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Twentysomething / Tom Hillenbrand über Kakerlaken-Branding

von Tom Hillenbrand
Gut, dass Paul mir die Tür öffnet. Ich habe nämlich die Hände voll – mit Krillchips, Schokozeug und zwei Sixpacks Kirschbier. Nicht nur, weil das bei einem Rugbyspiel dazugehört. Sondern auch, weil Paul nie was dahat.

„Komm rein, Dae-Jung, gib mir das Zeug. Geh ins Wohnzimmer, ich komme gleich.“

Ich weiche einer auf dem Boden liegenden Unterhose aus und betrete Pauls Wohnzimmer. Klamotten, Geschirr, Pizzakartons – ein wildes Durcheinander. Unter dem Sofa schaut eine leere Weinflasche hervor, die schon bei meinem letzten Besuch dalag.
 

Dafür besitzt er einen nagelneuen 360er- Fernseher. Damit kann man das Spiel aus jeder beliebigen Perspektive verfolgen

Ich setze mich aufs Sofa. Eigentlich hätte ich lieber zu Hause geguckt. Ich bin kein Reinlichkeitsfanatiker, aber Pauls Junggesellenbude kippelt am Rande des Zumutbaren. Dafür besitzt er einen nagelneuen 360er- Fernseher. Damit kann man das Spiel aus jeder beliebigen Perspektive verfolgen, etwa aus der Trainerbox oder über dem Spielerpulk schwebend. Und Pauls siffige Wohnung muss man währenddessen auch nicht sehen.

Er setzt sich und reicht mir ein Kriek. „Prost!“ Paul reckt die Flasche nach oben: „Brussels Bombers!“
„Auf die Bombers“, antworte ich.
Die erste Halbzeit ist fad, ein Scrum nach dem nächsten, es geht nichts voran. Als der Abpfiff ertönt, sage ich: „Mehr Krillchips?“
„Aber immer.“

Ich nehme meine Specs ab und mache mich auf den Weg in die Küche. Auf halbem Weg stoppe ich vor einer Tür. Das Klo. Mit dem Fuß drücke ich die Tür auf und mache mich auf das Schlimmste gefasst. Umso überraschter bin ich, als ich sehe, wie sauber die Toilette ist. Und nicht nur die: Jeder verdammte Quadratzentimeter Keramik funkelt.

In der Küche ist es ebenfalls sauberer als erwartet. Zwar stehen überall Tassen und Teller herum, aber grindig ist es nicht. Nachdenklich öffne ich den Kühlschrank und entnehme ihm zwei Bier. Als ich nach der Chipstüte greife, fällt mein Blick auf eine Pfanne in der Spüle. Etwas darin scheint sich zu bewegen. Ein daumengroßer, seltsam gefärbter Käfer sitzt auf dem Stiel, ein zweiter klettert gerade den Rand hoch. Ich mache einen Satz rückwärts und höre hinter mir ein Geräusch. Als ich mich umdrehe, sehe ich eine weitere Schabe, die gerade über einen Teller huscht. So schnell ich kann, verlasse ich die Küche.
Paul sitzt noch immer auf dem Sofa und guckt ein Replay.

„Guck dir Renard an. So ein Lahmsack. Der sollte sich dringend neue Beine … Was ist denn?“
„Alter, deine Küche!“
Er grinst. „Könnte mal wieder aufgeräumt werden, was?“
„Sie ist voller Kakerlaken. Sorry, Mann. Ich hau ab.“
Ich gehe zur Tür. Paul eilt mir nach.
„Beruhig dich, Dae.“
„Nee, Paul. Diesmal hast du es echt zu weit getrieben.“

Echte Kakerlaken haben kein Logo auf dem Flügel.


Er räuspert sich und ruft: „Roomba-Roaches zu mir!“ Geraschel. Aus verschiedenen Ecken tauchen insgesamt ein Dutzend Käfer auf. Sie krabbeln über den Teppich und bleiben einen Meter vor Paul in einer Reihe stehen. Nun kann ich sehen, dass es sich nicht um echte Kakerlaken handelt.
Echte Kakerlaken haben kein Logo auf dem Flügel.

„Hab ich letzte Woche gekauft. Die Dinger krabbeln durch die ganze Wohnung. Lesen Krümel auf, Staubkörner oder anderen Dreck. Sogar im Klo.“

„Sie putzen das Klo?“
„Yup. Haben synthetische Zungen. Damit lecken sie die Keramik sauber.“
„Das ist ja widerlich.“
„Nein, das ist großartig. Es mag hier verdammt unaufgeräumt sein. Aber es ist auch verdammt sauber.“
„Du könntest einfach mal wischen“, sage ich.
„Keinen Bock. Und jetzt setz dich wieder. Spiel läuft.“

Noch auf dem Weg zum Sofa kippe ich das halbe Bier runter. Mein bester Freund bevölkert seine Wohnung mit Cyberkakerlaken, um sich die echten Kakerlaken vom Hals zu halten. Wenn das mal kein Fortschritt ist.

TOM HILLENBRAND ist Schriftsteller, sein Buch „Drohnenland“ spielt in einem hoch technologisierten Europa der nicht allzu fernen Zukunft. In dieser Zeit lebt auch PR-Profi Dae-Jung Leclerq, der seine Alltagserlebnisse hier regelmäßig schildert.

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