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Beyerdynamic Aventho Wireless test

Der Aventho Wireless stellt das Gehör auf die Probe

von Karsten Lemm
Weil jeder Mensch anders hört, hat der Audiospezialist Beyerdynamic den Bluetooth-Kopfhörer Aventho Wireless erfunden: Per Test in einer App passt der sein Klangbild an das Hörvermögen des Nutzers an. Wir haben getestet, ob dieser Unterschied wirklich zu hören ist.

Ob Bushidos Papa, Beethovens Fünfte oder Ed Sheerans Perfect – niemand hört darin das Gleiche. Unsere Ohren vermitteln jedem ein eigenes Klangbild. Deshalb sind Kopfhörer immer auch Geschmackssache: Was der eine als guten Sound empfindet, mag für den anderen nicht mehr sein als ein dumpfes Dröhnen.

Neben persönlichen Vorlieben spielt das Alter eine große Rolle: Mit zunehmenden Jahren fällt es Menschen schwerer, bestimmte Frequenzen wahrzunehmen. Vor allem hohe Töne leiden üblicherweise bei Menschen über 30. Und wer bei voller Lautstärke zu tief in seine Lieblingsmusik eintaucht, kann das eigene Gehör schon viel früher ruinieren.

Als Antwort auf solche Einflüsse hat Beyerdynamic den Kopfhörer Aventho Wireless entwickelt. „Durch die integrierte Klang-Personalisierung“ passe sich der 450 Euro teure Oberklasse-Kopfhörer „akustisch dem eigenen Gehör an“, verspricht Beyerdynamic, und liefere dadurch den perfekten Sound.

Der Trick liegt im Zusammenspiel aus Software und Hardware: Eine App für iOS und Android testet zunächst das Hörvermögen des Nutzers und speichert dessen individuell angepasstes Profil auf dem Kopfhörer. Beyerdynamic arbeitet dafür mit dem Berliner Startup Mimi zusammen, das auch eine App zur Klangoptimierung für iOS und Android anbietet, die ohne speziellen Kopfhörer auskommt.

Unser Test begann als audiophile Achterbahnfahrt mit Hindernissen. Das lag vor allem an der Beyerdynamic-App, die noch unausgereift ist. Zu Beginn fragt die Software nach dem Alter und erstellt ein Klangprofil, das sich an Mittelwerten für den jeweiligen Jahrgang orientiert. Anschließend folgt die individuelle Anpassung per Hörtest. Dabei soll man den Finger auf dem Display lassen und einen Button drücken, bis der Pfeifton im jeweiligen Ohr verschwindet. Ähnlich funktioniert das auch beim Ohrenarzt.

Im ersten Anlauf kletterte ein pulsierender Pfeifton die Tonleiter rauf und runter. Er wird dabei von Störgeräuschen begleitet und zusätzlich bemühte sich die App, das andere Ohr mit Meeresrauschen, Piepen oder einstürzenden Klangbauten abzulenken. Das sollte nicht so sein: Auf Nachfrage stellte Beyerdynamic klar, dass der Button zunächst kurz angetippt werden muss, ehe es tatsächlich losgehen kann. Der Fehler wurde inzwischen behoben.

Der zweite Durchgang verläuft erfolgreich: Nun piept es einfach nur, ohne Störgeräusche, und sobald der Ton verschwindet, lässt man den Button los. Kehrt er wieder: Daumen drauf, bis nichts mehr zu hören ist. Das Ganze ein paar Minuten lang zunächst fürs linke, dann fürs rechte Ohr. Fertig.

Anschließend fragt die App, wie stark das Klangbild des Kopfhörers an die gemessenen Werte angepasst werden soll. Die Intensität lässt sich in 20-Prozent-Schritten wählen. Beyerdynamic empfiehlt einen mittleren Wert als gute Mischung zwischen Voreinstellung der Ingenieure und Individualisierung. Mit einem Knopfdruck in der App lässt sich die persönliche Anpassung auch komplett ausschalten.

Trotz aller Versprechungen: Wirklich überzeugen konnte uns das Klangbild weder im Urzustand noch in seiner angepassten Form. Ob Pop oder Rock, Elektronik oder Klassik – immer musizierte der Kopfhörer gefällig vor sich hin, ohne uns zu ärgern, aber auch, ohne uns wirklich zu begeistern. Für jedes Gitarrensolo, das durch seine akustische Präsenz in den Bann zog, gab es Klavierpassagen oder Violin-Arrangements, die distanziert blieben, ein wenig verfärbt oder leblos klangen. Oft fehlte es der Musik an Räumlichkeit, Temperament und Fülle.

Einer Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls Probe hörten, ging es ähnlich – egal ob sie sich die Mühe machten, ein eigenes Hörprofil zu erstellen oder nicht. Der Test solle das Klangbild des Kopfhörers ohnehin nicht grundlegend verändern, sondern diene in erster Linie dazu, die untere Hörschwelle der Nutzer zu ermitteln, erklärt Gunter Weidemann, der zuständige Produktmanager bei Beyerdynamic.

