Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Krieg der Welten: Wer ist der wahre Entdecker von Gliese 667c?

von Lee Billings
Niemand weiß, wie der Planet Gliese 667 Cc aussieht. Wir wissen nur, dass er etwa 22 Lichtjahre von der Erde entfernt ist – eine Reise, die viele Menschenleben dauern würde. Es kann auch niemand sagen, ob seine fremde Welt unserer eigenen ähnelt, mit Ozeanen, Städten und Single-Malt-Scotch. Nur minimale, kaum messbare Pendelbewegungen des Sterns, den er umkreist, lassen Astronomen darauf schließen, dass der Planet überhaupt existiert.

Gliese 667 Cc ist größer als unsere Erde, besteht möglicherweise aus Gestein statt aus Gas und er befindet sich innerhalb der bewohnbaren („habitablen“) Zone seines Sterns – nah genug, um Wasservorkommen zu ermöglichen, aber wiederum nicht so nah, dass die Strahlung alles Leben vernichten würde.

Doch all das genügt, um Wissenschaftler, die sich der Suche nach Planeten außerhalb unseres Sonnensystems – sogenannten Exoplaneten – verschrieben haben, in helle Aufregung zu versetzen. Gliese 667 Cc mag kein Zwilling der Erde sein, aber zumindest bietet er sich als weit entfernter Cousin an. Es weiß auch niemand, ob Gliese-Bewohner in diesem Augenblick ihre besten Teleskope auf unsere Sonne ausgerichtet haben und sich ähnliche Fragen stellen. Doch fest steht, dass der Entdecker von Gliese 667 Cc in die Geschichte eingehen wird – und genau da liegt das Problem. Denn was niemand weiß: Wer von Glieses Entdeckern war wirklich der Erste? Hat einer geschummelt? Der Planet steht ihm Zentrum einer Auseinandersetzung epischen Ausmaßes. Einer Kontroverse über die Stichhaltigkeit von Daten – und darüber, wie singulär wissenschaftliche Entdeckungen überhaupt sein können.

Der Astronom Wilhelm Gliese katalogisierte in den 50er-Jahren Hunderte von Sternen. Der Kleinbuchstabe signalisiert, in welcher Reihenfolge Planeten entdeckt wurden, die den Stern umkreisen

Die Vorgeschichte: Es war Ende 1995, als der Schweizer Astronom Michel Mayor und sein Schüler Didier Queloz bekannt gaben, dass sie erstmals in der Umlaufbahn eines sonnenähnlichen Sterns auf einen Exoplaneten gestoßen waren: 51 Pegasi b. Der große Abstand zu seiner Sonne schloss Leben aus, doch die Entdeckung machte Mayors Team weltberühmt.

Die Führungsposition im Rennen der Planetenjäger verloren die Europäer allerdings schon bald darauf an zwei amerikanische Forscher: Geoff Marcy und Paul Butler. Die beiden suchten schon seit fast zehn Jahren nach Exoplaneten; ihre ersten Welten entdeckten sie nur wenige Monate nach Mayors Bekanntmachung.

Stellare Schwankung: Abweichungen in der spektroskopischen Signatur eines Sterns mit einem Exoplaneten erzeugen eine Sinuswelle

Die beiden Teams entwickelten sich zu verbissen konkurrierenden Dynastien, die alles daran setzten, möglichst viele – und möglichst vielversprechende – Planeten für sich zu reklamieren. Dieser Wettbewerb kam der Wissenschaft zugute: Innerhalb von nur zehn Jahren hatte jedes der beiden Teams gut hundert Welten im Orbit der verschiedensten Sterne gefunden. Schon bald konzentrierte sich die Jagd auf eine sehr viel spektakulärere Trophäe: Die Teams forschten nun nach kleineren Welten, Gesteinsplaneten, die sie als „erdähnlich“ betiteln konnten.

Die meisten Planetenjäger halten nicht direkt Ausschau nach Exoplaneten, denn diese sind zu klein und reflektieren zu wenig Licht, um mit bloßem Auge sichtbar zu sein. Stattdessen konzentrieren die Forscher ihre Suche auf verräterische Unregelmäßigkeiten im Lichtspektrum der Sterne, die darauf hindeuten, dass sie von Exoplaneten umkreist werden. Wird ein Stern durch die Schwerkraft eines Planeten, der ihn umrundet, auch nur minimal in Richtung Erde bewegt, staucht der Doppler-Effekt die Lichtwellen zusammen und verschiebt sie zum blauen Rand des Spektralbereichs. Bewegt sich der Stern dann wieder von der Erde weg, werden die Lichtwellen zum roten Rand hin auseinandergezogen. Diese Abweichungen sind so gering, dass nur ein Spektrograf sie messen kann. Je präziser er ist, desto kleinere Schwankungen – und damit Planeten – kann er entdecken. Aber man merkt schon: Es ist eine komplexe und fehleranfällige Methode. Offen für Interpretation.

