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Zwei Studenten entwickeln Hightech-Tools für den Straßenkampf

von Max Biederbeck
Folgt auf den Warrior Cop bald der Warrior Protester? In den USA streiten Politiker und Medien darüber, ob die Ausrüstung von Polizisten mit Hightech-Kriegsgerät wirklich notwendig ist. Auch in Europa entwickeln sich immer ausgefeiltere Methoden, um Demonstranten in die Schranken zu weisen. Zwei New Yorker Studenten zeigen, wie sich die Straße bald wehren könnte.

Piedro Oliviera war überrascht, als die Polizei plötzlich zuschlug. 2013 lief er auf einer Demonstration in Rio mit. Tausende gingen auf die Straße, nachdem der öffentliche Nahverkehr um einige Cent teurer geworden war. Und mittendrin Oliviera, der erlebte, wie die Stimmung auf einmal umschlug. Wie gepanzerte Beamte die Knüppel auspackten, Kameras zertrümmerten und Tränengas einsetzten.

In diesem Chaos lernte er auch sein erstes Protest-Gadget kennen: Die Demonstranten behalfen sich mit Essig gegen die Angriffe der brasilianischen Polizei. Sie hatten ganze Flaschen davon dabei. Die Tage von Rio gingen als „Vinegar-Revolution“ in die Geschichte ein. Schals und Tücher wurden damit imprägniert, um das Tränengas abzuwehren.

Viele Websites geben seit Rio und der arabischen Revolution den Tipp, bei Protesten immer Essig dabei zu haben. Manche empfehlen sogar die schützende Gesichtsdusche mit Cola. Für Oliviera wurde der Widerstand zum Keim einer Forschungsidee. Er baut heute Hightech-Gadgets, die Demonstranten gegen die Polizei einsetzen könnten.

Sechs Ideen hat er zusammen mit Designerin Xuedi Chen an der New York University umgesetzt. Ein Bandana mit Barcode etwa, das geheime Nachrichten an Handys übermitteln kann. Oder eine kleine Blackbox für den Rucksack, die über einen eigenen WLAN-Hotspot Daten von bis zu sechs Devices im Umfeld speichert. „Als Backup, falls Computer und Kameras zerstört werden wie bei den Occupy-Protesten“ erklärt Chen. Jedes Teil des sogenannten Backslash Kit haben die beiden selbst erdacht, konzipiert und getestet. Alle funktionieren.

Mit einem anderen ihrer Gadgets können Smartphones eine Verbindung untereinander aufbauen, auch wenn das Mobilfunknetz zusammenbricht oder abgeschaltet wird (per Mesh-Netzwerk). Am beeindruckendsten aber ist der Jammer. Er schaltet jeglichen Funk um einen herum einfach aus. Macht einen sozusagen unsichtbar. In vielen Ländern ist diese Technologie illegal, auch in den USA. Oliviera und Chen haben nur deshalb noch keine Probleme bekommen, weil sie das Gerät nur für wissenschaftliche Tests an der Universität benutzen.

„Unsere Arbeit ist noch nicht am Ende, gerade hacken wir alte Handys“, erklärt Oliviera. Sie sollen zu hilfreichen Tools an Orten werden, an denen es nur wenige Smartphones gibt. Die beiden hatten das Backslash Kit als Abschlussarbeit angefertigt, jetzt geben sie Workshops und forschen weiter.

Die Gewalt von 2013 hat Oliviera nicht mehr losgelassen. Damals begann er ein Studium für technische Kommunikation an der NYU, vernetzte sich mit Demonstranten auf der ganzen Welt. Er sah zu, wie die Polizei die Occupy-Proteste in New York auflöste. Er erlebte, wie soziale Medien auf den Straßen Tunesiens und Ägyptens die arabische Revolution befeuerten, seine Freunde vernetzten sich bei der Umbrella-Revolution in Hong Kong per Mesh-Netzwerk. In diesem Jahr verfolgte er wie viele US-Amerikaner die Ausschreitungen von Ferguson. Die Beamten, die dort die Protestierenden zurücktrieben, sahen mehr wie Soldaten aus als wie Polizisten. Oliviera beobachtete eine problematische Entwicklung: Aufrüstung.

Polizisten weltweit arbeiten immer öfter mit militärischen Taktiken und Technologien. In Ferguson waren sie mit Sturmgewehren ausgestattet, sowohl Beamte als auch Fahrzeuge waren schwer gepanzert. Auch in Deutschland kommen solche Methoden zum Einsatz. Sondereinsatzkommandos leben in Kasernen zusammen wie Soldaten, treten schwer gepanzert auf. Auch die Funkzellenüberwachung von Smartphones gehört mittlerweile zum Polizeialltag.

Genau wie Smartphones und Social Media für die Demonstranten, hat auch die militärische Entwicklung der Polizei die Protestkultur verändert. Schon werden die ersten Drohnen mit Pfefferspray-Aufsätzen eingesetzt oder Menschenansammlungen mit Soundkanonen auseinander getrieben. WLAN-Technik und Röntgenstrahlen können durch Wände sehen, und die ständige Überwachung und Identifizierung von Menschen innerhalb einer Demo ist dank fliegender Kameras kein Problem mehr.

Zwar gibt es Anfragen von allen Seiten, ob die Gadgets auch zu verkaufen sind. Viele aus den autonomen Szenen dieser Welt wünschen sich eine Kickstarter-Kampagne. Aber Oliviera und Chen verstehen sich als Forscher, die eine Debatte über die Protestkultur der Zukunft anstoßen wollen, nicht als Unternehmer. An der Aufrüstung wollen sie sich nicht beteiligen. 

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