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Amerikanische Tech-Firmen versuchen sich auf Kuba an der digitalen Revolution

von Sonja Peteranderl
Ende der Eiszeit: USA und Kuba setzen auf Annäherung — und amerikanische Tech-Firmen machen auf der Abenteuerinsel digitale Revolution.

Dieser Artikel erschien in der gedruckten Ausgabe des WIRED Magazins im November 2015. Wenn ihr die Ersten sein wollt, die einen WIRED-Artikel lesen, bevor er online geht: Hier könnt ihr das WIRED-Magazin testen.

Kubanische Just-do-it-Storys sind es, die Gerard Adams spannend findet: wie die von dem jungen Kubaner, der auf der Offline-Insel ein Onlinemagazin gründet – und heute mit Vistar erfolgreich ist. „Kuba wird als digitales Entwicklungsland betrachtet, aber die Leute sind bereit, loszulegen“, sagt Adams. „Es ist ein toller Ort, um zu investieren — und es gibt viele Möglichkeiten rund um Tech und Infrastruktur.“ Der 30-jährige Ameri­kaner ist Investor, Entrepreneur, Mitgründer des 2015 an Daily Mail verkauften Millennial-Portals Elite Daily — und einer von 60 CEOs, die Anfang Dezember an der Techweek in Havanna teilnehmen.

Folgt nun auf Castros Revolution die digitale?

Bei der ersten US-Tech-Konferenz auf Kuba treffen die Unter­nehmer auf Minister, Experten und Start-Ups und tauschen drei Tage lang Erfahrungen aus. „Techweeks Mission ist es, erste Gespräche zu erleichtern“, sagt Katy Lynch, die Organisatorin der Veranstaltung. Es könnte der Kick-off sein für eine Zusammenarbeit. Folgt nun auf Castros Revolution die digitale?

Nach mehr als fünf Jahrzehnten eingefrorener Handelsbeziehungen und Kalter-Kriegs-Rhetorik hatte US-Präsident Barack Obama Ende 2014 den historischen Kurswechsel angekündigt. Das neue Motto: Annäherung statt Isolation. Erste Lockerungen von Reise- und Handelsbestimmungen befördern den US-Ansturm auf die Insel. Touristen wollen Kuba sehen, bevor die Zeitblase platzt. Tech-Giganten wie Google, Facebook und Amazon sind im Gespräch mit der kubanischen Regierung, Airbnb und Netflix haben den Sprung bereits gewagt. Im Juli 2015 hat Twitter in Miami, einer Enklave der Exil-Kubaner, ein Büro eröffnet, Yahoo kooperiert seit Oktober mit dem kubanischen Onlineportal 14ymedio.com.

Digitalisierung hatte die kubanische Regierung bisher nur in
kontrollierten Dosen zugelassen, lange war Internetzugang der linientreuen Elite vorbehalten — und Touristen. Erst im Juni 2013 eröffnete die staatliche Telekommunikationsfirma ETECSA Internetcafés, in denen alle Bürger surfen dürfen. In diesem Jahr wurden in verschiedenen Städten 35 Wi-Fi-Hotspots installiert. Jetzt sammeln sich dort Kubaner mit Mobil­telefonen, Laptops oder Pads in Scharen auf der Straße, um sich ins Netz einzuloggen, Facebook zu nutzen oder mit ausgewanderten Familienangehörigen zu skypen. Die Castro-Regierung hat auch die Preise gesenkt: Pro Stunde zahlen Kubaner umgerechnet 2 statt 4,50 US-Dollar — für viele bei Monatsgehältern von kaum 20 Dollar immer noch ein Luxus.

So bleibt Kuba trotz Zuwachsraten größtenteils Offline-Bastion: Nur 16 Prozent der Kubaner sind online. Und sie brauchen Geduld: Das Netz ist oft langsam auf der „Isla de los desconectados“, der „Insel der Unvernetzten“, wie online-affine Kubaner ihre Heimat getauft haben. Yoani Sánchez, Kubas bekannteste Bloggerin (680 000 Twitter-Follower) und Gründerin des Onlineportals 14ymedio, fühlt sich bei Reisen wie im digitalen Paradies. „Ich klebe am Bildschirm, jede Stunde im Internetland muss ich die Kilobytes verschlingen“, twitterte sie kürzlich aus New York. Anfang 2013 hatte Kuba die Reisefreiheit eingeführt, seitdem tritt Sánchez bei Konferenzen weltweit als digitale Stimme Kubas auf, wie bei der re:publica 2013 in Berlin. Vor jeder ihrer Reisen geben kubanische Freunde ihr eine Liste mit Themen mit, die sie recherchiert, herunterlädt und als Souvenir mitbringt. „Internet Offline“ nennt Sán­­­chez das Prinzip.

Kreative Maker und lokale Start-Ups haben trotz der maroden In­frastruktur ein ganzes Ökosystem aus Offline-Apps und alternativen Netzwerken aufgebaut

Auch neue Serien und Filme gelangten bisher ohne Netflix-Zugang von den USA nach Kuba — per USB-Stick. Etwa zwei US-Dollar kostet Kubaner das beliebte „El Paquete Semanal“, ein wöchentliches Datenpaket mit nach Kuba geschmuggelten oder heruntergeladenen aktuellen Filmen, Medienberichten, Musik und Apps. Wieso sollten Kubaner jetzt 7,99 US-Dollar für ein Netflix-Abo ausgeben, zumal sie schnelles Internet bräuchten, um die Filme online zu streamen?

