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Besser leben im Funkloch: Sind unsere Mobilnetze bereit für das Internet der Dinge?

von Max Biederbeck
Wenn Millionen Geräte anfangen zu funken, wird es eng im Äther: All die neuen schlauen Toaster, Waagen, Temperaturfühler und Industriesensoren verlangen Platz in den Mobilnetzen. Hält die Infrastruktur die Drängelei der Daten im Internet der Dinge überhaupt aus?

Dieser Artikel erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des WIRED Magazins im September 2015. Wenn ihr die Ersten sein wollt, die einen WIRED-Artikel lesen, bevor er online geht: Hier könnt ihr das WIRED Magazin testen.

Mit einem Schokoriegel erklärt Harald Zapp die nächste digitale Revolution. Sein Start-up Relayr entwickelt den WunderBar, eine Art Energieriegel für das Internet der Dinge (auch Internet of Things, kurz IoT). In braunes Plastik gehüllt, besteht der WunderBar in Wahrheit aus Sensoren für Dinge wie Licht, Wärme, Luftfeuchtigkeit. Eins nach dem anderen lassen sich die Module abbrechen, und verbindet man sie mit anderen Objekten, werden diese dadurch smart. „Wir wollen zeigen, wie einfach es geworden ist, Prototypen für das Internet of Things zu entwickeln“, sagt Zapp: verkabeln, Funkverbindung einrichten, fertig. Schon kann die Metallfräse ihre Auslastung melden, das Zimmer sagt, ob das Fenster offen steht, der Blumentopf weiß jederzeit, ob es friert.

Diese Vision der völligen Vernetzung begeistert nicht nur Entwickler, sondern ist zu einem offiziellen Lieblingsthema der deutschen Wirtschaft geworden. Die vergangene Industriemesse Cebit stand im Zeichen des Internet of Things. Die Technik ist auch ein wichtiger Baustein des Prestigeprojekts „Industrie 4.0“ der Bundesregierung. Breitbandausbau, Sensoren, Chips und Funknetze sollen Firmen fit machen für die nächste Epoche des Digitalzeitalters — für ferngesteuerte Fabriken, vernetzte Städte und smarte Transportsysteme.

„Die Unternehmen haben erkannt, dass ihnen keine andere Wahl bleibt, als mitzumachen“, sagt Harald Zapp. Jahrelang arbeitete er sich durch die Hinterzimmer des deutschen Mittelstands, leistete Überzeugungsarbeit. Jetzt führt er durch sein Startup in Berlin-Kreuzberg, eine Fusion aus weißwandigem Großstadtbüro und Werkstatt mit Geruch nach Leim und Lötzinn. Der WunderBar-Riegel ist als günstiger Einsteiger-Bausatz gedacht; ein Lehrprodukt für 200 Euro, das zeigt: So einfach geht’s. 

Die Netze werden von dem massenhaften Datenaustausch überfordert sein.

Jan-Peter Kleinhans

Konservativ geschätzt, soll das Internet der Dinge in den kommenden fünf Jahren auf weltweit mindestens 20 Milliarden Geräte anwachsen, der Netzwerkgigant Cisco rechnet so­gar mit 50 Milliarden. Unzählige Sensoren werden Daten verschicken und uns neue Einsichten liefern, Hightech-Propheten sprechen schon jetzt von einem neuen Goldenen Zeitalter: Laut einer Studie von McKinsey könnte die Weltwirtschaft von 2025 an einen IoT-Bonus von mehr als 11.000 Milliarden Dollar im Jahr einfahren. Eine Summe, die reichen würde, um 650-mal den Kurznachrichten­dienst Twitter zu kaufen.

So weit der Hype. Aber ist unsere digitale Infrastruktur überhaupt bereit für diesen Ansturm mitfühlender, mitteilsamer Dinge? „Sowohl die WLANs als auch das deutsche LTE-Netz werden von dem massenhaften Datenaustausch überfordert sein“, warnt Jan-Peter Kleinhans, Frequenzexperte beim Thinktank Stiftung Neue Verantwortung in Berlin. Mal angenommen, ein Großbauer würde seine Felder mit Sensoren versehen, um den Säuregehalt des Bodens, die Luftfeuchtigkeit und den Nähr­stoffverbrauch der Pflanzen zu messen — genau wie alle seine Nachbarn. Tausende Sensoren würden gleichzeitig einen Funkmast anwählen, um ihre Daten loszuwerden. „Die Netze verkraften es noch immer nicht, wenn sich so viele kleine Devices gleichzeitig einwählen und Datenpakete schicken“, sagt Kleinhans. Zudem fallen bislang für jeden Verbindungsaufbau Ge­bühren an, die die Betreiber der Sensoren zahlen müssen. Wie teuer das werden kann, weiß jeder, der schon mal versehentlich von unterwegs eine 50-Megabyte-App heruntergeladen hat. Ist das Datenvolumen aufgebraucht, heißt es schnell: Zusatzangebot gegen Bezahlung!

