Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Wirklich so schlimm? Fragen an die Autorin des Apple-Enthüllungsbuchs

von Gründerszene
Die ehemalige Apple-Mitarbeiterin Daniela Kickl hat ein Buch über den iPhone-Konzern geschrieben. Im Interview spricht sie über ihren Job – und über die Kritik an ihrem Buch.

Ein Buch sorgt für Aufsehen: Mit Apple Intern hat die Österreicherin Daniela Kickl ein Buch über angeblich schlechte Arbeitsbedingungen bei Apple veröffentlicht. Die ehemalige Mitarbeiterin des iPhone-Konzerns erhebt dahin schwere Vorwürfe gegen das Unternehmen. 

Nach eigenen Angaben hat Kickl drei Jahre lang im europäischen Hauptquartier des Tech-Konzerns in Irland gearbeitet. Die Zustände dort vergleicht sie mit Hühnerfarmen, sie spricht von strikter Kontrolle und Beobachtung der Mitarbeiter. Apple wollte die Vorwürfe von Kickl sowie das Buch auf Nachfrage nicht kommentieren. Im Interview spricht Daniela Kickl über ihre Zeit bei Apple, über die Hintergründe des Buchs und über die Kritik, die an ihren Enthüllungen geäußert wird.

Daniela, Du arbeitest seit Mitte März nicht mehr für Apple. Wie fühlst Du dich?
Ich fühle mich sehr erleichtert.

Wie hast Du die drei Jahre bei Apple erlebt?
Also, als ich dort angefangen habe, war ich voller Vorfreude. Wir wurden aus 3000 Bewerbern herausgesucht, wir waren aus den Besten der Besten ausgewählt worden. Wir bekamen kleine Geschenke am ersten Tag, wurden bewirtet. Das war ganz toll. Dann hat sich das entwickelt. Mit der Zeit bekommt man die Gesamtstimmung der Kollegen mit. Ich habe in Gesprächen mit den Managern und mit einem Dossier, in dem ich die Missstände aufgezählt habe, versucht, etwas zu verbessern. Das hat leider nicht funktioniert.

Was wolltest Du verbessern?
Ich habe mich auf viele Punkte bezogen, zum Beispiel die Gerüchte über die Selbstmorde von Mitarbeitern. Wir als Kollegen konnten uns vorstellen, dass die Arbeitsbedingungen – diese Entmenschlichung – durchaus Einfluss auf die Selbstmorde hatte. Ich habe auch angesprochen, dass ich von Kollegen gehört habe: Wenn man auf Facebook einen Artikel über Apple teile, werde man aufgefordert, das zu unterlassen. Auf diesen Punkt angesprochen hieß es von einer Dame aus der HR-Abteilung: „Dafür haben wir gar nicht genug Personal.“ Das ist eine kuriose Antwort.

Wenn ein Manager nur dazu da ist, zu überwachen und zu kontrollieren, dann ist das vielleicht nicht der beste Weg

Daniela Kickl

Gab es noch andere Dinge?
Ich habe geraten, die Aufgaben der Manager zu revidieren: Wie kommen wir von der permanenten Kontrolle und Überwachung dahin, dass sie Mitarbeiter unterstützen? Wenn ein Manager nur dazu da ist, zu überwachen und zu kontrollieren, dann ist das vielleicht nicht der beste Weg. Insgesamt gab es viele Punkte. Die zusammengefasste Reaktion von Apple auf meine Kritikpunkte war in etwa: „Vielen Dank, aber bitte geh jetzt wieder an deine Arbeit.“

Im Buch stellst Du dich als Managerin, Projektleiterin und Programmiererin vor. Warum nimmt so jemand eine Position im Callcenter an? 
Ich habe mich nicht auf diese Stelle beworben, ich habe eine Initiativbewerbung hingeschickt. Etwa drei Monate nach der Bewerbung kam das Angebot für das Callcenter. Ich war natürlich skeptisch, weil es nicht meinen Erfahrungen und Qualifikationen entsprochen hat. Dann habe ich nachgefragt – weil ich mir das als Einstiegsposition vorstellen konnte –, wie es mit Entwicklungsmöglichkeiten aussieht. Ja, selbstverständlich, hieß es dann. Wenn jemand die entsprechende Vorbildung und Erfahrung mitbringe, stünden ihm alle Türen bei Apple offen. In der Realität war es nicht so.