Ende 2003 erhielt das europäische Team ein sehr präzises Instrument: den High Accuracy Radial Velocity Planet Searcher, kurz HARPS. Auf ein 3,6-Meter-Teleskop in Chile montiert, kann HARPS Schwankungen von weniger als einem Meter pro Sekunde erkennen. (Der Einfluss, den die Erde beim Kreisen auf die Sonne ausübt, beträgt nur ein Zehntel davon.) Die Amerikaner mussten mit einem älteren Instrument namens HIRES auskommen – das weniger genau messen konnte, aber mit einem leistungsstärkeren Teleskop verbunden war.
Während die beiden Teams ihren Kampf um die Vormachtstellung ausfochten, braute sich unter den Amerikanern Ärger zusammen.

Der Großbuchstabe C weist auf ein Dreiersystem hin,das auch einen A- und einen B-Stern besitzt

Marcy, ein geborener Selbstdarsteller und brillanter Wissenschaftler, ließ sich regelmäßig auf den Titelseiten von Magazinen und Tageszeitungen feiern. Butler, deutlich verschlossener, widmete sich lieber dem Verbessern von Datenübertragung und Kalibrierungsmethoden. Je berühmter Marcy wurde, umso mehr fühlten sich Butler und ein anderes Teammitglied, Marcys Doktorandenbetreuer Steve Vogt, an den Rand gedrängt. Das Verhältnis erreichte einen Tiefpunkt, als Marcy sich 2005 eine Auszeichnung von einer Million Dollar mit dem Schweizer Erzrivalen Mayor teilte. Es half wenig, dass Marcy in seiner Dankesrede Vogt und Butler erwähnte; zwei Jahre später kam es endgültig zum Bruch: Die beiden anderen Forscher gründeten ihr eigenes Team. Butler und Marcy haben seitdem kaum ein Wort miteinander gesprochen.

In der Zwischenzeit entdeckte das ständig wachsende europäische Team mit HARPS immer neue Planeten. Im Frühjahr 2007, so schien es, kam der ersehnte Durchbruch: Die Europäer gaben bekannt, einen bewohnbaren Planeten gesichtet zu haben – Gliese 581 d1. Es war ein Knüller, eine „Supererde“ am äußersten Rand der habitablen Zone, achtmal größer als unser Heimatplanet.
Derselbe Stern bescherte dann auch Butler und Vogt 2010 ihren eigenen großen Fund: Gliese 581 g, mitten im Zentrum der bewohnbaren Zone, nur dreimal so groß wie die Erde und den Daten nach so idyllisch, dass Vogt ihn „Zarminas Welt“ taufte – benannt nach seiner Frau. Die Chance auf Leben, verkündete er, liege dort bei „100 Prozent“. Marcy war geschlagen, Butler und Vogt durften Anspruch auf die Entdeckung der ersten erdähnlichen Welt anmelden und hatten auch noch ihre europäische Konkurrenz ausgestochen.

Doch Skeptiker meldeten Zweifel an. Zarminas Welt schien ihnen zu schön, um wahr zu sein. Zu schwach seien die Signale, auf die sich die Amerikaner beriefen, um seriöse Schlussfolgerungen zuzulassen, kritisierte das europäische Team. Der Wettbewerb wurde härter. Ganze Welten standen auf dem Spiel.
Bildet man die Schwankungen ab, die ein einzelner Planet bei seiner Sonne bewirkt, ähnelt das Ergebnis einer Sinuskurve. Doch Abweichungen von wenigen Zentimetern pro Sekunde lassen sich bei einem viele Lichtjahre entfernten, gigantischen, brodelnden Plasmaball nur entdecken, wenn jahrelang gemessen und beobachtet wird – und selbst dann gibt sich das minimale Sternetrudeln in den Messungen nur als bruchstückhafte Verschiebung einzelner Pixel zu erkennen. Es kommt vor, dass der eine hochmoderne Spektrograf einen Fund meldet und der andere nicht. So können Forscher über Jahre hinweg vielversprechenden Signalen hinterherjagen, nur um mit ansehen zu müssen, wie ihre Entdeckerträume verpuffen. Erfolge verlangen eine schwer kalkulierbare Mischung aus wissenschaftlichem Scharfsinn, Ausdauer und Besessenheit.
Auf den Astronomen Guillem Anglada-Escudé treffen diese Attribute hundertprozentig zu.