So kann die Elektronik individuell Frequenzen verstärken, um Details herauszuarbeiten, ohne das Klangbild pauschal zu verändern, wie es bei einem Equalizer geschieht: Der hebt oder senkt bestimmte Frequenzbereiche für jeden Song und jede Lautstärke, um den Klang stärker in Richtung von Voreinstellungen wie Pop, Akustik oder Hip-Hop zu verändern. „Wir arbeiten dynamisch“, sagt Weidemann. „Je lauter die Musik, desto neutraler der Frequenzgang – das ist der große Unterschied zum Equalizer.“ Prinzipiell lässt sich zwar auch der Aventho Wireless mit einem Equalizer kombinieren, das führt aber schnell zu Verzerrungen.

Einmal erstellt, wird das individuelle Profil im Kopfhörer gespeichert und bleibt aktiv, auch wenn die Musik von einem anderen Gerät kommt, auf dem die App nicht installiert ist. Das hat den Vorteil, dass man zwischen Smartphone, Tablet, Laptop und Stereoanlage wechseln kann, ohne sich Gedanken machen zu müssen, wo die App installiert ist.

Sonst hakt es bei der Bedienung noch in manchen Fällen. Zunächst verlangt das Ein- und Ausschalten kräftige Finger, weil der Knopf keinen spürbaren Druckpunkt besitzt und lange festgehalten werden muss. Auch die Bedienung über ein Touchfeld auf der rechten Kopfhörerseite konnte nicht begeistern.

Theoretisch genügt dadurch ein Fingerwischen nach oben oder unten, um die Lautstärke zu kontrollieren: eine Fingerbewegung nach vorn oder hinten dient zum vorwärts- oder rückwärtsspulen. Ähnliche Gesten erlauben es, Sprachassistenten wie Siri und den Google Assistant zu aktivieren, Anrufe zu beantworten oder zwischen Gesprächen zu wechseln. (Das Mikrofon zum Telefonieren ist in die linke Kopfhörerschale eingebaut.)

In der Praxis allerdings funktionierte das nur mit iTunes einigermaßen verlässlich. Spotify dagegen reagierte so zögerlich, dass wir im Test schnell aufgegeben haben, das Touchfeld zu benutzen. Die Musik wurde sprunghaft laut oder leise, und statt zum nächsten Song zu wechseln, hüpfte man mit einem leichten Wischen quer durch die Playlist. Lediglich das doppelte Antippen für Start-Stopp erwies sich als nützlich. Bei vielen anderen Gesten kommt erschwerend hinzu, dass man präzise auf die Kopfhaltung achten muss, damit das kompassähnliche Bedienkonzept entlang seiner vier Achsen verlässlich funktioniert.

Probleme zeigten sich auch bei der Bluetooth-Verbindung, die an Macintosh-Rechnern mit dem älteren OS X 10.10 („Yosemite“) immer wieder abriss. Beyerdynamic hatte dafür keine Erklärung und schickte uns zur Sicherheit ein zweites Testexemplar, das an älteren Macintosh-Rechnern ebenfalls zu Aussetzern neigte.

Bei neueren macOS-Systemen trat der Fehler nicht auf, auch unter iOS 10 und 11 blieb die Verbindung meist stabil. Allerdings scheiterte die jüngste Version der App auf mehreren Geräten daran, einen der getesteten Kopfhörer anzusprechen – das Profil ließ sich plötzlich nicht mehr aktualisieren, obwohl das Pairing erfolgreich gewesen ist. Erst nach dem Zurücksetzen auf die Werkseinstellungen und mehreren frischen Pairing-Versuchen reagierte der Aventho wieder auf die App.

Erfreulich ausdauernd zeigte sich der Akku, der laut Beyerdynamic mehr als 30 Stunden durchhalten soll. Tatsächlich spielte er bei unserem Test mehrere Tage lang klaglos mit. Kopf und Ohren dürften bei den meisten Menschen hingegen schnell drücken: Mit 238 Gramm ist der Aventho kein Leichtgewicht. Es hat etwas Befreiendes, den Kopfhörer nach ein, zwei Stunden Musikhören abzunehmen. Allerdings ist auch das Geschmackssache – also am besten Probe hören und selbst entscheiden.

Fazit: Der Aventho Wireless ist fraglos ein hochwertiger Kopfhörer, der durch sein Konzept aus der Masse des Angebots heraussticht. Schwächen im Zusammenspiel von Soft- und Hardware trüben allerdings das Erlebnis – und der „Wow“-Effekt, den die Personalisierung verspricht, blieb bei uns aus. Gefälliger Klang auf ähnlichem Niveau muss keine 450 Euro kosten.

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