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Das Erfolgsrezept von Aeropress: Guter Kaffee ist Trainingssache

von Max Biederbeck
Was ist der Kern der Aeropress-Begeisterung? WIRED hat ihn bei der Meisterschaft 2015 gefunden: Es ist die paradoxe Mischung aus Purismus und Experiment, Bohnensturheit und Filtergefummel. 

Dieser Artikel erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des WIRED Magazins im März 2015. Wenn ihr die Ersten sein wollt, die einen WIRED-Artikel lesen, bevor er online geht: Hier könnt ihr das WIRED Magazin testen.

Endlich, ein Bier. Mateusz Pet­linski lehnt an der Theke des Pubs in Berlin-Mitte und nimmt das erste koffeinfreie Getränk des Tages zu sich — es ist halb zehn Uhr abends. Wie viele Tassen Kaffee er heute schon geschlürft hat, hat er nicht gezählt. Aber es müssen sehr viele gewesen sein. Mateusz Petlinski gehört zur Filterkaffee-Fraktion. Genauer: zur Aeropress-Community.

Und heute ist sein Tag. Fans aus der Heimat sind extra angereist, drängeln sich im vollen Pub um den 25-jährigen Düssel­dorfer herum. Schließlich feiert hier das Who’s who der Aeropress-Szene — Profis an einer ganz spe­ziellen Kaffeemaschine, die es sich nicht mehr vorstellen können, konventionelle Vollautomaten oder schnöde Kapselschlucker zu bedienen. Eben ist die German Aeropress Championship 2015 zu Ende gegangen, und Petlinski hat — nach drei vergeblichen Anläufen in den Jahren zuvor — den Titel in der Tasche.

Der Pub ist voll. „Dort hinten sitzt das Barista-Team aus München“, ruft er den Freunden zu, „und da steht eine der Jurorinnen. Wahre Barista-Göttinnen!“ Besucher von Röstereiketten wissen es, andere vielleicht nicht: Barista nennt man professionelle Kaffee­zubereiter. Und wenn die Jurorinnen Göttinnen sind, dann ist Petlinski nun endlich auf dem Olymp angekommen.

Acht Stunden Wettkampf liegen hinter ihm. Drei Runden, 32 Gegner, mit denen er um die Wette gebrüht hat. Davor: zwei Wochen Training, Experimente, Feinjus­tierung an der Turnier-Bohnen­mischung, Jonglierarbeit mit der Aeropress. Die zuletzt so viel dazu beigetragen hat, dass der Filterkaffee endlich sein hemdsärmeliges Büro-Aroma losgeworden ist.

Vorher hatte das US-Unternehmen Aerobie vor allem Frisbeescheiben hergestellt. 2005 erweiterte es seine Produktpalette um eine einfach zu bedienende Espressomaschine ohne Elektronik: Im Kunststoff-Brühzylinder wird das Pulver mit Wasser gemischt, anschließend drückt man die Flüssigkeit manuell durch einen Filter, wie bei einer überdimensionalen Spritze.

„Für einen Espresso bekommt man von Hand nie genug Druck hin“, sagt Ralf Rüller, Organisator der Meisterschaft. „Für eine Tasse Kaffee ist die Aeropress aber ideal.“ 2012, bei der ersten Ausgabe des Turniers, war er selbst der deutsche Champion. In diesem Jahr war seine Deluxe-Rösterei The Barn in Berlin Schauplatz des Events.

Eine Aeropress-WM gibt es bereits seit 2008. Die Vorausscheidungen finden in 32 Ländern statt, You­tube-Videos aus aller Welt zeigen krude Spezialtechniken mit Dampf oder Stoff-Filtern. Besonderes Idol des Netzwerks war lange der Amerikaner Andy Sprenger, der mithilfe eines speziell präparierten Hario-V60-Filters diverse Titel gewann. Der Tumblr „Aerohacks“ sammelt weitere Ideen der Community — der es bei allem wissenschaftlichen Wahn am Ende aber doch um Säure, Frucht und Balance geht. „Die Szene explodiert gerade“, sagt Organisator Rüller. „Das sind Puristen, die echten, schwarzen Kaffee mit Geschmack wollen.“

Das ist der Kern der Aeropress-Begeisterung: die paradoxe Mischung aus Purismus und Experiment, Bohnensturheit und Filtergefummel. Auch Mateusz Petlinski, in Düsseldorf Head Barista von 17-Cafés der Rösterei Woyton, musste erst scheitern, bevor er zum Champion werden konnte. Musste endlos Mahlgrade, Wassertemperaturen und Ziehzeiten durchprobieren, bis ihm die Erleuchtung kam: die Bohnen kontrolliert überextrahieren! Regeln brechen! Petlinski nahm absichtlich zu wenig und zu kaltes Wasser, zog 25 statt 20 Prozent des Aromas aus den Bohnen. Sein Siegerkaffee mundet fast wie Johannisbeersaft, füllig, schwer. So außergewöhnlich, dass der Durchschnittsbarista ihn wohl weggekippt hätte.

„Es geht hier um alles, nur nicht um den kommerziellen, zu Tode verbrannten Schrott, den man mit Zucker und Milch strecken muss“, fasst Rüller den Spirit zu­sammen. Er meint wohl das Zeug, das der Rest der Welt morgens so trinkt. Wenn die Community am Ende auch noch Missionseifer hätte — es würde nicht schaden.

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