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Systemadmin Robert Böhme will privat zum Mond fliegen

von Joachim Hentschel
Der Systemadministrator und seine Kompagnons sind kurz davor, den ersten privat finanzierten Flug zum Mond zu starten.

Robert ist 29, und er will nicht zum Mond. Schade, denn das wäre ja die karamelligere Story: die erste privat organisierte und finanzierte euro­päische Mondlandung, vielleicht sogar die erste nicht-staatliche überhaupt. Die Jungs dahinter könnten schäumende deutsche Raumpiraten sein, junge Eroberer mit Richard-Branson-Gesichtshaut, die schreiend unterm Sternenhimmel stehen und sich am liebsten gleich selbst mit reinsetzen würden ins Planetenauto, das sie bis Ende 2016 ins All schießen werden.

Aber selbstverständlich handelt private Raumfahrt vor allem von Halbleitertechnologie, Spannungsregulierung im Vakuum, gebrochenen Motorblöcken und vom Schreiben komplexer Briefings für Sponsoren. Und dafür ist Robert Böhme der absolut Richtige. Ein Analytiker, ein leidenschaftlicher naturwissenschaftlicher Detailkrämer. Einer, der erst dann kreativ wird, wenn die anderen sich aus der logischen Kette verabschieden. Bitte nicht: Tüftler, denn übers Stadium der niedlich-schwäbischen Lötkunst ist das Projekt, um das es hier geht, seit mindestens fünf Jahren hinaus.

20 Millionen Dollar gewinnt beim X-Prize das Team, das ein Gefährt auf dem Mond 500 Meter bewegt und dabei ein Live Video sendet.

„Ich bin Informatiker, und Informatiker sind geborene Pessimisten“, sagt Böhme, Berliner, Leiter der Mondlande-Gruppe Part-Time Scientists. „Ich gehe immer vom Worst-Worst-Case-Szenario aus. Das treibt mich an: das ständige, nie endende Problemelösen.“ In den Weltraum zieht es ihn nicht, meint er. Im Moment nicht.

Aber von vorn: Was ist passiert? Im Herbst 2008 bekommt Böhme, Hochbegabter und freier Deluxe-System­administrator, eine Mail von einem früheren Schulfreund. Darin: der Link zu einer Ausschreibung von Google. 30 Millionen Dollar soll unter denen verteilt werden, die es bis zum Ablauf der Wettbewerbsfrist schaffen, einen Space-Rover zu bauen, ihn irgendwie auf den Mond zu bugsieren, dort 500 Meter zu fahren und Kamerabilder von der Fahrt auf die Erde zu übertragen. Ein Versuch, den hochriskanten Sektor der privaten Raumfahrt zu pushen. Zu einer Zeit, als noch nicht mal Elon Musks erste SpaceX-Rakete testgestartet war.

Böhme, der noch nie etwas mit dem All zu tun hatte, bleiben nur drei Tage Zeit, die Anmeldeformulare zum Google Lunar X-Prize auszufüllen und 10.000 Dollar Gebühr zu organisieren. Er hört sich bei Experten um. Jeder sieht ein anderes Problem. Start. Landung. Strahlung. Kräfte. Thermik. Böhme findet das super. Er schickt den Antrag raus, gibt wenige Tage später in Berlin eine Party für Freunde.

„Wie Nerds nun mal grillen: Wir haben ein paar Würstchen auf den Rost gelegt, ein Whiteboard auf den Stuhl gestellt“, erinnert er sich. „Und dann überlegt, was man für eine Mondmission so alles braucht.“