Wieso bist Du dann drei Jahre geblieben?
Ich habe versucht, mich innerhalb des Unternehmens zu verändern. Ich bin in eine andere Abteilung gegangen, habe von zuhause aus gearbeitet. Ich habe mein Bestes versucht, ich bin ja auch nicht jemand, der einfach so aufgibt. Ich wollte Teil von Apple sein! Also habe ich es mit Verbesserungsvorschlägen und einem Wechsel in eine andere Abteilung versucht. Aber irgendwann ging es dann nicht mehr.

In dem Buch schreibst Du von sogenannten Incidents, also Vorfällen, die als Folge zum Beispiel die Sperrung des Gehalts haben können. 
Das Tragische an diesem System war, dass es Kollegen gegeben hat, die deshalb wirklich krank zur Arbeit gekommen sind. Ich erinnere mich an einen Kollegen, der mit einem gebrochenem Bein kam. Er sagte, wenn er jetzt zuhause bliebe, werde er nicht mehr bezahlt.

Ist Dir selbst so ein Incident passiert?
Ich war auch mal krank, aber meistens ist das ohne Aufschreiben gegangen. Ich glaube, irgendwann war es aber bei mir auch so, dass ich mal nicht mehr bezahlt wurde. Da hat man sehr aufpassen müssen. Das Problem war, dass man auch unverschuldet so ein Incident bekommen hat. Wenn man zum Beispiel einen Unfall auf dem Weg zur Arbeit hat, wird das genauso gerechnet wie wenn man verschlafen hat.

Aus meiner Lebenserfahrung kann ich sagen: Die meisten Gerüchte haben einen wahren Hintergrund

Daniela Kickl

Du sprichst oft davon, etwas von Kollegen gehört zu haben. Du gibst also Gerüchte wieder.
Das ist bis zu einem gewissen Grad richtig. Aber: Gerüchte haben ja einen wahren Kern. Wenn man mehrere solche Sachen hört und sich völlig entmenschlich fühlt, kann man das nachvollziehen. Dann glaubt man diese Gerüchte auch. Und aus meiner Lebenserfahrung kann ich sagen: Die meisten Gerüchte haben einen wahren Hintergrund.

Das ist sehr spekulativ.
Es war aber auch dieser eigenartige, teilweise zynische Umgang der HR-Abteilung. Das war der Auslöser dafür, dass ich mich überhaupt mit den Problemen bei Apple auseinandergesetzt habe. Einmal kam eine HR-Mitarbeiterin zu uns und informierte uns darüber, dass ein Kollege letzte Nacht von uns gegangen sei. Sie sagte: „Wenn ihr selbst psychologische Unterstützung braucht, dann ruft doch bitte die HR-Hotline an.“ Dann haben wir gedacht: Was will sie uns denn damit sagen?

Ich würde denken, dass es eigentlich ganz nett ist, eine Art Telefonseelsorge zur Verfügung zu stellen.
Das Problem war, dass nichts unternommen wurde. Wenn er sich wirklich umgebracht hat, wie könnte man dem vorbeugen? Oder wie könnten sie aktiv mit solchen Gerüchten umgehen? Sie könnten etwas tun, um zu schauen, warum das passiert ist. Stattdessen wird alles unter den Teppich gekehrt. Das erzeugt dann noch mehr Beklemmung und Angst, die man dort empfindet.

Wie kam es zu Deinen Notizen? Wolltest Du von Anfang an ein Buch daraus machen?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe damit angefangen, um ein Dossier zu verfassen, das ich an das amerikanische Management schicken wollte.

Du sagst, das Management habe nicht darauf reagiert. Deshalb dann das Buch?
Es war diese Hilflosigkeit und diese schreckliche Stimmung. Ich war nicht die Einzige, der es so ging. Wäre ich die Einzige gewesen, hätte ich den Fehler bei mir gesucht. Ich möchte den anderen ein bisschen Mut machen. Nicht nur bei Apple, sondern auch in anderen Branchen. Ich habe schon viele Rückmeldungen von Leuten bekommen, die sagen: „Das ist so super, dass du das machst. Bei mir in der Firma geht es auch schrecklich zu!“ Die Auswirkungen auf die Menschen sind überall ähnlich, sie haben Burnouts und sind psychisch nicht mehr in der Lage zu arbeiten. Meine Hoffnung ist, dass die Geschichte anderen Mut bereitet. Unsere Arbeitswelt und unsere Gesellschaft können wir nur beeinflussen, wenn wir aufstehen und etwas sagen. Wenn wir immer nur im Kämmerlein sitzen und mit Kollegen redet, wird sich nichts ändern.

