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Genial: Danielle Fong will die Welt mit einem Druckluftspeicher retten

von Joachim Hentschel
Sie hatte mit 17 ihren Uni-Abschluss, mit 21 eine eigene Firma. Greentech-Göttin wurde sie bereits genannt. Danielle Fong geht es aber nicht nur um Karriere: Sie will die Klimakatastrophe stoppen — mit heißer Luft!

Ein leerer Starbucks-Becher bleibt stehen, mit hastigem Lippenstift am Deckel. Ein Haufen Bordkarten, benutzt, San Francisco, Zürich, Kalkutta, Newark. Unverlangt zugesteckte Visitenkarten, eine Liste mit indischen Straßennamen. Haargummis, Kassenzettel, das sind die Überbleibsel, aber Danielle Fong – ist weg. Muss schon wieder woanders sein (genauer: in British Columbia). Reist mit leichtem Gepäck. Startup-Jetset. Transatlantik-Flugscheine aus Risikokapital: Investoren, anschnallen!

Schon komisch, aber: Eine Frau, die die Welt retten will, muss sie vorher offenbar erst einmal durchreisen. Komplett.
Das mit dem Die-Welt-Retten ist in den letzten Jahren ja leider zur Doof-Metapher für alles geworden, das ansatzweise der Menschheit dient – zur Not auch für Apps, mit denen man Wohnungsmakler oder Sofakissen findet. Was schade ist, weil die Unternehmerin Danielle Fong in der Tat mit einer außergewöhnlichen Idee durch die Welt jettet. Eine, die ernsthaft und mittelfristig Eisbären, Getreideernten und küstennahe Landstriche in Sicherheit bringen könnte. Zwar nicht im Alleingang. Dafür ohne Ironie.

Danielle Fong, 27, aus Halifax in Kanada, heute ansässig in Berkeley, Silicon Valley. Mitgründerin und sogenannter Chief Scientist der Firma Lightsail Energy, einem seit 2009 existierenden Start-up für revolutionäre Stromspeichersysteme. Die maßgeblichen Investoren haben Millionen gegeben, Bill Gates, Peter Thiel, der Clean-Tech-Gigant Khosla Ventures. Trotzdem erreicht man in der Firmenzentrale acht Tage lang niemanden, wenn in Black Rock Desert das bewusst­seins­erweiternde Burning-Man-Festival stattfindet.

Danielle Fong hatte schon mit 17 ihren Uniabschluss in Physik und Informatik. Ging dann vom kanadischen Nova Scotia an die Princeton University bei New York, brach dort nach kurzer Zeit wieder ab, weil ihr alles zu lahm war. Interessiert sich für Exoplaneten, für Gentechnik, für alles. Ansonsten ist sie immer, immer etwas zu spät dran und, wenn sie dann doch ankommt, leicht derangiert.

Greentech-Göttin hat sie jemand genannt. Nett, aber natürlich kann jeder zu ihr sagen, wie er will. Die heilige Johanna der Speichertechnik. Die Plasmaphysik-Pippi-Langstrumpf. Oder: Weltklima-Wonder-Woman. „Ich bin keine Zeitreisende aus der Zukunft“, sagt Danielle Fong, einfach so, wenn sie die wichtigeren Sachen gesagt hat. „Aber ich habe mich immer so gefühlt.“

Zukunft ist gut, denn die Zeit rennt weg. Alle haben die berühmte Zwei-Grad-Grenze im Auge, die Annahme, dass der ganz große Klima-Meltdown nicht passieren wird, wenn die Menschheit es schafft, die Erderwärmung zu beschränken: auf weniger als zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Anfang Dezember sollen bei der 21. UN-Klimakonferenz in Paris entsprechende Beschlüsse gefasst und Gruppenfotos geschossen werden — leider hat das Londoner Grantham Research Institute schon im August vorab die Party verhunzt. Die von 46 Nationen für Paris eingereichten Pläne reichen beim besten Willen nicht, melden die Forscher: Schon bis 2030 müssten sich die Anstrengungen mindestens verdoppeln. Sonst könne man das Zwei-Grad-Ziel gleich in den Restmüll feuern.

Entscheidender Faktor wird die Energiewende sein, und spätestens da hat man dann den langen technologi­schen Rattenschwanz in der Hand: Solar- und Windstrom gut und schön, aber wie sollen wir – bevor es in ferner Zukunft weltweite Supergrids gibt, in denen ständig alles fließt – die Energie so speichern, dass wir sie in Spitzenzeiten sammeln und in dunklen Abendstunden gemütlich nutzen können?

Ich bin keine Zeitreisende aus der Zukunft, aber ich habe mich immer so gefühlt.