Bei genauerem Hinsehen erwiesen sich viele vermeintliche Planeten als galaktische Fata Morganen. Plötzlich wurde Gliese 667 Cc zum ersten nahen Verwandten der Erde im Weltall

Der Spanier – heute Dozent an der Londoner Queen Mary University – tat sich kurz nach der Entdeckung von Gliese 581 g mit Butler und Vogt zusammen. Mit Butler verband ihn eine langjährige Freundschaft. Inzwischen wird die Entdeckung von 20 bis 30 Exoplaneten Anglada-Escudé zugeschrieben. Viele fand er, indem er öffentlich zugängliche Daten nach schwachen, kaum erkennbaren Signalen von Sternschwankungen durchsuchte. Die Europäische Südsternwarte, die HARPS finanziert, verlangt, dass Nutzer des Spektrografen ihre Messungen nach ein bis zwei Jahren öffentlich machen. Das gibt anderen Forschern die Chance, Planeten zu erspähen, die dem HARPS-Team vielleicht entgangen sind. Wie sich zeigte, muss man von den Europäern nicht unbedingt selbst zum Festmahl eingeladen sein – es kann ähnlich nahrhaft sein, die Reste vom Tisch zu sammeln.

Anglada-Escudé begann mit seiner Suche im Sommer 2011, als 32-jähriger Postdoktorand. Mit Butlers Hilfe hatte er alternative Analysemethoden entwickelt, die er nun dazu nutzte, öffentliche HARPS-Daten auszuwerten. Sein Ansatz, argumentierte er, könne Signale aus dem Hintergrundrauschen effizienter herausfiltern.

Der Typus eines Sterns hängt von seiner Farbe und Temperatur ab. Unsere Sonne ist ein Gelber Zwerg, Gliese 667 C ist ein kalter Roter Zwerg

Eines späten Abends im August nahm der Forscher Gliese 667 C2 ins Visier: Fast 150-mal hatte das HARPS-Team zwischen 2004 und 2008 den gut 22 Lichtjahre entfernten Stern vermessen. Anglada-Escudé saß in einem abgedunkelten Zimmer vor seinem Laptop und wartete ungeduldig, während sich seine selbst entwickelte Software durch Datenberge fraß.

Die ersten Signale waren wenig spektakulär – sie ließen auf einen Planeten schließen, der in sieben Tagen einmal um seinen Stern kreist. Je schneller, desto näher muss der Planet dem Stern sein; eine Woche nur bedeutet Temperaturen, die jede Welt in einen unwirtlichen Schlackeball verwandeln. Ohnehin hatte das HARPS-Team diesen Planeten bereits 2009 als Gliese 667 Cb registriert.

Aber in der stellaren Sinuswelle, die sich über seinen Monitor schlängelte, erspähte Anglada-Escudé noch etwas, das verdächtig nach einer Signatur aussah. Er ließ sein Programm ein weiteres Mal durchlaufen, und ein zweites Signal tauchte auf: ein starkes Oszillieren über einen Zeitraum von 91 Tagen hinweg – möglicherweise ein Planet, vielleicht aber auch nur eine Schwingung, die auf die Rotation des Sterns selbst zurückzuführen war. Er beschloss, es vor dem Schlafengehen noch einmal zu probieren und dabei die beiden Signale zu nullen. Als die Anpassung beendet war, starrte er eine Weile auf seinen Bildschirm, betrachtete die Ergebnisse und rauchte eine Zigarette, um seine Nerven zu beruhigen.