Für Dich dürfte das Aufmucken ein Risiko sein. In Deinem Arbeitsvertrag mit Apple gab es doch sicherlich eine Verschwiegenheitsklausel – immerhin durfte man im Büro Deinen Angaben zufolge nicht einmal Fotos machen.
Ja, das ist so richtig. Aber ich denke, ich habe primär ja meine Geschichte erzählt. Acht Minuten Klozeit sind auch nicht das große Firmengeheimnis.

Du hast also bisher noch keine Reaktion von Apple oder einen Brief von einem Anwalt erhalten?
Genau.

Wenn es überall so ist und überall die Leute zugrunde gehen, ist das doch kein Argument dafür, dass man so weitermacht

Daniela Kickl

Im Netz gibt es an Deinem Buch Kritik. Die Situation sei in anderen Callcentern ähnlich und Du würdest das Ganze aufbauschen. Was sagst Du dazu?
Ich habe in meinem Buch einen Satz, der lautet: „So wie es läuft, ist es falsch. Und falsch bleibt falsch, auch wenn es zum Standard geworden ist.“ Es mag durchaus sein, dass es woanders oder auch in anderen Branchen so reglementiert und entmenschlicht ist. Nur dieses Argument macht die Sache nicht besser. Ganz im Gegenteil! Wenn es überall so ist und überall die Leute zugrunde gehen, ist das doch kein Argument dafür, dass man so weitermacht.

Was war denn für Dich das schlimmste Erlebnis bei Apple?
Ich kann kein bestimmtes Ereignis herauspicken. Das Schlimmste war wahrscheinlich, dass ich nächtelang nicht mehr schlafen konnte. Dass ich um drei Uhr nachts aufgewacht bin, vor lauter Angst, dass am nächsten Tag wieder Sachen passieren, für die ich verantwortlich gemacht werde. Oder dass man mir sagt, dass ich etwas falsch gemacht hätte, obwohl ich nichts falsch gemacht habe. Dieses permanente Leben in Angst.

Kannst Du ein Beispiel nennen?
Nach einem Telefonat werden Fragebögen an die Kunden geschickt. Anhand der Antworten der Kunden wird man dann selber auch bewertet. Davon abhängig ist etwa auch, ob man eine Gehaltserhöhung bekommt oder nicht. Ein Kunde schrieb: „Ich war unzufrieden, weil ich so lange warten und mir dabei furchtbare Musik anhören musste.“ Angekreuzt hatte er, dass er insgesamt unzufrieden war. Er schrieb aber dazu: „Mit der Daniela selbst war ich total zufrieden“. Dann bin ich schuld, weil ich mich nicht genug für die Warteschleifenmusik entschuldigt habe oder dafür, dass er so lange hat warten müssen. Es gibt Dinge, die man als Einzelner nun einmal nicht beeinflussen kann. Dennoch muss ich mich rechtfertigen und es hat eine negative Auswirkung auf meine Performance und damit auf mein Gehalt.

Was hast Du jetzt vor?
Jetzt muss ich mich erstmal ein bisschen erholen, ich kann noch nicht sagen, was meine Zukunft bringt. Ich hoffe, dass ich den Leuten Mut mache. Ich lese ja auch, was manche Leute sagen: „Warum regt sie sich auf? Es ist ja eh überall so.“ Es ist mir wichtig, dass wir als Gesellschaft von diesem Argument wegkommen. Ich hoffe, das in irgendeiner Art und Weise weiterverfolgen zu können.

Vielen Dank für das Gespräch, Daniela!

Gründerszene

Dieser Artikel erschien zuerst bei Gründerszene
Das Original lest ihr hier.

GQ Empfiehlt
Top 5: Productivity-Apps für den Mac

Top 5: Productivity-Apps für den Mac

von Karsten Lemm