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Gadgets-Kolumne / Anja Rützel wünscht sich alternative Wohnungsstrukturen, um Pinguine halten zu dürfen

von Anja Rützel
Wir leben ganz anders als die Menschen früher, wohnen aber immer noch wie sie. Warum bloß? Technische Neuheiten und Gadgets ermöglichen uns längst alternative Wohnungsstrukturen. 

„Und wohin geht es hier?“, fragte die Wohnungskontrolleurin mit der Hand auf der Klinke, und mir wurde etwas blümerant. Die Frau hatte den Auftrag, mich und meine Wohnverhältnisse unter die Lupe zu nehmen und ihre Erkenntnisse an die Tierschutzorganisation weiterzuleiten, die mir bei Befund meiner Unbedenklichkeit dann den erhofften armen Hund vermitteln würde. „Wohin? Hierhin? Och, das ist nur mein leeres Zimmer, darin ist eigentlich nichts“, schwitzschwadronierte ich, was nur die halbe Wahrheit war, denn tatsächlich hatte ich in dem 20-Quadratmeter-Raum vor der Kontrolle meine umfangreiche Tierpräparatsammlung verstaut und notdürftig unter einem Bettlaken verborgen, um jeden Wunderlichkeitsverdacht zu umgehen. 

Die Kontrollfrau schaute kurz komisch, ließ die
Klinke los und fragte nicht weiter nach, was vor allem für sie selbst erfreulich war, weil sie auf diese Weise meinem umfangreichen Stegreifvortrag zum Thema „Alternative Wohnungsstrukturen“ entging. Seit meinem Einzug vor zwei Jahren denke ich darüber nach, wie ich das leere Zimmer am effektivsten nutzen könnte. Eigentlich sollte es mal ein Wohnzimmer werden, doch inzwischen glaube ich, dass ich nicht wirklich eines brauche: Meine Serien schaue ich fast ausschließlich im Bett liegend an; wenn Besuch kommt, sitzen wir an der Bar in meinem geräumigen Flur oder in der Küche, zwecks Rauchmöglichkeit, legerem Ambiente und logistisch cleverer Nähe zu Kühlgetränken. Klingeln Versicherungsvertreter oder Missionare, mit denen man sich zur Besprechung ihrer Belange typischerweise auf ein Wohnzimmersofa setzen würde, mache ich selbstverständlich die Tür nicht auf.

Ich finde es ohnehin sehr sonderbar, dass die Menschheit seit der Entstehung des Bürgertums an der immergleichen Wohnungsaufteilung festhält. Technische Neuheiten und Gadgets haben längst viele unserer Lebensgewohnheiten verändert, die Art, wie und wo wir Musik hören, fernsehen, herumlungern, sogar schlafen — komisch, dass unsere Wohnungen immer noch demselben Strukturprinzip folgen wie bei unseren untertechnisierten Großeltern: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Bad. In Berlin lässt sich dieses kleinbürgerliche Hausen in einer Museumswohnung besichtigen, die ein Zimmermeister mit dem schönen Namen Brunzel 1895 baute. Schon damals nahm die gute Stube, das Wohnzimmer, den hellsten, größten Raum ein, der bequem möbliert und mit einem Kachelofen versehen war. Sie wurde allerdings nur für Besuch hergerichtet, also eindeutig nicht vernünftig abgewohnt — das ist exakt die Platzverschwendung, die ich unbedingt umgehen will.

Ich erwäge darum eine ganz und gar avantgardistische Nutzform für das leere Zimmer. Die unkomplizierteste Lösung wäre derzeit ein „Fuchszimmer“, für das ich lediglich ein cognac-braunes Daybed und etwa elf ausgestopfte Füchse benötige. Füchse sind schlaue, elegante Tiere und eignen sich darum hervorragend als theme für einen Ruheraum. Und weil ich a) Ruhe dringend nötig habe und b) bereits drei Elftel der Füchse besitze, wäre diese Nutzung wohl die nächstliegende.

Technisch sinnvoll wäre wahrscheinlich ein Beamerwand-Streaming-Zimmer, doch das wirkt mir zu kauzhöhlenhaft. Dann doch lieber eine dauerhaft runtergekühlte Kältekammer einrichten, um zumindest den nächsten Schweißsommer in Menschenwürde verleben zu können. Und meinem Traum ein Stück näher zu kommen, drei kleine Pinguine in meiner Wohnung halten zu dürfen. Ihre Namen stehen schon fest: Dirk, Jan und Arne.

Oder ich gebe mir doch einen Ruck und der nützlichsten, allen vernunftbegabten Menschen sofort einleuchtenden Idee nach: Ich fülle das Zimmer kniehoch mit kleinen Plastikkugeln und verwende es fortan als Bällebad für den armen Hund, der mir nach erfolgreich bestandenem Generalcheck tatsächlich zugesprochen wurde.

Anja Rützels Bällebadpläne sind inzwischen weit fortgeschritten. Dort könnte sie notfalls auch Airbnb-Rave-Touristen beherbergen – sie wohnt in unmittelbarer „Berghain“-Nähe. In der letzten Ausgabe schrieb sie über größenwahnsinnige Technologie-Proleten.

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