Das Programm schien einen weiteren Planeten entdeckt zu haben, mit einer Umlaufbahn von 28 Tagen – innerhalb der bewohnbaren Zone. Noch dazu sah alles nach einem Gesteinsplaneten aus, da er auf knapp die vierfache Masse der Erde kam. Gliese 667 Cc – der schon am Anfang dieses Textes beschriebene Planet. Falls die Daten hielten, was sie versprachen, wäre dies der dritte erdähnliche Planet, der je entdeckt wurde. „Es war sehr seltsam“, erinnert sich Anglada-Escudé, „in einem drei Jahre alten, öffentlich zugänglichen Datensatz einen bisher unbekannten, womöglich bewohnbaren Planeten zu entdecken, den noch niemand für sich beansprucht hatte.“

Anglada-Escudé wandte sich an seine Mentoren Butler und Vogt. Butler untersuchte den Stern erneut, fertigte 21 neue Messungen von Gliese 667 C mit dem Carnegie-Planet-Finder-Spektrografen in Chile an; Vogt stieß in Archiven auf 20 weitere HIRES-Datensätze. Alle bestätigten den Fund. Das Team begann, einen Bericht zu verfassen, um die Entdeckung bekannt zu geben.
Doch Anglada-Escudé wollte absolut sicher sein. Der beste Weg, die Ergebnisse zu prüfen, bestand im neuerlichen Vermessen mit HARPS, dem europäischen Spektrografen. Da das Instrument von Deutschland mitfinanziert wurde, konnte Anglada-Escudé sich für die Nutzung bewerben, denn er arbeitete zu dieser Zeit an einer deutschen Universität. Butler und Vogt trieb die Sorge um, das europäische Team könnte durch den Antrag auf ihre Entdeckung aufmerksam werden – sie rieten ab. Doch Anglada-Escudé hielt an seinem Plan fest. Ende September 2011 beantragte er die HARPS-Nutzung für 20 Nächte, nannte als eines der Beobachtungsziele Gliese 667 C und erwähnte auch die Existenz eines Signals im 28-Tage-Takt.

In den folgenden Wochen prüfte Anglada-Escudé regelmäßig, ob Mitglieder des HARPS-Ausschusses seine Website besucht hatten – wenn ja, so überlegte er sich, würde das darauf hindeuten, dass sie den Antrag bearbeiteten. Mitte November registrierte er einen sprunghaften Anstieg der Besucherzahlen aus Garching bei München, dem Sitz des Prüfungsausschusses, sowie anderen europäischen Städten mit HARPS-Teammitgliedern. Und dann wurde sein Antrag doch abgelehnt.

Jetzt wurde es dramatisch. Etwa zwei Monate nach Anglada-Escudés Anfrage stellten die HARPS-Wissenschaftler ein Forschungspapier in ein Online-Archiv für Fachartikel, die bald darauf veröffentlicht werden sollen. Das Dokument fasste eine Reihe von HARPS-Untersuchungen zu Roten Zwergensternen3 zwischen 2003 und 2009 zusammen, und das Team hatte es bereits bei einem bekannten Fachmagazin eingereicht. Hauptverfasser war der im französischen Grenoble lebende Xavier Bonfils, Leiter der HARPS-Suche von Planeten im Umfeld Roter Zwerge. Am Rande erwähnte die 77 Seiten starke Abhandlung auch, das Team habe eine Supererde mit 28-Tage-Orbit um Gliese 667 C entdeckt. Ein detaillierter Bericht sei in Vorbereitung.

Vogt sah die Abhandlung des HARPS-Teams als Erster. „Uns ist jemand zuvorgekommen“, schrieb er einsilbig an Butler und Anglada-Escudé. „Ich war sehr aufgebracht“, erinnert sich Anglada-Escudé. „Also las ich den Bericht erneut und begann, genau auf Ungereimtheiten zu achten.“ Eine schien ihm besonders aussagekräftig: Die Umlaufzeit von Gliese 667 Cc war korrekt mit 28 Tagen beziffert, aber ein anderer Wert des Planeten – nämlich der Abstand zu seinem Stern – entsprach fälsch-licherweise einer Umlaufzeit von 91 Tagen.
Womöglich, so vermutete Anglada-Escudé, bezog sich der Eintrag ursprünglich auf ein anderes Signal, ehe er übereilt geändert wurde. Hatte das HARPS-Team eventuell seinen Antrag gesehen, so fragte sich der Forscher, und ihn abschmettern lassen, um selbst im Erfolg dieser spektakulären Entdeckung zu baden? „Es hätte auch alles reiner Zufall sein können“, räumt Anglada-Escudé ein. „Aber ich konnte ein gewisses Misstrauen nicht abschütteln.“

Anglada-Escudé setzte alles daran, seinem für ihn rechtmäßigen Anspruch Geltung zu verschaffen. Mit seinen Kollegen verfasste er ein Forschungspapier und reichte es beim einflussreichen Fachmagazin Astrophysical Journal Letters ein, das den Bericht prüfte und sofort publizierte. Die Europäer schrien Zeter und Mordio: Nach den Spielregeln der Wissenschaftswelt, in der nur referierte Veröffentlichun-gen zählen, waren ihre Rivalen schneller gewesen. Im Gegenzug beschrieben Bonfils und sein Team die eigenen Ergebnisse in der Zeitschrift Astronomy & Astrophysics und präsentierten sich in einer PR-Kampagne als die wahren Entdecker von Gliese 667 Cc.

