisgibt. Die Nutzung echter Namen, so hat es uns das Internet gelehrt, hält Menschen leider nicht automatisch davon ab, Arschlöcher zu sein.

Und gleichzeitig bedeutet die Möglichkeit, online eben nicht unter einem echten Namen agieren zu müssen, mindestens Freiheit, oft sogar Sicherheit. Denn für Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft, Sexualität, Arbeit oder aus anderen Gründen stärkeren Repressalien, deutlicheren Angriffen und mehr Hass ausgesetzt sind als andere, ist ein Pseudonym oft die einzige Möglichkeit, sich online ausdrücken zu können. Mit einem echten Namen lässt sich auch schnell eine echte Wohnadresse herausfinden, was für Menschen schnell zu einer persönlichen Bedrohung ihrer Sicherheit werden kann.

Wir brauchen Ano- und Pseudonymisierung

Als ich 2010 in meinem Blog über die Missbrauchsfälle an meiner alten Schule in den 70er und 80er Jahren berichtete, meldeten sich in den Kommentaren diverse Betroffene und berichteten erstmalig, nach schmerzvollen Jahrzehnten, von ihren eigenen Erlebnissen und auch von Tätern. Dies wäre ohne die Möglichkeit anonymer Kommentare nicht möglich gewesen, der Fall bleibt mein ganz persönliches Paradebeispiel für die Notwendigkeit von Anonymisierung oder Pseudonymisierung im Internet.

Selbstverständlich bleibt dabei ein Problem. Bei wirklich kompletter Anonymität im Netz besteht auch die Möglichkeit, Straftaten zu begehen, die unter Umständen ungesühnt bleiben, weil der oder die Täterinnen nicht zur Verantwortung gezogen werden können.

Gleiches gilt jedoch auch für Überfälle durch vermummte Personen, die flüchten können, es gilt für Einbrüche, bei denen die Spuren nicht für eine Verhaftung der Täterinnen genügen und es gilt für gut verdeckten Steuerbetrug. Niemand läuft auf der Straße mit einem Namensschild auf dem Rücken herum, und so sollte es auch im Internet möglich sein, sich generell frei zu bewegen.

Die Forderung von Daniel Mack stellt daher die Frage: Will sich eine offene Gesellschaft ihre Freiheiten von wenigen Straftäterinnen nehmen lassen? Und die Antwort darauf kann nur „Nein“ lauten.

Eine Lösung?

Ich kann mir dennoch vorstellen, dass optionale Klarnamen-Registrierungen bei den großen Netzwerken kommen werden. Nutzerinnen könnten sich verifizieren lassen und dennoch unter einem Pseudonym, also „nach außen“ anonym agieren, ihre echten Daten wären allein für Streitfälle hinterlegt. Nur Gerichte dürften dann in solchen Fällen entscheiden, an welchem Punkt und wem Zugriff auf diese Daten gewährt würde. Nutzerinnen könnten zudem entscheiden, dass sie das entsprechende Netzwerk nur mit ebenfalls verifizierten anderen Personen nutzen wollen beziehungsweise dass nur verifizierte Accounts an den eigenen Postings teilhaben können. Anonyme Accounts könnten die verifizierten weder sehen noch kommentieren oder verbreiten. Angriffe durch schnell angelegte Accounts, die nur auf Hetze, Drohungen oder gezielte Attacken aus sind, könnten so sicher minimiert werden.

Eine solche Option ist technisch zwar keine Raketenwissenschaft, aber trotzdem in der Umsetzung nicht ganz profan. Wer hat Zugang zu der Datenbank mit den verifizierten Accounts, wer übernimmt den gesamten Prozess und die Schnittstellen? Wer garantiert die Sicherheit der Daten? Welche Straftaten können zur Freigabe der Daten führen – genügt beispielsweise das unwissende Verbreiten eines GIFs, das ein urheberrechtlich geschütztes Foto enthält? Außerdem bleibt fraglich, ob soziale Netzwerke mit einer solchen „Zweiklassengesellschaft“ noch funktionieren würden.

Trotzdem ist es ja nicht falsch, über Lösungen für die effektive Bekämpfung von Hate Speech, Drohungen, Stalking und anderen Straftaten nachzudenken. Und auch ich bin der Meinung, dass Menschen für ihr Handeln Verantwortung übernehmen müssen.

Eine Pflicht zur Registrierung mit echten Namens- und Adressdaten würde jedoch das Ende der Meinungsfreiheit im Netz bedeuten und viele wichtige Stimmen verstummen lassen. Sie wäre ein Erfolg für die Kräfte, deren Ziel genau die Unterdrückung solcher Stimmen ist und darf daher nicht geschehen.

Es wird leider immer Menschen geben, die errungene Freiheiten für ihre eigenen Zwecke missbrauchen. Das darf aber nicht bedeuten, dass wir diese Freiheiten deshalb abschaffen.

Johnny Haeusler

Johnny Haeusler

von GQ

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