Kreative Maker und lokale Start-Ups haben trotz der maroden In­frastruktur ein ganzes Ökosystem aus Offline-Apps und alternativen Netzwerken aufgebaut. Nutzer von Revolico, der kubanischen Craigslist-Variante, ziehen sich in kleinen Shops das jeweils aktuelle Offline-Verzeichnis mit neuen Angeboten auf ihr Telefon oder einen Stick. Auch die Restaurant-App A la Mesa funktioniert offline. A la Mesa ist eines der digitalen Start-Ups, die rund um die marktwirtschaftlichen Reformen von 2010 entstanden sind. Erstmals ließ die Castro-Regierung privates Unternehmertum zu und löste eine Gründerwelle aus. Zehntausende Kubaner verwandelten ihre Häuser in Restaurants und Touristenunterkünfte, eröffneten Friseursalons oder Bars.

Mit den Reformen änderten sich auch die Spielregeln: Plötzlich zählten Konkurrenzfähigkeit, Qualität und Kreativität. Die Gründer von A la Mesa profitierten von der neuen Vielfalt im Gastronomie-Sektor: Sie entdeckten, dass alle bisherigen Seiten und Verzeichnisse veraltet waren, und programmierten eine App, die rund 600 Restaurant- und Bar-Tipps umfasst und etwa 5000 Nutzer hat. „Der digitale Markt auf Kuba ist von Infrastrukturproblemen gekennzeichnet, die die Internetnutzung und die massive Verbreitung von digitalen Produkten einschränken“, sagt Alfonso Ali von A la Mesa. „Aber es gibt viele freie Nischen und Möglichkeiten — vor allem, wenn man davon ausgeht, dass die Infrastruktur kurzfristig oder langfristig besser wird.“ Das Engagement der amerikanischen Tech-Firmen auf Kuba sieht Ali vor allem als Chance — weil es auch kubanischen Projekten neue Möglichkeiten eröffne.

Für viele Firmen geht es jetzt vor allem darum, dabei zu sein, Präsenz zu zeigen

Doch müssen sich kleine, kubanische DIY-Start-Ups nicht vor einer Invasion der Tech-Giganten aus den USA fürchten, die mehr Mittel, mehr Ressourcen haben? „Kuba ist kein Land, in das man einfach so einmarschieren kann, und man kann es noch weniger leicht unterwerfen“, glaubt Ali. Viele kulturelle Faktoren würden eine Rolle spielen. Das jahrzehntelang gewachsene Misstrauen gegenüber den USA könnte heimischen Start-Ups als natürliche Barriere dienen. Die härteste Währung auf Kuba sind zudem Kontakte: In der bisherigen Mangelwirtschaft entscheidet das Netzwerk, wer Zugang bekommt zu Ressourcen und Privilegien. Ausländische Unternehmen und Inves­toren sind auf Mittler angewiesen, ihnen fehlt das Netzwerk lokal verwurzelter Start-Ups.

US-Firmen, die sich Kuba erschließen wollen, gehen in PR-Statements auf Kuschelkurs: „Die Idee ist es, den wachsenden Tourismus zu unterstützen, ohne dass es disruptiv ist, und Kuba als besonderes Reiseziel zu feiern und zu bewahren“, erklärte Airbnb-Mitgründer Nathan Blecharczyk zum Start des Air­bnb-Angebots für Kuba im April 2015. Das Verkaufsargument: Flair statt Massenhotels. US-Touristen finden auf der Reiseplattform rund 2000 Angebote für Übernachtungen in Privatunterkünften. Und die Nachfrage wächst rasant: Seit 2014 ist die Zahl der US-Touristen dem Think Tank Brookings Institution zufolge um 54 Prozent gestiegen, ab Winter 2015 wollen US-Fluggesellschaften und Kreuzfahrtspe­zialisten erstmals wieder Direkt­reisen nach Kuba anbieten.
Eine Herausforderung ist allerdings der digitale Zahlungsverkehr zwischen Kuba und den USA. Air­bnb hat einen Mittler zwischengeschaltet. VaCuba, eine Firma aus Miami, hat sich darauf spezialisiert, für Exil-Kubaner Bargeld und Geschenke zu Familienangehörigen nach Kuba zu senden. Jetzt sorgt sie dafür, dass Airbnb-Gastgeber ihren Verdienst erhalten.

Bis das Handelsembargo vollständig aufgehoben wird, kann es lange dauern, die Entscheidung darüber liegt beim US-Kongress. Für viele Firmen geht es jetzt vor allem darum, dabei zu sein, Präsenz zu zeigen. „Es passiert definitiv einiges“, sagt Techweek-Veranstalterin Katy Lynch. „Aber es ist noch ein langer Weg, bis Kuba zu einem technologisch fortschrittlichen Land wird.“

Die starke Regulierung des Internets durch die Regierung hält dem Think Tank Freedom House zufolge an: „Viele befürchten, dass Kubas Politik sich am chinesischen Beispiel orientiert und dass neue Infrastruktur nicht das Ende von Filter und Zensur bedeutet.“ Auch Investor Gerard Adams weiß, dass Kubas Wandel nicht über Nacht kommt: „Man sieht, dass die kubanische Regierung sich einigen Ideen öffnet, aber sicher nicht allen — wahrscheinlich wird alles langsam vorangehen.“ Abschrecken lässt er sich davon nicht: „Ich liebe Abenteuer, und mein Instinkt sagt mir, dass es toll wird.“

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