Die Kontroverse hätte wohl kaum mehr als eine wissenschaftliche Fußnote ergeben, wäre da nicht ein aufstrebender Astronom namens Paul Robertson von der Penn State University in Philadelphia. Sein Teil der Geschichte beginnt, wie so oft bei bedeutenden Entdeckungen, mit einem herzhaften: „Ach du Scheiße!“
An einem kalten Februarnachmittag des vergangenen Jahres sichtete Robertson Daten von Gliese 581 und versuchte, ein für alle Mal zu klären, ob Gliese 581 g – Zarminas Welt – tatsächlich existiert oder nur auf Instrumentenrauschen in den Messdaten zurückzuführen ist. Und tatsächlich: Bei genauer Analyse fielen die Schwankungen von Gliese 581 g deutlich hinter den statistisch signifikanten Grenzwert zurück. Offenbar hatte das amerikanische Team eine galaktische Fata Morgana gesehen. Doch Robertsons Auswertungen zeigten noch mehr: Auch der Fund der Europäer von 2007, Gliese 581 d, war wissenschaftlich nicht haltbar – jener Planet, bei dem es lange Zeit klar schien, dass Menschen zum ersten Mal in den Weiten des Alls eine Welt aufgespürt hatten, die der Erde ähnlich sein könnte.

Als Nächstes wandte Robertson sich Gliese 667 Cc zu. Aber diesmal hielten die Ergebnisse allen Prüfungen stand. Ausgerechnet der Planet also, um dessen ursprüngliche Sichtung es so viel Streit gab, avancierte nun offiziell zum Topkandidaten für den Titel des ersten erdähnlichen Exoplaneten, der je nachgewiesen wurde. Sein Entdecker würde auf ewig im Glanz des Ruhms baden können – vorausgesetzt, es würde ihm gelingen, seinen Anspruch dauerhaft zu vertreten.

Fragt man Xavier Bonfils, war die ganze Sache ein Missverständnis, entstanden durch die üblichen Verzögerungen im Rahmen des wissenschaftlichen Veröffentlichungsprozesses. Bereits im Frühjahr 2009 hatten die Europäer ihre Ergebnisse bei einer referierten Fachzeitschrift eingereicht, erklärt Bonfils – lange vor Anglada-Escudés Untersuchung. Nur das Warten auf das Feedback eines Forscherkollegen habe die Veröffentlichung bis zum Herbst 2011 hinausgezögert. Die kleine Unstimmigkeit im Bericht, die Anglada-Escudé aufgefallen war, tut er als simplen Fehler ab – nichts weiter. Aus seiner Sicht sticht heraus, dass andere sich eine Entdeckung als Verdienst anrechnen lassen wollten, mit der sie nichts zu tun hatten.

„HARPS wurde von uns aufgebaut“, sagt Bonfils. „Unser Team hat das wissenschaftliche Programm konzipiert und die Messungen ausgeführt. Ein Großteil der Datenreduktion war längst abgeschlossen und in den öffentlich gemachten Daten enthalten.“

Für den Astronomen von der Universität Grenoble geht es dabei um mehr als die Frage, wer am Ende eine Entdeckung meldet. Er sieht die Kontroverse als Präzedenzfall für den Umgang mit öffentlichen Forschungsdaten. „Es wäre eine Schande, wenn diejenigen, die die Instrumente gebaut und die Untersuchung vorgenommen haben, keine Anerkennung für ihre Arbeit erhielten“, argumentiert Bonfils. „Ich bin ganz und gar dafür, Daten öffentlich zugänglich zu machen, aber ich hatte schon lange die Sorge, dass jemand versuchen könnte, unsere eigenen Daten vor uns zu publizieren – und jetzt ist es passiert.“

