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Mit der Blockchain wollen Volkswagen, BMW und Co. die Mobilität vernetzen

von Wolfgang Kerler
Anders als bei Elektromobilität und selbstfahrenden Autos wollen die deutschen Hersteller beim Einsatz der Blockchain die Ersten sein. Deshalb sponserten Volkswagen, BMW und Bosch jetzt gemeinsam mit IOTA den „Blockchained Mobility Hackathon“ in München. Die Ergebnisse könnten das Leben für Kunden leichter machen – und Mobilitätsanbieter vor übermächtigen Plattformen schützen.

In einer guten halben Stunde soll es losgehen. Durch das moderne, luftige Office mitten in der Münchner Innenstadt schwirren die Entwickler, die sich zum Hackathon angemeldet haben. Bei bayerischem Bier und Bio-Limonade finden letzte Absprachen der Teams statt. Im gläsernen Meetingraum, der mitten im Großraumbüro ein wenig Ruhe bietet, hat sich eine ungewöhnliche Gruppe für das Interview mit WIRED versammelt.

Am Tisch sitzen Volkswagen, BMW und Bosch, also ein Großteil der deutschen Autoindustrie, der zusammen für einen Jahresumsatz von 400 Milliarden Euro verantwortlich ist. Außerdem hat die IOTA Foundation Platz genommen, die an der dezentralen Infrastruktur für das Internet der Dinge arbeitet. Und auch die Initiatoren des Blockchained Mobility Hackathons sind dabei: die Beratungsfirma Datarella und der Start-up-Investor Vito Ventures. Es liegt Aufbruchsstimmung in der Luft.

Die Blockchain könnte Autobauer und ÖPNV zusammenbringen

„Die Mobilitätsprobleme in den Städten von heute können nur von allen Playern gemeinsam adressiert werden“, sagt Dominik Pietsch, der bei BMW für die Strategie bei Mobilitätsdienstleistungen, Technologie und Innovationen zuständig ist. „Probleme wie Stau und Emissionen müssen wir gemeinsam in den Griff kriegen, ob das jetzt der öffentliche Nahverkehr ist oder private Mobilitätsanbieter.“ Aber wie lassen sich Carsharing, Bikesharing, Bus, Tram, Bahn, Taxi, eigenes Auto und zukünftig vielleicht sogar autonome Fahrzeuge und Flugtaxis unter einen Hut bringen? Hier könnten die Blockchain oder andere dezentrale Datenbanken ins Spiel kommen.

Denn was alle am Tisch verhindern wollen, ist ein Google oder Amazon der Mobilität, also eine mächtige, monopolhafte Plattform, deren Geschäft die Vernetzung unterschiedlicher Mobilitätsanbieter ist. Deren App wäre zwar praktisch für Kunden: Mobilität als Service, egal mit welchem Fortbewegungsmittel. Doch die zentrale Plattform könnte dann auch allen anderen Beteiligten ihre Bedingungen diktieren.

Die Hoffnung der deutschen Autobauer und ihrer Partner beim Hackathon ist, dass sich ein ebenso guter Deal für die Kunden der Zukunft auch mit einer gemeinschaftlichen, offenen Infrastruktur verwirklichen lässt. „Wir wollen hier darüber diskutieren, wie man durch ein dezentrales System viel mehr Demokratisierung in den Markt bekommt“, sagt Peter Busch, der Dezentralisierungsexperte von Deutschlands größtem Autozulieferer Bosch.

IOTA könnte als neutrale Instanz über die Technologie wachen

Wenn sich große und kleine, globale und regionale Player auf eine gemeinsame technologische Infrastruktur verständigen wollen, braucht es eine neutrale Instanz, die den Rahmen dafür schafft. So sieht es jedenfalls Alisa Maas von der Berliner IOTA Stiftung: „Erst wenn man einen gemeinsamen Standard hat, kann man sich darauf konzentrieren, neue Kerngeschäfte zu entwickeln.“

IOTA arbeitet am Tangle, einer Alternative zur Blockchain-Technologie, die durch die Kryptowährung Bitcoin bekannt wurde. Das dezentrale Grundprinzip ist dasselbe. Aber anstatt wie in der Blockchain einen Block nach dem anderen chronologisch zu verbinden, spinnt der Tangle ein großes Netz. Das soll zu mehr Geschwindigkeit bei niedrigeren Kosten führen. Aus Sicht von IOTA könnte der Tangle die Grundlage für das Internet der Dinge sein.

Eines darf man bei der Debatte nicht vergessen: VW, BMW oder Bosch interessieren sich für die Dezentralisierung nicht aus idealistischen Motiven. Natürlich geht es beim Münchner Hackathon ums Geschäft. Die Konzerne fragen sich nämlich nicht nur, wie sie gemeinsam die Mobilität für Nutzer zu einem nahtlosen, einfachen Service umgestalten können. Sie suchen auch nach Lösungen für die Maschinenökonomie. Selbstfahrende Autos müssen ohne menschliche Hilfe in der Lage sein, Transaktionen zu tätigen, zum Beispiel wenn sie ihre Batterie aufladen, oder wenn sie Verkehrsdaten untereinander austauschen. Außerdem wäre es für die Unternehmen reizvoll, die Daten, die ihre Fahrzeuge sammeln, zu verkaufen. Wenn autonome Autos in Unfälle verwickelt sind, braucht es verlässliche, fälschungssichere Daten.