Jetzt, mehr als sechs Jahre später, stehen die Part-Time Scientists im Kreis der letzten ernst zu nehmenden Kandidaten, laut Zwischenstand unter den Top Five (neben zwei US-Teams, einem indischen, einem japanischen). Ihr Mondrover, der wie eine Mischung aus einem sehr kleinen Servierwagen und dem Nummer-5-lebt!-Roboter ausschaut, sowie der selbst konstruierte Kamerakopf gelten als die besten im Teilnehmerfeld, haben alle Vibrations-, Vakuums- und Fahr-Challenges glorios bestanden, unter anderem im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Oberpfaffenhofen, wo die Angestellten höchst erfreut waren, dass endlich wieder jemand die steuerfi­nanzierten Testeinrichtungen entstaubte. Rund 70 Leute gehören heute zum erweiterten Kreis der Scientists, ehrenamtliche Ingenieure, Programmierer, Optik- und Alles-Mögliche-Spezialisten, in Österreich, Frankreich, den USA. Sogar Jack Crenshaw ist dabei, ein alter NASA-Haudegen, der schon fürs Apollo-Programm die Flugbahnen berechnet hatte und irgendwann in Berlin anrief. Warum er sich nicht bei einem der US-Teams beworben habe, fragten sie ihn. Weil die alle doof seien, sagte Crenshaw.

ROVER
Asimov Jr. R3C (das vierte Modell seit 2009) ist 90 cm lang, 70 breit, 65 hoch, wiegt 40 Kilo. Spitzentempo: 3,6 km/h – das wäre aber zu riskant. Für die 500 Mondmeter soll er in der Praxis 30 Minuten brauchen.
SOALRPANEL
Für eine Stunde  Fahrt reicht der Akku, mehr Strom kommt übers Panel. 100 Watt bringt es auf dem Mond – mehr als auf der Erde. Die Sonne scheint da oben 30 Prozent stärker.
RÄDER
Sie sehen massiv aus, sind aber hohl (1 mm Wandstärke) und enthalten ihre eigenen Motoren. Das Profil ist gewölbt – Experimente zeigten, dass sich flache Räder eher im Mondstaub festfahren.
KAMERA
Vom Gehäuse bis zur Platine selbst entwickelt. Spezialität: das Filterrad, das Fotos mit verschiedenen Lichtwellenlängen erlaubt. Die Linsen: vom früheren NASA-Lieferanten Schneider  Kreuznach.
MATERIAL
Der Wert des R3C liegt bei 250 000 Euro, Material­spenden von Sponsoren nicht eingerechnet. Das endgültige Mondmodell wird zu großen Teilen aus Titan 3D-gedruckt  – und entsprechend mehr kosten.
STEUERUNG
Die Mondfahrt wird vom Tablet aus gesteuert werden. Theoretisch könnte wohl jeder den Rover fahren – wären da nicht die vertrackten drei Sekunden Übertragungsverzögerung zwischen Erde und Mond.

„Ich persönlich wünsche mir, dass Raumfahrt langweilig wird, alltäglich. Dass die Leute sagen: Nicht schon wieder eine Mission zum Mars!“, meint Böhme, und genau das ist das eigentliche Ziel der Part-Time Scientists: Technologieanbieter zu werden, full time. Den Teil des internationalen Space Race mitzubeschleunigen, in dem es weder um milliardenschwere politische Repräsentation noch um Abenteuerurlaub für Champagner­säufer geht. 3D-Drucker auf den Mond stellen, mit denen man aus Regolith Bauteile für Raketen machen kann. Vor Ort Treibstoff gewinnen, den man dann nicht mehr mit hochschießen muss. Datenserver in die Planeten­decke graben, garantiert spionage­sicher. Wenn der Rover erst mal oben ist, können sie alles ausprobieren. Und sie wollen von der Raumfahrttechnik leben, so bald wie möglich.

Im besten Fall wird die Google-Aktion dann nur noch der Gründungsmythos der Part-Time Scientists sein. Ein einstelliger Millionenbetrag, mehr wird die Reise am Ende nicht gekostet haben. Okay, einen Posten sollte man dazurechnen: die Trägerrakete. Wahrscheinlich eine russische Dnepr, davon sollen einige in den Depots liegen, Kos­ten mit Launch rund 20 Millionen Euro. Dafür darf man sogar selbst vor Ort aufs Knöpfchen drücken, sagt Böhme. Der erste und einzige kindische, roman­­tische Moment dieser Mondmission.

Eine Übersicht aller Innovatoren der Februar-Ausgabe von WIRED gibt es hier. In der Juli-Ausgabe stellt WIRED weitere Erfinder und Wissenschaftler vor, die ihren Forschungsfokus auf die private Raumfahrt legen.

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