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Neuer Steve-Jobs-Film: Mönch mit kaltem Herz

von Joachim Hentschel
Star-Regisseur Danny Boyle und Drehbuch-Autor Aaron Sorkin erzählen die Erfolgsgeschichte von Steve Jobs. Gelingt es Hollywood endlich, sich unterhaltsam, aber glaubwürdig dem Apple-Mitgründer anzunähern?

Die Besucher auf den hinteren Plätzen wunderten sich schon: So zudringlich gut gelaunt war Steve Jobs doch sonst nie. Juli 1999, rund 10.000 Leute im Javits Convention Center in Manhattan, die New Yorker Ausgabe der jährlichen Messe Macworld. Das erste iBook sollte vorgestellt werden, der arbeitnehmerfreundliche Laptop der Firma Apple, und zur Eröffnungsrede war der Chef auf die Bühne gekommen, wie immer. Im schwarzen Rollkragenpullover von Issey Miyake, in Levi’s-Jeans, New-Balance-Turnschuhen. Kinnstreichelnd, die Hände erst im Dürer-Stil zum Gebet zusammenpressend, dann sanft in die Hüften klemmend.Aber spätestens als er „echt total verrückt unglaubliche großartige neue Produkte“ ankündigte, rauschte immer lauteres Lachen durch die Reihen. Und dann kam der echte Steve Jobs aus der Kulisse. „Falsch!“, fuhr er den Doppelgänger an, den er vorgeschickt hatte. „Zuerst mache ich eine Flasche Wasser auf, nehme meinen Präsentations-Klicker. Dann presse ich die Hände zusammen!“ Die extra-early adopters im Saal tobten.

Jobs selbst hatte den Schauspieler für die Show-Einlage gecastet. Kurz davor, im Juni 1999, war im US-Fernsehen Pirates Of Silicon Valley gelaufen, das mutmaßlich erste Filmdrama über die wilden Wurzeln der zeitgenössischen Rechnerindustrie. Noah Wyle – damals schon bekannt als Dr. John Carter aus der Serie Emergency Room – spielte in Pirates die Rolle des Steve Jobs, und obwohl er das Original vorher nicht kontaktiert hatte (die Produktionsfirma verbot es, um im Vorfeld Unterlassungsklagen zu vermeiden), war Jobs vom Film amüsiert und fragte Wyle für den Macworld-Ulk an.

Von einer Gage berichtet die offizielle Version der Legende nichts. Der Schauspieler sagt, er habe nicht mal ein iBook bekommen.
Dass Noah Wyle seinem pfennigfuchsenden Vorbild auch bei flüchtiger Betrachtung kein bisschen ähnlich sah, machte nichts. Jobs, 2011 mit 56 Jahren gestorben, Apple-Gründer, iPod- und iPhone-Herzauberer, zwielichtige Lichtgestalt und Messias der großen Digitalisierungsjahre, war ja schon 1999 eine derart archetypische Symbolfigur, dass man auch gleich Harald Juhnke in den schwarzen Pulli hätte stecken können. Laut der Filmdatenbank imdb.com haben bis heute mindestens 15 verschiedene Schauspieler sowie sechs Cartoonfiguren als Steve Jobs posiert – für einen Technologieunternehmer eine wahnwitzige Quote.

Der Frage, was Jobs angetrieben hat, kommt man mit Schauspielkunst wahrscheinlich näher als mit historischer Präzision

Und der größte, am weitesten ausholende, wahrscheinlich maßgeblichste dieser Filme ist noch nicht einmal angelaufen. Steve Jobs, das neue Werk des englischen Mega-Regisseurs Danny Boyle (Trainspotting, Slumdog Millionär), kommt am 12. November in die deutschen Kinos. Höhe der Erwartungen: gigantisch. Hauptrolle: der Deutsch-Ire Michael Fassbender, der immerhin schon den Tiefenpsychologen C.G. Jung und den irren Schottenkönig Macbeth gespielt hat. Auch er hat keine Ähnlichkeit mit dem Apple-Boss, aber darum geht es ja nicht. Die in endlosen Andachtsstunden wiederholte Frage bleibt, was Jobs, dieses finstere, emotionsgetriebene Genie, eigentlich angetrieben habe. Und dieser Antwort kommt man mit der schwarzen Kunst des Schauspiels wahrscheinlich näher als mit historisch und optisch adäquaten Fallaufstellungen.

