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Innovation und Imitation: Wie Spiele-Klone Entwicklern zu schaffen machen

von Caspar Clemens Mierau
Im August veröffentlichte das Münchner Entwicklerstudio TheCodingMonkeys das iOS-Spiel „Rules!“. Das bisher vor allem für seine Brettspiel-Umsetzungen bekannte Studio landete mit der Action-Puzzle-App einen bemerkenswerten Erfolg: „Rules!“ wurde von Apple in internationalen App Stores gefeatured, vielfach positiv besprochen und gerade erst mit dem pädagogischen Interaktiv-Preis ausgezeichnet.

Trotz der Freude über Resonanz und Preis wendete sich TheCodingMonkeys-Geschäftsführer Martin Pittenauer vor kurzem betroffen an die Öffentlichkeit: Er hatte erfahren, dass die Berliner Entwicklerfirma Softgames einen erstaunlich ähnlichen Klon seines Spiels als werbefinanziertes Browser-Spiel anbot, unter dem Namen „The Rules!“. Im Video sind die Ähnlichkeiten der beiden Titel nicht zu übersehen (links „The Rules!“ von Softgames, rechts „Rules!“ der TheCodingMonkeys):

Bei uns können Entwickler in wenigen Wochen einige Tausend Euro verdienen.

Pittenauer kontaktierte Softgames Geschäftsführer Alexander Krug und verlangte eine Erklärung und die Entfernung von „The Rules!“ aus dem Angebot der Firma. Dort gab man sich zurückhaltend, sicherte aber eine zeitnahe Reaktion zu. Auf Nachfrage von WIRED Germany sagte Krug, dass Softgames Spiele von externen Entwicklern einkaufe und sich versichern lasse, dass es sich dabei um „Original-Content“ handelt. Aber bei fünf Veröffentlichungen pro Woche könne man eben nicht jeden Titel genau prüfen. Bei genauem Hinsehen scheint diese Erklärung zumindest fragwürdig: Auf der Liste der von Softgames angebotenen Spiele finden sich diverse Klone bekannter und erfolgreicher Spiele-Apps wie „Angry Birds“ und „Candy Crush“.

Um einen Zufall kann es sich kaum handeln — selbst wenn Softgames für einzelne Spiele Lizenzen für das Herausbringen von Klonen erworben haben sollte. Im Fall von „Rules!“ gab es laut Pittenauer keine entsprechende Vereinbarung. Im Interview erklärt Krug die Zusammenarbeit mit externen Entwicklern so:

„Softgames unterstützt die Entwickler mit sogenannten Paid Sponsorships. Hierbei zahlen wir eine fixe Summe an den Entwickler und erhalten dafür die weltweit, exklusiven Rechte an dem entsprechenden Spiel. Der Entwickler profitiert dabei durch extreme Planbarkeit: Er weiß genau, wie viel Geld er wann von uns erhält und kann entsprechend Ressourcen und Zeiteinsatz planen. Ein Umstieg auf HTML5-Spieleentwicklung ist daher speziell für App-Entwickler interessant. Anstatt auf den nächsten großen Hit zu hoffen, können sie mit einem Einsatz von wenigen Wochen einige Tausend Euro verdienen.“

Der letzte Satz ist der wichtigste: Entwickler können mit wenigen Wochen Arbeit ein paar Tausend Euro verdienen. Das ist knapp bemessen. Zum Vergleich: Am Spiel „Rules!“ haben laut Pittenauer zwei Personen über ein halbes Jahr lang gearbeitet. Im Video-Porträt berichten Designerin Aga Lison und Entwickler Marcel-André Casasola Merkle von dieser Zeit:

Es darf die Frage gestellt werden, inwiefern Softgames das detaillierte Klonen erfolgreicher Spiele zumindest billigend in Kauf nimmt. In den von der Firma in internationalen Entwicklerboards geposteten Kaufangeboten wird zumindest nicht herausgestellt, dass man nur „Original-Content“ suche. Dort ist nur von exklusiven und nicht-exklusiven Titeln die Rede. Bezahlt wird per Überweisung, Paypal oder Western Union — auch nach Russland. Ob urheberrechtliche Fragen dabei überhaupt erörtert werden, bleibt offen.

Das Klonen einer Idee losgelöst von der konkreten Umsetzung ist an sich nicht illegal.

Ramak Molavi, Anwältin für Games-Recht

Doch inwiefern genießen Spiele und Spiele-Ideen überhaupt urheberrechtlichen Schutz? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Ein konkretes Spiel darf ohne Zustimmung der Rechteinhaber natürlich nicht beliebig kopiert und angeboten werden. Aber wie sieht es aus, wenn wie im Falle von „Rules!“ das Spiel minutiös nachempfunden und unter anderem Titel veröffentlicht wird, mit nur minimalen Veränderungen? Die Berliner Anwältin für Games-Recht Ramak Molavi von iRights Law sagt: „Das Klonen einer Idee losgelöst von der Umsetzung im konkreten Fall ist an sich nicht illegal. Ein akribisch kopierter Spielablauf kann aber gegen Rechte verstoßen.“ Die Idee für ein Spiel ist also nicht geschützt. Das ist auch gut so, andernfalls würde Innovation gehemmt. Anders sieht es mit der detailreichen Übernahme einer konkreten Umsetzung aus. Wird ein Spiel in vielen Details kopiert, kann es sich sehr wohl um eine Rechteverletzung handeln. Im Fall von „Rules!“, erklärt Molavi, wurde „nicht nur die Idee geklaut, sondern die gesamte Verkörperung der Idee bis ins einzelne Level.“ Und weiter: „Die Umsetzung, der Ausdruck einer Idee, genießt Rechtsschutz.“