Danielle Fong

Wie? Erst mal grob: Wenn man sich aufs Relevante konzentriert, gibt es zwei Arten, um Strom zu speichern. Erstens: Batterien, Akkus, elektrisch-chemische Verfahren. Vorteil: Sie sind effizient. Nachteil: Die Anlagen halten nicht allzu lang, sind vor allem teuer – was ihren Strom für den Markt uninteressant macht. Zweite Möglichkeit: thermische Speicher, die Strom in Wärme verwandeln. Vor- und Nachteile: genau andersrum. Billig. Wenig Material. Aber: Wärme geht schnell verloren. Und damit die Energie.

Hier setzt Danielle Fong mit ihrer physikalischen Idee an, der Geschäfts­idee ihrer Firma: an einem der schlechtesten Speicher überhaupt, dem Druckluftspeicher. Bei dieser Lösung wird — stark vereinfacht — in einem Kessel Luft komprimiert, mithilfe der von Sonne und Wind erzeugten Energie. An sich eine exzellente Idee, aber sie hat einen Fehler: Die eminent starke Hitze, die beim Kompressionsprozess entsteht, kann kaum festgehalten werden. Existierende Druckluftspeicher verlieren bis zu 75 Prozent der Energie, ein schlechter Witz.

Das Problem kann Fong lösen. Lightsail sprüht während der Kompression einen Rasensprenger­nebel aus Wasser in die Kessel. Die Tropfen speichern die Hitze, das Wasser wird abgeleitet. Und beim Expansionsvorgang – wenn aus dem Druck Strom werden soll – zurück in den Kessel gesprüht, wo es die Hitze wieder an die Druckluft abgibt.

Andere sind schon darauf gekommen. Keiner hat ein solches Ding auf den Markt gebracht. Auf Fongs Visitenkarte ist ein Foto, das zeigt, wie sie im Hauptquartier auf der Maschine sitzt. Es gibt sie. Sie funktioniert.

Am 11. September schreibt sie einen Tweet, in dem sie sich zuerst selbst eine Frage stellt: „Gibt es etwas, an das ich glaube, obwohl fast alle anderen denken, dass es falsch ist?“ Und sie dann beantwortet. „Clean energy wird das bedeutendste Business der nächsten zwei Jahrzehnte sein.“
Bern, Schweiz, Donnerstagmorgen. Wieder so eine Station, der Swiss Energy and Climate Summit, eine Business-to-Business-Tagung mit 800 Unternehmern und Inves­toren, auf der es natürlich um die bevorstehende UN-Konferenz geht. Danielle Fong kommt zu spät zu ihrer Keynote, ein Batterieunternehmer aus dem Silicon Valley muss vorgezogen werden. Als sie endlich oben steht – im schwarz-weiß gemusterten Kleid, mit riesiger run­der Brille —, merkt das Auditorium schnell, dass es hier keine McKinsey-Abgängerin mit kulturlosem Businessplan vor sich hat.

Fong erzählt den Leuten erst mal aus der Sozialgeschichte der Menschheit. Davon, wie der Ackerbau das Jäger- und Sammlertum aus dem Feld schlug und warum die Energiewende ein ähnlich epo­chaler Schritt sei. Zeigt auf Charts die Milliarden, die für die verzweifelte Suche nach Erdöl verschleudert werden. Und wie Lightsail Energy den Markt aufrollen könnte, im besten Fall: ein Drittel der Kos­ten normaler Batterien, 20 bis 30 Jahre Lebensdauer der Anlagen, 60 bis 70 Prozent Speichereffizienz. Die Technologie ist fertig getestet, derzeit arbeite man an Skalierung, Logistik. Um aus der Idee eine echte Lösung zu machen.
Sie komme bald wieder, sagt sie den Schweizern, die begeistert sind und dankbar für die Erfrischung. Eine Notlüge. Danielle Fong muss erst noch an viele andere Orte.

1994, als sie sechs Jahre alt ist, besucht Klein-Danielle mit der Schulklasse in Kanada ein Atomkraftwerk. Da sie sich im Kinderzimmer schon ausgiebig mit dem Thema Stromwirtschaft auseinandergesetzt hat, findet sie diverse Fehler im Lehrfilm, der vorgeführt wird, und protestiert.