Für all das könnten Blockhain, Tangle oder andere dezentrale Datenbanken, auf die man sich verständigt, die Lösung sein. Ist diese gefunden, soll der Wettbewerb um die bestens Autos und die praktischsten Mobilitätsdienstleistungen aber weitergehen. „Wir sehen uns da in einem Ökosystem, in dem jeder später schauen muss, wie er sein Geld verdient“, sagt Peter Busch von Bosch. Oder wie es Datarella-Chef Michael Reuter formuliert: Mit der Blockchain könnten Wettbewerber enger zusammenarbeiten – und gleichzeitig Konkurrenten bleiben.

Ich hätte echt Bock darauf, dass die europäischen Player den Amerikanern oder Chinesen so richtig in den Arsch treten!

Herbert Mangesius, Vito Ventures

Alle im Raum wirken richtig motiviert. Selbst die, die schon seit Jahrzehnten in der Branche sind, sprudeln vor Ideen. Das könnte daran liegen, dass es hier um eine Technologie geht, bei der die deutsche Industrie keine Aufholjagd hinlegen muss wie bei Elektromobilität und autonomen Fahren, wo das Silicon Valley vorpreschte. „Wir sind hier in Europa sehr stark mit dem Thema Blockchain“, sagt Klaus Schaaf, der Digitalisierungsstratege von Volkswagen. „Das könnte sich wirklich zu einer europäischen Technologie entwickeln, die Amerikaner haben das ein bisschen verschlafen.“

Die Kombination aus Start-ups wie IOTA aus Berlin und großen etablierten Playern wie VW, BMW und Bosch hält er für eine große Chance. Noch deutlicher drückt es Herbert Mangesius von Vito Ventures aus. „Ich hätte echt Bock darauf, dass die europäischen Player den Amerikanern oder Chinesen so richtig in den Arsch treten!“ Was für ein Satz. Er fügt noch hinzu: „Manchmal ist weniger Zurückhaltung einfach besser.“ Andere am Tisch dämpfen die Euphorie dann wieder etwas: Noch habe niemand bewiesen, dass sich mit der Blockchain wirklich alles, was erhofft wird, umsetzen lässt.

Die Gewinner: ein Marktplatz, ein Dingsbums-Finder und PacMan

Kurz bevor der Hackathon offiziell beginnt, ist das Interview vorbei. Die eigentliche Arbeit beginnt: Über 100 angereiste Hacker haben zwei Tage Zeit, um eine der beiden Aufgaben zu lösen. Entweder sie entwerfen eine konkrete Anwendung für Nutzer. Oder sie entwickeln eine Infrastruktur-Lösung. Neben unabhängigen Teilnehmern und Teams der großen Sponsoren sind auch Gruppen von anderen Firmen wie der Bayerischen Versicherungskammer oder Siemens dabei.

Am Sonntagabend stehen die drei dann Sieger fest. Die Jury ist vom Projekt „OMS“ am meisten überzeugt, einer Schnittstelle auf dem Tangle von IOTA. Auf dem sollen alle Mobilitätsfirmen ihre Services anbieten können, vom regionalen Bikesharing über den Mietwagen-Konzern bis zur Deutschen Bahn, damit die User ihre Reise mit einer einzigen App organisieren und bezahlen können. Geld bekommt jeder Anbieter immer nur für die Teilstrecke, die er tatsächlich abgedeckt hat. Damit alles reibungslos funktioniert, werden über den Tangle Echzeitdaten über Verkehrslage, Preise und Verfügbarkeit ausgetauscht.

„Man hat die größtmögliche Art der Competition, was immer am besten ist für den Endnutzer – und man kollaboriert trotzdem“, sagt Datarella-Chef Michael Reuter, der in der Jury saß. Damit hat das Team das Hackathon-Motto „Compete and Collaborate“ aus Sicht der Preisrichter bestmöglich umgesetzt. Die Firmen müssen auf diesem Marktplatz zwar transparent konkurrieren. Ihre Daten, zum Beispiel ihre Echtzeit-Preise, landen allerdings nicht bei einer zentralen Plattform, wie es etwa bei den aktuellen Reisevergleichsportalen der Fall ist.

Auf Platz zwei folgt der „Distributed Dingsbums Finder“, der sowohl auf die Ethereum-Blockchain als auch den IOTA-Tangle zugreift, um Elektroautos zur nächsten Ladesäule zu führen, die tatsächlich frei ist. Entworfen hat ihn ein gemeinschaftliches Team von BMW, Bosch und Mobility House. Der dritte Platz geht an „PacMan on Wheels“. Die Idee dahinter: Autofahrer können die Daten, die sie während der Fahrt sammeln – zum Beispiel indem sie eine günstige Kamera am Fahrzeug montieren –, mithilfe der Blockchain verkaufen. Für die Daten bekommen sie IOTA-Token. Insgesamt präsentieren die Hacker am Sonntagnachmittag 15 mögliche Anwendungen.

Daimler hat beim Hackathon gefehlt

Übrigens: Der dritte deutsche Autokonzern Daimler, der an eigenen Blockchain-Lösungen arbeitet, war nicht beim Hackathon dabei. Die anderen redeten zwar immer wieder über „das Unternehmen aus dem Südwesten“. Aber keiner konnte WIRED so richtig erklären, warum Daimler nicht teilnahm. Vielleicht kommen die Ergebnisse des Hackathons ja in Stuttgart an. Dann könnte bei einer Neuauflage auch der Mercedes-Stern zu den Logos der Sponsoren gehören.

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