Erst Anfang September legte der Regisseur Alex Gibney den zweistündigen Dokumentarfilm Steve Jobs: The Man In The Machine vor (der bei uns am 5. November auf DVD erscheint). Eine Biografie zwar, aber mit speziellem Grübelfokus: Gibney konzentriert sich auf die sublimen Strategien hinter dem Apple-System, auf die dunklen Seiten. Erzählt noch einmal alt­bekannte Episoden wie Jobs’ rigorosen Umgang mit der frühen Belegschaft, seine Aversion gegen Charity, die rechtswidrigen Absprachen mit anderen Valley-Großköpfen. Zoomt aber auch auf die Zen-Affinität des Chefs, seine vorübergehenden Ambitionen, ins buddhistische Kloster zu gehen. „Er hatte die Hingabebereitschaft eines Mönchs“, kommentiert der Regisseur im Film aus dem Off, „aber nicht die Warmherzigkeit.“ Ein Satz, der im Zusammenhang einiges erklärt – etwas mehr als ein anderer, der sich für den Smalltalk vor der nächsten iPhone-Präse jedoch besser eignet: „Apple war 30 Jahre lang eine einzige Sitcom“, sagt der Ex-Marketingmann Regis McKenna an einer Stelle, „und Steve Jobs war ihre Hauptfigur.“

Ohne McKennas lustig dahergeplappertes Zitat über Gebühr be­lasten zu wollen: Natürlich steckt tief darin einer der Kerngründe, warum Jobs und seine Firma die kollektive Fantasie beschäftigen. Weil in Cupertino ein so gischtschäumendes, in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte konkurrenzloses Narrativ geschaffen wurde: Aufstieg, Fall und Wiederaufstieg, Genie und Irrsinn, Masse und Einsiedler. Maschine. Gefühl.

Hollywood bedient sich gern bei der Wirtschaft, wenn es gebrochene Helden sucht

Bislang stammten ja die großen Hollywood-tauglichen Helden aus der Ökonomie – etwa Zeitungsmulti William Randolph Hearst oder Öltycoon Edward Doheny, Vorbilder für die Kinoepen Citizen Kane (1941) und There Will Be Blood (2007) –, meist aus den industriellen Kontexten der Vorkriegszeit. Spätere Entrepreneur-Figuren – wie der Penthouse-Verleger in Larry Flynt: Die nackte Wahrheit (1996) oder der Werber Don Draper in der Serie Mad Men (startete 2007) – wurden in der Regel gleich als gebrochene, egoistische, kaum mythentaugliche Charaktere eingeführt und behandelt. Obwohl in ihren Geschichten der Faktor Selbst­inszenierung bereits eine größere Rolle spielt: Unternehmertum als Variante von Show, der technologische und kreative Fortschritt als erzählerisches Perpetuum mobile, das seine Plots erst aus dem universellen menschlichen Sagenschatz herauszieht und sie anschließend wieder dort einspeist.

Anders kann man Steve Jobs’ Spaßaktion bei der Macworld 1999 kaum begreifen. Der größte Showman des Valley lässt sich selbst von einem Schauspieler vertreten, um sogar dem letzten Orthodoxen klarzumachen, dass auch Apple eine Art Traumfabrik ist. Wie, fünf­einhalb Stunden Autofahrt entfernt: Hollywood. Oder irgendeine Webserien-Produktionsbutze in Mount Dingsbums.

Was trotzdem nicht heißt, dass ein Jobs-Film an der Inszenierung abprallen muss, dass er kein echtes Erkenntnisinteresse haben kann. Das Drehbuch zu Danny Boyles kommendem Biopic schrieb immerhin Aaron Sorkin – der erfand schon die rasenden Nerd-Dialoge für The Social Network, das 2011 dreifach Oscar-prämierte Tech-Melodram über Mark Zuckerberg und die Historie der Firma Facebook. Es könnte rückblickend zur Blaupause für die Crazy-Ökonomen-Fiktionen der Zukunft werden: In The Social Network fusionieren die wirklich niederen Beweggründe (Sexmangel) mit den großen Ambitionen, werden dieselben Fäuste zur „Wir hacken das Business!“-Parole gereckt, die direkt danach schikanöse Klauseln in die Arbeitsverträge der alten Freunde schmieren. Zuckerberg im Kino: arrogant genial, der Held und das Arschloch. Ein Mann ohne Ideale, die ihm selbst nichts nützen.

In früheren Geschichten war die Hybris gewöhnlich etwas, das erst mit dem Erfolg kam. In den neuen Silicon-Valley-Mythen steht sie meistens ganz am Anfang.

