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Ingenieurin Samira Hayat kommt aus Pakistan und entwickelt modernste Drohnen-Technik

von Max Biederbeck
Die Pakistanerin entwickelt in Klagenfurt gute Zwecke für Drohnen: Sie sollen im Schwarm Leben retten. In WIRED erzählt sie, wie und warum sie forscht.

Ich habe beim Zahnarzt gelernt, was Menschen über meine Arbeit denken. Die Szene hat sich während meines letzten Besuchs zu Hause in Pakistan abgespielt. Mein Vater hatte mich in die Praxis begleitet, und während ich behandelt wurde, fing er an zu erzählen. „Meine Tochter forscht in Europa“, erklärte er dem Zahnarzt, „an einer Universität in Österreich, und dort beschäftigt sie sich mit Drohnen.“ Als der Zahnarzt das letzte Wort vernahm, überspielte er seine Über­raschung mit einem Lachen und sagte: „Ich hoffe doch, sie arbeitet nicht für die Bösen.“ Sätze wie dieser begleiten meine Arbeit.

Ich bin im Norden Pakistans aufgewachsen, unweit der Gebiete, in denen die Amerikaner heute mit „Predator“- und „Reaper“-Drohnen Jagd auf die Taliban machen. Die Militärdrohnen sind wie riesige Raubvögel, die am Himmel kreisen. Viele Pakistaner fürchten den blauen Himmel, denn das sind perfekte Bedingungen für den Einsatz, aus großer Höhe bringen sie dann den Tod. Ich selbst habe zum ersten Mal als Jugendliche von Drohnen aus den Nachrichten erfahren. Es ging um einen Angriff, bei dem auch Zivilisten ums Leben kamen. Das Fernsehen zeigte die Geräte in Großaufnahme, ich saß mit meiner Familie im Wohnzimmer, und alle sprachen davon, wie furchteinflößend sie aussähen. Ich aber empfand Neugier. Mich interessierte, wie diese Dinger funktionieren. Ihre Unabhängigkeit faszinierte mich. Also setzte ich mich an den Computer und begann, Informationen über diese autonomen Flugmaschinen zu suchen, sogenannte unmanned aerial vehicles (UAV). Ich verstand nicht, warum ich Angst vor ihnen haben sollte. Und mir wurde klar: Ich will irgendwann mit Drohnen arbeiten. Auch deshalb habe ich in Pakistan dann Elektrotechnik studiert.

Mit meiner Berufswahl habe ich einige Tabus gebrochen, meine Freunde zu Hause gaben mir den Spitznamen „Rebellin“. Es war tatsächlich ein täglicher Kampf: Eine pakistanische Frau, die Ingenieurin wird und an Drohnen forscht, das ist schon außergewöhnlich. Und statt einen Mann zu heiraten, bin ich dann nach Europa gezogen, des Berufs wegen. Vielleicht haben meine Freunde mit der „Rebellin“ also recht, sonst wäre ich nicht so weit gekommen. Ich mag den Titel irgendwie.

Seit 2012 forsche ich an der Universität Klagenfurt. Am dortigen Institut für vernetzte und eingebettete Systeme entwickeln wir autonome, sich selbst organisierende Systeme für zivile Zwecke. Zum einen forschen wir an UAVs, die einmal in Katastrophenfällen oder bei Unglücken zum Einsatz kommen sollen. Ein zweiter Anwen­dungsbereich wäre ein kommerzieller, nämlich Drohnen als automatische Boten zu benutzen. Wir stehen im Be­reich Dienstleistungen aber noch ganz am Anfang der Forschung. Vorstellbar wäre etwa, Medikamente in kürzester Zeit zu Patienten zu bringen. UAVs könnten Medizin rund um die Uhr und völlig unabhängig ausliefern. Eine noch ganz andere, aber sehr ferne Einsatzmöglichkeit für Drohnenschwärme wäre auch denkbar: Sie könnten irgendwann zum Beispiel selbstständig Häuser bauen.

Unsere Forschungsdrohnen haben nichts mit den Killermaschinen gemein, die wir alle aus dem Fern­sehen kennen. Sie sind erheblich kleiner, könnten nie eine schwere Rakete tragen. Die leichten Rundstrahl­antennen, mit denen sie ausgerüstet sind, mussten wir dementsprechend selbst entwickeln. Doch allein schon die Funknetzwerke, mit denen die Drohnen untereinander und mit der Basisstation verbunden sind, sind schwer zu etablieren. Das ganze Sys­tem von sich selbst organisierenden Drohnenschwärmen ist hochkomplex, weil es im Raum operiert. Es ähnelt dem, was in der Robotik als künstliche Intelligenz bezeichnet wird. Die Ver­bindungen zwischen den Drohnen müssen stabil funktionieren, sie müssen mit Geländeinformationen ausge­stattet sein, ein Koordinationsprotokoll besitzen und umfassende Sensorik. Damit sich die Schwärme besser auf möglichst realitätsnahe Szenarien einstellen können, etwa eine Rettungs­mission in einem unübersichtlichen Katastrophengebiet, müssen sie auch dann ihren Auftrag erledigen können, wenn ihre Funkverbindungen unter­einander nicht zuverlässig funktio­nieren. Etwa, wenn nicht alle Drohnen Kontakt zur Basisstation haben.

Besonders sinnvoll wäre der Einsatz der Schwärme dann, wenn sie schneller sind als menschliche Helfer. Wenn sie nach einem Lawinenunglück Verschüttete rascher finden und einen Rettungstrupp am Boden an den richtigen Ort lotsen. Oder wenn sie helfen können, dass menschliche Retter sich nicht selbst in Gefahr bringen. Zum Beispiel im Fall eines Atomunfalls, wenn die Strahlung für sie einfach zu gefährlich ist. Da könnten Drohnen mehrere Funktionen haben: die Lage im Haus aufklären, Eingeschlossene über deren Handysignale orten und Feuerwehrleute oder gar einen Roboter am Boden dirigieren, um zu den Opfern vorzudringen.

Was wir in Klagenfurt entwickeln, ist also einfach nützlich. Ich bin mir bewusst, dass mit Drohnen schreckliche Dinge angestellt werden und das Wort allein schon negativ konnotiert ist. Aber man kann Drohnen eben auch dazu einsetzen, Menschen in Notfällen zu helfen. Oder auch für kommerzielle Zwecke. Wir können etwas, das uns Angst einjagt, in etwas verwandeln, das unserem Wohl dient.

Vor allem in Pakistan sind die Leute angesichts von Drohnen aber wei­ter mehr als skeptisch. Die Frage meines Zahnarztes nach dem „Bösen“ war in dem Zusammenhang noch eine harmlose. Andere wollen wissen, ob ich Killer-Roboter baue. Oder ob ich an US-Drohnenangriffen beteiligt bin. Natürlich habe ich mit alldem nichts zu tun. Ich habe oft den Eindruck, dass die Menschen in Pakistan verlernt haben, das Positive an Technologien zu sehen. Und auch in Europa glauben viele, Drohnen seien nur eine weitere Bedrohung für ihre Privatsphäre. Ich will Leute mit meiner Arbeit Stück für Stück davon abbringen, so zu denken.

Das fängt bei meinem Vater an. Auf die Worte des Zahnarztes sagte er: „Ich weiß nicht, ob Drohnen etwas anderes können, als Böses zu tun.“ Ich schwöre, hätte der Arzt in dem Moment nicht seine Instrumente in meinem Mund gehabt, ich hätte den beiden eine ordentliche Standpauke gehalten.

Eine Übersicht aller Innovatoren der Februar-Ausgabe von WIRED gibt es hier.

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