Das sah man offenbar auch bei Softgames ein, als man „The Rules!“ nach einigen Nachfragen aus dem Angebot entfernte. Ein Unrechtsbewusstsein scheint es allerdings nicht zu geben. Andere Klone blieben im Angebot, sie können auf Drittseiten gegen Beteiligung eingebaut werden. Auch große deutsche Anbieter wie GMX und Web.de stehen auf der Softgames- Kundenliste. Häufig beschweren sich Rechteinhaber an Spielen offenbar nicht energisch genug oder die internationale Rechtslage verkompliziert eine Ahndung des Klonens. Außerdem landen kaum Fälle vor Gericht, „der Beweisaufwand und die Kosten sind hoch, der Ausgang ungewiss“, sagt Molavi.

Die Regeln des Remixens, wie man es aus der Musik kennt, gelten auch für Software.

Dabei gab es schon einige spektakuläre Fälle, zum Beispiel eine die gerichtliche Auseinandersetzung um einen Tetris-Klon aus dem Jahr 2009. Die Firma Xio hatte mit „Mino“ eine „Tetris“-Variante für iOS herausgebracht. Nachdem die Tetris Holding bei Apple Widerspruch einlegte, wurde der Vorfall juristisch geklärt. Xio gab zu, „Tetris“ weitgehend nachgeahmt zu haben, betonte aber, der Überzeugung zu sein, dass man dafür keine Lizenz benötige. Das Argument: Bei „Mino“ werde nur die Idee nachgeahmt — das Sortieren herunterfallender Blöcke.“ Das Gericht sah das anders. Es bestätigte zwar, dass Xio durchaus Spiele mit Blöcken entwickeln dürfe, nicht jedoch die konkrete, „Tetris“-typische Ausgestaltung mit den vier bekannten Block-Arten.


Die rechtliche Bewertung lässt sich also nicht ohne weiteres verallgemeinern. Aber was bedeutet das für die Spiele-Industrie? Entwickler müssen damit leben, wenn ihre Ideen nachgeahmt werden. Die Regeln des Remixens, wie man es aus der Musikindustrie kennt, gelten eben auch für Software. Das mag Einzelnen nicht gefallen, ermöglicht aber Innovationen, die auf bestehenden Ideen aufbauen. Anders sieht es bei Klonen aus, die ein bestehendes Spiel schlicht bis ins kleinste Detail imitieren, um als eigener Titel erscheinen zu können. Sie sind im Zweifel strafbar, damit Spiele-Entwickler nicht die Früchte ihrer monate- oder jahrelangen Arbeit durch schnelle Kopien verlieren. Vor allem kleine Studios wie TheCodingMonkeys sind darauf angewiesen, nach der Veröffentlichung ihres Spiels die Entwicklungskosten zu kompensieren.

Wie sich die Nachahmung von Spielen auf die Innovationsfähigkeit der Branche auswirkt, untersucht die Kommunikationswissenschaftlerin Lies van Roessel, die sich am Berliner Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft, mit dem Wechselspiel von Imitation und Innovation beschäftigt. Auch sie bestätigt in einer ihrer Studien, dass das Nachahmen von Spielideen zwar akzeptiert wird, konkrete Klone aber verpönt sind. Im Einzelfall die Grenze zu ziehen, ist jedoch schwierig: Wann ist ein Spiel zu ähnlich? Diese Frage muss erst noch beantwortet werden.

Die Spielebranche braucht eine Ethik, die Innovation nicht aus reiner Profitorientierung ausbremst.

Für Entwickler hat Rechtsanwältin Molavi einige Tipps, wie sie ihre Spiele besser gegen Plagiate schützen können: „Auf jeden Fall so spät wie möglich vor Launch das Spiel publishen. Nicht zu viele Screenshots und Trailer liefern. Das kann problematisch sein bei Crowdfunding Games, weil die Spieler solche Snippets erwarten.“ In Deutschland bestehe außerdem die Möglichkeit, etwa die Grafiken oder die Hauptfiguren eines Spiels durch die Eintragung einer Designmarke zu schützen.

Abgesehen von diesen Schutzmaßnahmen bleibt zu hoffen, dass Unternehmen wie Softgames ihre aggressiven Geschäftsmodelle überdenken und Kunden wie GMX und Web.de ihre Spiele kritischer prüfen, bevor sie sie anbieten. Letztlich geht es um eine Ethik für die Spielebranche, die Innovation nicht aus reiner Profitorientierung ausbremst. 

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