Frequenzen unter einem Gigahertz könnten die Lösung sein – doch der Staat hat sie gerade versteigert.

Solche Szenarien ließen sich verhindern, würden die Geräte im IoT Funkfrequenzen unter einem Gigahertz nutzen. Dieser Bereich eignet sich aus technischen Gründen nur für kleine Datenpakete und wäre damit ideal für den Austausch weniger Bits und Bytes unter Maschinen. Zudem verlangen niedrigere Frequenzen weniger Energie. Es entstünde ein stromsparendes Mini-Funknetz speziell für das Internet der Dinge.

Allerdings sind diese Frequen­zen nicht allgemein verfügbar. Die Bundesnetzagentur hat sie im Juni  2015 für rund fünf Milliarden Euro an die großen Mobilfunkanbieter versteigert: Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica. Willkommene Einnahmen für den Staat, der es ohnehin am ehesten den großen Providern zutraut, die digitale Infrastruktur aufzubauen. Was die Konzerne mit den ersteigerten Frequenzen vorhaben, lässt sich derzeit schwer sagen – bisher war in den entsprechenden Pressemitteilungen viel vom Breitbandausbau die Rede. Vom IoT: kein Wort.

Manche, die nicht zum Kreis dieser Giganten gehören, schreien hier: „Foul.“ „Neueinsteiger und kleine Unternehmen, die als Innovationstreiber dienen könnten, haben keine Chance“, sagt Christian Irmler, Vorstand der Firma Airdata, eines Spezialisten für Netze in Hotels und auf Messen. Seit acht Jahren klagt Airdata gegen die Bundesnetz­agentur, um sich das Recht zu erkämpfen, bei der Frequenzvergabe mitzubieten. Die Netz­agentur argumentiert, kleinere Unternehmen könnten den sicheren Netzausbau nicht garantieren. Irmler kontert: „Die großen Netzbetreiber haben wegen mangelnder Konkurrenz gar keinen Anreiz, innovative Technologien für das Internet of Things einzuführen.“  

Wer ein ordentliches Internet will, kann sich doch jederzeit selbst eins bauen.

Harald Zapp

Andere Länder zeigen, wie es besser geht. In den USA werden ganze Frequenzbereiche offen gehalten, um Städte und Farmen mit einem freien Funknetz zu versorgen. „In Deutschland fehlt solch eine durchdachte Strategie“, klagt der Netzexperte Jan-Peter Kleinhans. Auch Robert Stumpf, Partner bei der Unternehmensberatung Accenture, sieht Herausforderun­gen: „Die Mobilfunkbetreiber müssen die bestehenden Konzepte erweitern“, fordert er, um effiziente und kostendeckende Funknetze speziell für das IoT aufzubauen. Denn während die Telekommunikationskonzerne an Menschen – je nach Vertrag – üblicherweise fünf bis fünfzehn Euro im Monat verdienen, sei von Sensorgeräten nur ein Bruchteil solcher Summen zu erwarten: „Beim Internet der Dinge ist es vielleicht ein Euro pro Gerät im Monat“, sagt Stumpf. „Wenn überhaupt.“

Dennoch wehrt der Berater – der auch Telekomkonzerne zu seinen Kunden zählt – den Gedanken ab, Engpässe könnten das IoT in Deutschland von Anfang an ausbremsen. „In den nächsten drei bis fünf Jahren wird es keinen Stau geben“, sagt Stumpf. „Es gibt Möglichkeiten, Mobilfunknetze zu erweitern. Wir haben gerade LTE ausgerollt, und der nächste Standard, 5G, steht bereits vor der Tür.“ 
Sollten die Riesen zu sehr zögern, müssen sie darauf gefasst sein, dass jemand anders auf dem Datenhighway eine Schnellspur für das IoT baut. In den USA denken Google oder Facebook bereits darüber nach, mobiles Internet per Ballon, Flugzeug oder Satellit zu liefern. Und in Deutschland plädiert Harald Zapp, der Mann hinter dem funkenden Schokoriegel, für mehr Eigeninitiative: Im Zweifel sollen Unternehmen ihre Fabriken einfach selbst ins Netz bringen. „Wer ein ordentliches Internet will“, sagt Zapp, „kann sich doch jederzeit selbst eins bauen.“

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