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Auch ohne NetzDG: AfD stummschalten!

von Johnny Haeusler
Rassistische Tweets der AfD und beleidigende Kommentare: Das neue Jahr geht mit asozialem Verhalten und Hasstiraden los, ärgert sich unser Kolumnist Johnny Haeusler. Als hätten wir aus der Zeit nach der Bundestagswahl nichts gelernt. Dabei besitzen wir die Technologien für eine bessere Kommunikation. Wir sollten sie nur richtig nutzen.

Die stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion Beatrix von Storch regt sich auf Twitter darüber auf, dass die Kölner Polizei einen Tweet nicht nur auf Englisch, Spanisch, Französisch und in anderen Sprachen veröffentlicht, sondern auch auf Arabisch. Frau von Storch fragt öffentlich, ob die Polizei meine, damit „die barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden“ zu besänftigen, erntet damit eine Strafanzeige der Polizei Köln wegen Verdacht auf Volksverhetzung und eine temporäre Sperre von Twitter, die sie – ganz nach Plan, vermutlich – dem NetzDG zuschreibt.

Obwohl dieses durchaus diskussionswürdige, weil schlampig gemachtes Gesetz mit zweifelhaftem Effekt keinerlei Vorgaben zu Nutzersperren beinhaltet, eilt die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel – ganz nach Plan, vermutlich – zur Hilfe und kommentiert den Vorfall auf Facebook: „Das Jahr beginnt mit dem Zensurgesetz und der Unterwerfung unserer Behörden vor den importierten, marodierenden, grapschenden, prügelnden, Messer stechenden Migrantenmobs, an die wir uns gefälligst gewöhnen sollen. Die deutsche Polizei kommuniziert mittlerweile auf Arabisch, obwohl die Amtssprache in unserem Land Deutsch ist.“

Auch der AfD-Partei­vorsitzende Alexander Gauland reagiert. Und auch er spricht – ganz nach Plan, vermutlich – vom „Zensurgesetz“, das er mit den „Stasi-Methoden“ der DDR vergleicht und fordert dazu auf, die gelöschten Inhalte immer wieder in den sozialen Netzwerken zu veröffentlichen.

„Ruhig, Brauner!“, möchte man Gauland mal wieder zurufen, aber der Mann ist ja gar kein Pferd.

Sein Parteikollege Jens Maier, MdB und Richter aus Dresden, zeigt sich derweil an anderer Stelle erneut – und völlig planlos, vermutlich – von seiner rassistischen Seite und bezeichnet Noah Becker, den Sohn von Barbara Becker und ihrem Ex-Mann Boris, als „Halbneger“.

Und um das alles herum wuseln tausende andere Menschen, zitieren und verbreiten, klagen an, bezichtigen oder wägen ab, beziehen Stellung, zucken mit den Schultern oder klopfen sich gegenseitig auf selbige. Und die ganze Aufmerksamkeit ist wieder – ganz nach Plan – bei den Rassisten und Rassistinnen, Rechtsextremen, Sprachverdrehern, Spin-Doktoren und Wahnsinnigen. Bei denen, bei denen sich Zukunft wie Vergangenheit anfühlt. Bei denen, die anständige Debatten ersticken und bei denen der am lautesten Behauptende angeblich Recht hat. Und die unfähig sind, einfachste Formen des Anstands und des menschlichen Miteinanders zu bewahren.

Die Aufmerksamkeit ist bei denen, die mit ihrem asozialen Verhalten, mit ihren Faktenverdrehungen und mit ihrem Hass überhaupt erst Auslöser für ein unter Umständen fatales neues Gesetz waren, gegen das sie nun so laut krakeelen.

So geht 2018 los in den sozialen Medien (die dennoch und glücklicherweise in raren Fällen ihre wahrhaft soziale Seite zeigen können).

Nach der Bundestagswahl hatte ich den Eindruck gewonnen, dass Medien und Öffentlichkeit aus der Zeit davor gelernt, die Strategien der Schreihälse besser durchschaut und weniger gefüttert hatten. Es schien zu gelingen, ihre Provokationen zu ignorieren und dennoch wachsam zu bleiben. In politischen Debatten sorgten klare Worte für nötigen Widerspruch und Fakten für die Entlarvung von Unfug. Und ich hatte auch den Eindruck, dass dieser neue Umgang die erwünschte Wirkung zeigte.

Also musste Anfang des Jahres das Gebrüll offenbar immer lauter werden. Wenn ein bisschen Provokation und ein leichtes Verdrehen der Wahrheit nicht mehr genügt, um Aufmerksamkeit zu bekommen, dann werden eben schwerere Geschütze aufgefahren. Eine Rassistin hat keinen Anstand und sie hat keinen Ruf zu verlieren, und Menschen, die jede Lüge glauben, warten nur auf die nächste. Dass die oben erwähnten Fälle dabei auch ohne NetzDG justiziabel sein könnten und auch ohne NetzDG sowohl Strafanzeigen eingegangen als auch Löschungen oder Sperrungen passiert wären – egal. Hauptsache, es kann ein Narrativ gestrickt werden, das suggeriert, die Meinungsfreiheit würde Beleidigungen, Unterstellungen, Rassismus und Angriffe abdecken.

Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich die Verbalattacken nicht mehr auf Muslime oder Menschen mit dunkler Hautfarbe konzentrieren. Schritt für Schritt werden die Grenzen dessen verschoben, was wir ertragen können und wollen, Schritt für Schritt sollen Angriffe gegen einzelne Menschen oder Gruppen als Meinungsfreiheit verklärt und legitimiert werden, und es wird nicht bei Worten bleiben. Gauland hatte die erste „Jagd“ sofort nach der Wahl angekündigt, niemand sollte überrascht sein.

Buchstäblich in unseren Händen halten wir Technologien, welche für eine immer bessere Welt, für faire Kommunikation, für lösungsorientierte Debatten sorgen könnten. Wir können denen, die versuchen, die Gesellschaft zu vergiften und Menschen auseinander zu treiben, ganz ohne zusätzliche Gesetze die Tür zeigen. Indem wir sie nicht einmal durch öffentliche Empörung bewerben, sie blockieren, in unseren eigenen Streams stummschalten. Indem wir sie allein lassen mit ihrem traurigen Selbsthass, den sie auf Dritte projizieren.

Wir könnten ihre Schreie nach Aufmerksamkeit ignorieren – aber selbstverständlich nicht ihre Lügen und ihre Handlungen. Diese gilt es zu korrigieren und im Fall von Strafbarkeit anzuzeigen. Und das ging und geht auch ohne NetzDG.

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