Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Diese Designerin erschafft Blumen, die nach Mensch duften

von Anna Schughart
Menschen duften gern wie Blumen – Ani Liu dreht den Spieß um: Mithilfe synthetischer Biologie versucht die Designerin, den Geruch eines Menschen einzufangen. Dabei stellt sie auch die Frage: Was ist im Zeitalter von Biotechnologie noch „natürlich“?

Technologien wie Virtual Reality versetzen uns in andere Welten, doch der Geruchssinn bleibt dabei meistens außen vor. Ani Liu möchte das ändern. Die Designerin und Künstlerin arbeitet am MIT Media Lab in einem Labor, dass sich mit Fragen rund um neue Technologien beschäftigt. Liu forscht unter anderem daran, den Geruch eines Menschen einzufangen. Klingt ein bisschen nach Das Parfum, ist aber harmlos. Es geht um die Frage, wie neue Technologien, zum Beispiel die synthetische Biologie, unsere Welt verändern. Und darum, welche Rolle Kunst und Design bei diesen Entwicklungen spielen können. WIRED hat mit Ani Liu über ihr Duft-Projekt gesprochen.

WIRED: Frau Liu, eines Ihrer aktuellen Projekte ist der Versuch, eine Pflanze den Geruch eines ganz bestimmten Menschen verströmen zu lassen. Wie kommt man auf so eine Idee?
Ani Liu: Indem man seiner Fantasie freien Lauf lässt. Ich hatte gerade begonnen, mich mit synthetischer Biologie zu beschäftigen und untersuchte die Geschichte der Biotechnologie in der Landwirtschaft. Ich fand es herzzerreißend und unbefriedigend, dass es am Anfang nur darum ging, die Haltbarkeit von Pflanzen oder ihre Transportfähigkeit zu verbessern und nicht darum, sie zum Beispiel nahrhafter zu machen. Aber was wäre, habe ich mich gefragt, wenn synthetische Biologie viel zugänglicher wäre? Welche Dinge würden die Menschen dann erschaffen?

WIRED: Und Ihre Antwort lautet: Gerüche?
Liu: Die Menschheit nutzt schon seit langer Zeit Pflanzen, um Parfüms herzustellen, die uns nach Rosen oder anderen Blumen duften lassen. Was, wenn wir das umdrehen und die Pflanzen als eine Art Zeitkapsel für jemanden nutzen, den wir sehr lieben oder verloren haben? Ich fand schon immer – und das tun ja viele Menschen – dass Gerüche sehr mächtig sind. Ein Geruch kann dich sofort zurück in eine Erinnerung versetzen: Sobald das Molekül auf eine Synapse trifft, reist man durch die Zeit. Wenn ich das Haus meiner Großmutter betrete, bin ich sofort zurück in meiner Kindheit. Das ist beinahe eine Art von Augmented Reality.

WIRED: Tatsächlich sprechen die meisten neuen Technologien aber vor allem zwei Sinne an: Sehen und Hören.
Liu: Ja, aber was ist mit den anderen? Wir denken und fühlen mit unserem ganzen Körper. Es ist sehr schade, dass so viele Technologien uns auf das Tippen reduzieren. Ich hoffe, dass sich das ändert, und arbeite daran.

Es ist sehr seltsam, einen menschlichen Geruch aus einem kleinen Fläschchen heraus zu riechen

Ani Liu

WIRED: Wie weit sind Sie bei der Entwicklung der menschlich riechenden Blume?
Liu: Um ehrlich zu sein, ist es sehr schwierig. Momentan habe ich von drei Menschen, die ich sehr liebe, Parfüms hergestellt. Aber eine Pflanze dazu zu bringen, den Geruch zu verströmen, ist schwierig. Ich habe mich mit verschiedenen Wissenschaftlern unterhalten und es ist sowohl ein Finanzierungs- als auch ein Zeitproblem. Aber ehrlich gesagt: Der Fortschritt in dieser Technologie geht so schnell voran, es würde mich nicht wundern, wenn es innerhalb der nächsten 50 Jahre möglich wäre. Es gibt schon jetzt Biotechnologiefirmen, die zum Beispiel Hefe herstellen, die seltene Parfümmoleküle produziert. Für Smelfies (Geruchs-Selfies, Anm. d. Red.) ist das kommerzielle Interesse aber nicht so groß.