Ihre Eltern — kanadische Mutter, Journalistin, heute Stand-up-Komikerin, chinesischer Vater, selbst Unternehmer, der den Autoschlüssel erfunden haben soll, der piepst, wenn man in die Hände klatscht, was sich kaum nachprüfen lässt — schicken sie mit zwölf zur Uni. Mit 17 landet sie in Princeton, forscht an Kernfusionsreaktoren. Erlebt, wie sich Professoren um halbe Fördergeld-Millionen prügeln, während – es entgeht ihr nicht — die Firmen im Silicon Valley alles Geld der Welt zu haben scheinen. Wie soll man so bis 2050 den Energiewandel schaffen? Sie schmeißt hin und geht nach Kalifornien. Es dauert zwei Jahre, bis sie in San Francisco die richtigen Leute findet. 2009 gründet sie mit Steve Crane und Ed Berlin Lightsail Ener­gy. 2010 ist der erste Druckluft-Prototyp fertig. Bill Gates bringt 2011 zum Investorengespräch die gesamte Präsentation mit, ausgedruckt, mit roten Anmerkungen. Danielle Fong erklärt ihm alles.

Eine Loser-Technologie gewinnt doch noch.

„Wir haben in sechs Jahren mit 65 Millionen Dollar zwei komplett neue Technologien entwickelt, den Kompressor, die Tanks“, sagt Fong, auf dem Rücksitz des Autos, das sie zum Züricher Flughafen bringt. Zwei, drei Jahre und noch mal rund 30 Millionen, dann soll man einfach auf die Lightsail-Website gehen und sich die Lösung aussuchen können, die man braucht. Ob für die Solaranlage zu Hause. Oder für ein Kraftwerk. Das Exemplar auf dem Visitenkartenbild? „Damit könnte man 500 Haushalte versorgen“, sagt Fong. „In Europa eher 1000.“

Die härteste Konkurrenz wird Lightsail wohl von einer Firma bekommen, die bis zuletzt niemand als Strom-Player auf dem Block hatte. Tesla Motors — mitsamt seinem grenzgenial-halbstarken Gründer Elon Musk, bekannt für tolle, unbezahlbare Elektroautos — kündigte im April 2015 an, seine Lithium-Ionen-Akkus auch als Hausgebrauchs-Speicher zu vermarkten. In der sogenannten Gigafactory, die Musk derzeit in Nevada bauen lässt, sollen die Akkus spätestens 2017 so unschlagbar billig produziert werden, dass der alte Kostennachteil der elektrischen Speicherung nie wieder ein Thema sein wird.
„Das ist eine Revolution!“, sagt Eicke Weber, Physikprofessor an der Freiburger Uni und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme. Seiner Rechnung nach wird die Kilowattstunde Solarstrom durch den Einsatz eines Tesla-Speichers nur rund zehn Cent teurer — im Vergleich zu anderen Batterien konkurrenzlos, insgesamt so billig, dass es für viele die Anschaffung einer Photovoltaikanlage rechtfertigen könnte.

Den kann man nicht einfach in der Wüste vor sich hinbrutzeln lassen.

Eicke Weber, Physikprofessor

Wenn Lightsail Energy diesen Preis schlagen kann, so Weber, könnte allerdings das Hardware-Argument für Danielle Fong sprechen. Auch die Tesla-Batterie ist am Ende ein Container, randvollgestopft mit teils seltenen chemischen Elementen, während der Druckluftspeicher nicht viel enthält, was an Weltmarktpreisen und Entsorgungsformalien hängt. Luft eben. Der Kompressor müsse halt, anders als die Batterie, gewartet werden, sagt Weber: „Den kann man nicht einfach in der Wüste vor sich hinbrutzeln lassen.“ Und dann wird doch wieder alles sehr kompliziert und schwer vor­hersehbar.

Tesla? Könne man leicht unterbieten, was Kosten und Materialverschleiß betrifft, meint Danielle Fong im Schweizer Auto. Sie ist selbst Aktionärin, mit Elon Musk befreundet, nicht eng. „Ich würde eher sagen: Wir können froh sein, wenn wir bald Rivalen sind.“ Weil das nur noch ein Indiz dafür wäre, wie viel Platz dieser lange verpönte Markt bald biete.

Und dann sagt Fong etwas Überraschendes. Etwas, das kurz vor Schluss doch noch klarmacht, wie wenig man über diese Branche weiß, wenn man nur die thermodynamischen Sätze und Infografiksäulen sieht, die sie in ihren Präsentations-Slides herzeigt. „Außerdem gehören wir ja alle zum Team Humanity“, sagt Danielle Fong, „das ist das Wichtigste.“

Team Humanity? „Ja. Wenn Menschen die Chance sehen, Teil einer gro­ßen Sache zu werden, ergreifen sie die auch. Idealismus wäre ein zu hohes Wort dafür, eher: die Überzeugung, die Hingabe an eine Mission. Wir werden sicher nicht mit allem recht haben, was wir heute über die Zukunft sagen. Und trotzdem wärt ihr gut damit beraten, auf uns zu setzen.“ Danielle Fong erwischt mit größter Hektik ihren Flieger. Nur mit ihrer Geschäftsidee ist sie zu früh dran. Auch das kann oft sehr mühsam sein.

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