Wer wem eine Entdeckung zuschreibt, scheint in der Forschergemeinde auch davon abzuhängen, welcher Seite der jeweilige Astronom sich näher fühlt: den etablierten Vertretern der alten Garde, also Teams wie denen von Marcy und HARPS, oder Anglada-Escudé und einer Handvoll anderer aufstrebender Astronomen. Die unerschrockenen Senkrechtstarter lassen sich derweil nicht davon abhalten, weiterhin öffentliche Daten nach Planeten zu durchsuchen, die womöglich übersehen wurden. Mit dem Ergebnis, dass in der Astronomengemeinde der Konflikt zwischen Bonfils und Anglada- Escudé weiterschwelt, unter der Oberfläche freundlicher Förmlichkeit.
Der Nachklapp: Im Frühjahr 2009 schickte die NASA das Kepler-Weltraumteleskop auf eine Mission zur Planetensuche.

Während das Gerät der Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne folgt, hält es Ausschau nach Exoplaneten. Dazu beobachtet das Teleskop ferne Sternensysteme und versucht, Planeten zu erkennen, die beim Vorbeiflug an ihrer jeweiligen Sonne als Silhouette sichtbar werden. Fast 1000 Exoplaneten hat das 470 Millionen Dollar teure Instrument auf diese Art schon entdeckt, darunter eine etwa erdgroße Welt namens Kepler 186 f, die rund 500 Lichtjahre entfernt einen Stern in der habitablen Zone umkreist. Durch die Fülle der Funde verliert die Jagd ihre Faszination: Als die Kepler-Mission im Februar 2014 die Entdeckung von 715 neuen Exoplaneten bekannt gab, kümmerte das außerhalb der Astronomiegemeinde kaum noch jemanden.

Die Ergebnisse der Kepler-Mission deuten stark darauf hin, dass Planeten aller Art – einschließlich naher Verwandter unserer eigenen Welt – im Universum ganz alltäglich sind. Damit ist die Suche nach einer zweiten Erde praktisch schon vorbei, obwohl sie gerade erst richtig begonnen hat. Inzwischen geht es eher darum, sämtliche Planeten galaxieweit zu erfassen, mitsamt allen Unterschieden zwischen den Planetensystemen. Dieser Ansatz konzentriert sich nicht auf einzelne Exoplaneten. Doch er kann zeigen, so wie es schon die Daten der Kepler-Mission dokumentieren, dass Planeten von der Größe der Erde wohl etwa jeden fünften sonnen-ähnlichen Stern innerhalb der bewohnbaren Zone umkreisen.

Das bedeutet: Die nächstgelegene Welt, die lebensfreundliche Bedingungen bietet, ist vermutlich kaum mehr als ein Dutzend Lichtjahre von unserem Sonnensystem entfernt. Aber wenn es um Entdeckungen dieser Güteklasse geht, zählt nun mal, wer der Erste war. Das geht auf dieselbe unstillbare Neugier zurück, denselben Geltungsdrang, der schon unsere Vorfahren antrieb, von den Bäumen herunterzuklettern und nach neuen Horizonten zu suchen. So lange, bis ihnen irgendwann die Grenzen ausgingen.

Auch wenn wir inzwischen fast alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, auf unserem Heimatplaneten unbekannte Orte aufzuspüren, hört dieser Drang nicht auf: in fremde Gebiete vorzustoßen, sie mit unseren Namen, unseren Träumen, unseren Geschichten zu erfüllen. Wir nennen die vier größten Monde des Jupiters Galileische Trabanten, weil Galileo sie als Erster entdeckte. Den anderen zuvorzukommen, verleiht uns die Macht – wie mystisch und irrational der Gedanke auch sein mag –, die Zukunft mit Leben zu erfüllen. Auch wenn die Geschichtsschreibung sich nicht immer an die Richtigen erinnert.

Bonfils und Anglada-Escudé stimmen eigentlich in vielem überein. Beide sind der Ansicht, dass Daten aus der Planetensuche öffentlich zugänglich sein sollten. Beide wünschen sich mehr – und bessere – Instrumente, um jede einzelne Sonne in unserer Nähe auf mögliche Planeten untersuchen zu können. Beide hoffen auf ein gigantisches Weltraumteleskop, das eines Tages sämtliche Welten im Umkreis von hundert Lichtjahren um die Erde tatsächlich sehen kann – und das, was womöglich dort an Leben existiert. Im Grunde wollen beide Forscher nur das eine: neue, bewohnbare Welten entdecken, weit entfernte Verwandte der Erde. Mit uns verbunden im ewigen Tanz durch die endlose Nacht.

GQ Empfiehlt