WIRED: Die drei Parfüms, die sie produziert haben, riechen die tatsächlich nach den jeweiligen Menschen? Es ist ja gar nicht so einfach, herauszufinden, warum ein Mensch so und nicht anders riecht.
Liu: Eine Möglichkeit, menschlichen Geruch herzustellen, ist, ein lange getragenes T-Shirt zu nehmen und dann mit einer Maschine die Moleküle zu analysieren und anschließend zu synthetisieren. Der eher traditionelle Weg ist, dass man das stinkende T-Shirt in ein Lösungsmittel gibt und das dann so lange destilliert, bis es sehr konzentriert ist. Wir haben beides gemacht und so drei Parfüms hergestellt, die tatsächlich wie die Menschen riechen.

WIRED: Und wie haben die Drei darauf reagiert? Ich stelle mir das so ähnlich vor, wie wenn man das erste Mal seine Stimme auf einer Aufnahme hört.
Liu: Ich muss sagen, es ist sehr seltsam, einen menschlichen Geruch aus einem kleinen Fläschchen heraus zu riechen. Manche Menschen mögen es überhaupt nicht. Als ich es den dreien ihre persönlichen Parfüms gezeigt habe, haben manche gesagt, es rieche eher wie eines ihrer Geschwister. Das finde ich sehr interessant. Ich hatte auch erwartet, dass wenn man ihnen den Geruch eines anderen Menschen zeigt und sagt: „Das bist du“ – dass dann ganz schnell kommt: „Nein, nein das bin ich nicht“. Aber tatsächlich konnten sie es oft nicht wirklich sagen. Andere Menschen, die die Person kannten, wussten es dagegen gleich.

WIRED: Sie arbeiten am MIT im Design-Fiction-Labor. Was verbirgt sich dahinter?
Liu: Design Fiction ist eine Forschungsgruppe, die Kunst, Technologie, Wissenschaft und Design verbindet. Der Zweck ist, Design dazu zu nutzen, Fragen über Technologie zu stellen. Wir fragen nach den ethischen, politischen, sozialen, kulturellen und emotionalen Auswirkungen von Wissenschaft und Technologie.

WIRED: Warum braucht es dazu Künstler?
Liu: Wir können das technische Wissen nehmen und damit eine Geschichte erzählen, es zugänglicher für die breite Gesellschaft machen. Wir stellen im Prinzip die Fragen, die auch die Science-Fiction stellt: Welche Art von Menschen wollen wir in der Zukunft sein? Weil ich mich viel mit Biotechnologie beschäftige, interessiert mich vor allem: Was ist Natur? Und wie sieht eine augmentierte Natur aus?

WIRED: Wie wird die Biotechnologie die Natur verändern?
Liu: Darauf habe ich keine definitive Antwort. Ich denke, ein Grund für meine Forschung ist, dass ich über diese Fragen nachdenke. Ich will wissen: Gibt es auf der Erde etwas, das komplett natürlich ist? Oder: Im Fall, dass wir eines Tages die Erde verlassen müssen, was wird uns Natur dann bedeuten? Welche Artefakte, welche Pflanzen werden wir mitnehmen? Ich begreife Natürlichkeit als Spektrum, niemals als Natur vs. Mensch.

WIRED: Sollten Menschen überhaupt mittels synthetischer Biologie in die Natur eingreifen?
Liu: Darüber denke ich auch viel nach. Menschen haben ja bereits einen großen Einfluss auf die Erde, der Klimawandel zum Beispiel wurde vom Menschen verursacht. Aber die Forschung hat auch Vorteile. Ich kenne einige Wissenschaftler, die daran arbeiten, Pflanzen schneller CO2 abbauen zu lassen, mehr Menschen zu ernähren oder bessere Energiequellen zu schaffen. Ich denke, das Problem bei Biotechnologie ist, dass wir oft die großen Konsequenzen kleiner Schritte nicht absehen können. Uns fehlt eine ganzheitliche Sicht. Das ist ein weiterer Grund, warum es gut ist, Kunst und Design mit einzubeziehen: Sie machen die Diskussionen für mehr Menschen und verschiedenen Meinungen zugänglich.

GQ Empfiehlt