Eine mutige Entscheidung: Der lineare Zeitstrahl wird zurechtgebogen

Für Steve Jobs trafen Autor Aaron Sorkin und Regisseur Danny Boyle dann auch die mutige und völlig richtige Entscheidung, den linearen Ereigniszeitstrahl zu biegen, an dem entlang noch 2013 der Biopic-Versuch Jobs (mit Ober-Busi­ness-Angel Ashton Kutcher) in die Bedeutungslosigkeit geschlittert war. Der neue Film konzentriert sich auf drei lange Sequenzen, die alle – wer hier an Zufall glaubt, kann das gern tun – hinter den Lampenfieberkulissen einer unmittelbar bevorstehenden Produktpräsentation spielen: der des Macintosh-Computers 1984, des ersten Rechners von Jobs’ Interimsfirma NeXT 1988 und, nach der Rückkehr zu Apple, des iMac 1998.

Kurze Flashbacks zu den unvermeidlichen Schlüsselszenen in Garagen, Büros und Wohnzimmern gibt es trotzdem. Aber in erster Linie testet Boyles Film die Reaktionsfähig- und Empfindlichkeit seines Charakters in der Extremsituation: Jobs, buchstäblich am Vorhang zwischen Repräsentation nach innen und nach außen, in der Transformation vom besessenen, Kollegen schindenden Schweinepriester zum erleuchteten Prediger der Apple-Gemeinde.

Zum Glück glaubt der Regisseur nicht, in dieser Angelegenheit den moralischen Friedensrichter spielen zu müssen. Dass Jobs fies zu seiner Exfreundin war und den Gründungspartnern beim Rausschmiss keine Aktien­optionen gab, wissen ja auch längst die, die ihre iPads zum Kuscheln mit ins Bett nehmen. „Musiker spielen ihre Instrumente“, sagt der Fassbender-Jobs an einer Stelle. „Ich spiele das Orchester.“ Der schöne Spruch bleibt zwar selbst bei genauer Betrachtung rätselhaft, aber: Er verweist auf die metaphysische Dimension, die man nun mal bemühen muss, um Jobs, seinem Werk und Charakter im Jahr 2015 noch irgendeinen zusätzlichen Sinn abringen zu können. Er habe es als Erster geschafft, den Menschen Maschinen zu geben, die sie lieben konnten – so wird Apples größte kulturelle Errungenschaft ja meistens beschrieben, und zum Geheimnis dieses seltsamen Schöpfungsaktes könnte keine noch so turbulente Cupertino-Soap-Opera vordringen. Dafür braucht man einen Film, in dem man auch zwischen den Bildern lesen kann.

Unser Ziel war, den Klang seines Geistes hörbar zu machen.

Regisseur Danny Boyle

Beim Telluride-Festival, bei dem Danny Boyle Anfang September den ersten Rohschnitt zeigte, formulierte er es so: „Unser Ziel war, den Klang seines Geistes hörbar zu machen.“ Dafür wird in Steve Jobs natürlich – wie immer, wenn Autor Aaron Sorkin auch nur in entfernte Nähe eines Filmsets gelassen wird – so viel geredet, dass man schon aufmerksam folgen muss, um keinen astralen Zwischenton aus dem Hirn des Genies zu verpassen.

Früher war ja noch der Regisseur Oliver Stone amtlich beglaubigter Spezialist für die unlösbaren Fragen der US-Geschichte, den Vietnamkrieg, das JFK-Attentat oder die Ursprünge schlechter Doors-Songtexte. Stone hätte seinem Jobs-Film wohl einen göttlichen Initiationsmoment vorangestellt, bei dem ein feuriger iPod vom Himmel auf den Indienurlauber niedergegangen wäre. Allein schon deshalb ergibt es durchaus Sinn, dass wie bei Boyle und Sorkin das drohende Pathos stets einfach weggelabert wird. Steve Jobs, Knallcharge und Zauberer – der Widerspruch lässt sich einfach nicht lösen.

Kommen bald noch mehr Technologie-Filme? Die unheimlich aufregende Twitter-Story mit Robert Downey Jr. als durchgeknalltem Jack Dorsey? Leonardo DiCaprio mit dem Versuch, in der Jahrhundertrolle des Elon Musk doch noch den Oscar zu gewinnen? Das ist nicht ausgeschlossen. Nachdem nun schon diverse Serien den Startup-Alltag zum narrativen Stereotyp gedrechselt haben, würde es ja auch nicht schaden, wenn ein paar gute Erzähler der Sache noch mal ernsthaft auf den Grund gehen.

Ein Typ wie Steve Jobs ist derzeit freilich nicht mehr im Angebot. Und ob er unter den medialen Bedingungen von heute überhaupt den Status erreicht hätte, den er zum Ende seines Lebens hatte – das ist ja noch eine ganz andere Frage.

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