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Play-Kolumne / Thomas Glavinic über die Login-Logik des amerikanischen Wi-Fi

von Thomas Glavinic
Da wird man von einer Universität zu einem Gastaufenthalt eingeladen und hat zunächst nur Probleme. Doch wer ins Internet kommt, kann alles schaffen.

Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben, heißt es bekanntlich. Und wenn das wirklich stimmt, erlebe ich gerade einen enormen Wachstumsschub. Der Sinnspruch schließt ja nicht ein, dass man die Aufgaben bewältigen muss, man wächst anscheinend schon durch die Aufgabe. Das leuchtet mir zwar nicht ein, aber ich nehme das gern mal so zur Kenntnis.

Ich bin seit einiger Zeit in den USA. Das ist für sich schon eine Aufgabe. Nicht wegen der Amerikaner, die sind alle nett zu mir, zumindest bisher, sie kennen mich ja noch nicht. Nicht einfach ist es wegen der Technik.

E-Mails rauschen herab, und ich bin wieder Mensch.

Thomas Glavinic

Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. Eigentlich beim Internet. Ich will sofort E-Mails lesen, ich will in Facebook, ich will Imessages empfangen. Daten-Roaming habe ich abgeschaltet, ich bin ja nicht verrückt. Bei früheren Reisen habe ich Tausende Euro für Roaming bezahlt, das passiert mir nicht mehr. Kaum angekommen, gehe ich ins nächste Café mit Wi-Fi. Die iMessages, wie munter sie eintrudeln! Kaskaden von E-Mails rauschen herab, und ich bin wieder Mensch.

Von der Universität, die mich eingeladen hat, habe ich vorab einen Usernamen und ein Passwort bekommen, mit dem ich mich ins System einloggen muss, um danach dieses temporäre Passwort in ein eigenes zu verwandeln und Internetzugang zu kriegen. Leider wurde mir das für mich richtige Netzwerk nicht genannt. Zur Auswahl stehen dreißig. Ich gehe sie alle durch. Nach ein paar Stunden gebe ich auf.

Am Abend entdecke ich in meiner Wohnung ein Kämmerchen. Darin befindet sich eine Zeitmaschine oder so. Damit spiele ich lieber nicht rum. Ein schöner Abend, nur leider ohne Internet. Dafür Fernsehen. Amerikanisches, japanisches (WTF), französisches, italienisches. Deutsches nicht, dafür bin ich dankbar. Als ich mir Nudeln kochen will, lässt sich der Gasherd nicht anschalten. Ich mache mir ein belegtes Brot. Der Geschirrspüler sieht aus wie der große Bruder von HAL.

Was immer eine SSN ist, so was habe ich bestimmt nicht

Thomas Glavinic

Am nächsten Tag schicke ich vom Café aus einen Hilferuf an die Universität. Ich erfahre das richtige Netzwerk. Ich versuche mich einzuloggen. Es geht nicht. Ich versuche es Dutzende Male, bis ich endlich eine wohl schon lange dastehende Zeile lese: Der User wurde geblockt und soll sich an den Admin wenden.
Der nächste Hilferuf. Geblockt wurde ich, weil ich mich zu oft mit dem falschen Passwort einzuloggen versucht habe. Wieso falsches Passwort? Egal. Ich werde entblockt. Wenn es wieder nicht klappt, muss ich für einen neuen Zugang meine Daten schicken: full name, home address, date of birth, last 4 digits of your SSN. Die letzten 4 digits meiner SSN lassen in mir Panik aufkommen. Was immer eine SSN ist, so was habe ich bestimmt nicht, und wenn ich erst eine SSN kriegen muss, um meine E-Mails in der Wohnung lesen zu können, ziehe ich ins Café.

Es klappt. Jubelstimmung. Ich ändere mein Passwort und bin drin.

Thomas Glavinic

Es klappt. Jubelstimmung. Ich ändere mein Passwort und bin drin. Aber – gleich darauf werde ich nach einer Jasig NetID gefragt. Da habe ich ja eher noch eine SSN. Ich funke der Administration SOS. Sie meint, sie habe keine Ahnung, was eine Jasig NetID ist. Sie hofft, es funktioniert trotzdem.

Das wäre eine Idee: es trotzdem zu probieren. Und tatsächlich, endlich habe ich es geschafft: Es sollte nun in meiner Wohnung und auf dem Gelände der Universität für mich Wi-Fi geben. Mit Sicherheit weiß ich das aber erst, wenn ich das Café und damit die wärmende Sicherheit des Café-Wi-Fis verlassen habe. Ich bin jedoch zuversichtlich und gehe erst einmal etwas essen.

Daheim kommt die Stunde der Wahrheit. Die Hände beschwörend auf der vollgestopften Plauze gefaltet, erwarte ich das Symbol der erfolgreich hergestellten Verbindung. Es kommt. Nur die Wohnung ist noch immer nicht ganz erkundet. Es gibt verdächtig viele Türen. Ich schließe nicht aus, dass ich einige schon mehrmals aufgemacht habe, mich aber nicht daran erinnere. Die mit der Zeitmaschine ist mir schon vertraut. Zeitmaschine? Ich entdecke an ihr zwei Aufkleber. DRYER und darunter WASHER. Ich bekomme eine Ahnung. (to be continued)

Thomas Glavinic lebt als Schriftsteller eigentlich in Wien. Sein letzter Roman „Das größere Wunder“ erschien 2013. Für Wired schreibt er über seinen Alltag mit der Technologie. 

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