Hinweis zu Affiliate-Links: Alle Produkte werden von der Redaktion unabhängig ausgewählt. Im Falle eines Kaufs des Produkts nach Klick auf den Link erhalten wir ggf. eine Provision.

Wird der Traum vom fliegenden Auto mit dem Aeromobil endlich wahr?

von André Bosse
Rollen, Fliegen, Frei sein: Mit dem Aeromobil soll die Zukunft auf vier Rädern in den Himmel starten.

Update. 20.04.2017: Das Aeromobil ist nun serienreif. Auf der Automesse Top Marques Monaco wurde es der Weltöffentlichkeit präsentiert und soll bald tatsächlich Menschen transportieren. Lest dazu unseren Hintergrund-Artikel aus dem Jahr 2015:

Štefan Klein füllt an der Tankstelle noch mal Super nach. Bezahlt, fährt zurück auf die Landstraße, folgt der Beschilderung in Richtung Flugplatz. An der Einfahrt setzt er den Blinker und biegt rechts ab, steuert an der Landebahn vorbei auf eine Wiese und hält an. Noch einmal zurücklehnen und Luft holen. Dann los. Ein Knopfdruck, und sein Auto bekommt Flügel. Ein leises Surren zeigt, dass die Metamorphose funktioniert, dann geht sein Blick nach vorne. Mit beiden Händen hält er das Steuerrad fest, viel fester als nötig. Er beschleunigt auf 130 Kilometer pro Stunde, 200 Meter Wiese, dann hebt sein Gefährt ab. Es dauert ein, zwei Minuten, bis Štefan Klein sich entspannt. Er spürt, wie stabil sein Aeromobil in der Luft liegt. Unter ihm liegt seine Heimatstadt Nitra, per Headset nimmt er Kontakt zu seinen Leuten auf, die auf dem Flugplatz mitfiebern. „Alles okay“, sagt er. Jetzt ab nach übermorgen.

Die Zukunft hat viele Versprechen gehalten. Es gibt kluge Kühlschränke und Sonden, die auf Kometen landen. Man kann das Licht im Wohnzimmer ausklatschen und Roboter Fußball spielen lassen. Nur die fliegenden Autos, die uns in Science-Fiction-Storys immer versprochen wurden: die gibt es immer noch nicht. Zumindest nicht in New York, Rio, Tokio. Aber jetzt in Nitra, Slowakei.

&nbps;

Štefan Klein, 55, wohnt in einem umgebauten alten Bischofssitz unterhalb der Burg der Stadt. Wer zu ihm fährt, kurvt durch enge Kopfsteinpflastergassen, vorbei an sozialistischen Zweckbauten und Kulissen wie aus dem Aschenbrödel-Film. Bislang hat der Erfinder des fliegenden Automobils keine Journalisten nach Nitra eingeladen. Nicht in sein Haus, seine Werkstatt – und schon gar nicht in den Hangar am Flugplatz, wo das Aeromobil steht. Daher ist Klein am Anfang ein wenig aufgekratzt. Er erzählt von seinem Großvater, der schon zusammen mit seinen Enkeln von fliegenden Autos träumte. Von den vielen Prototypen seines Aeromobils, der Version 1.0 aus den frühen 1990er-Jahren, die noch wie ein futuristisches Flugzeug aussah. Vom Modell 2.5, das schon abheben konnte. Und vom aktuellen Aero-mobil 3.0, noch immer ein Versuchsobjekt, aber eines, das immer wieder zeigt: es fährt und fliegt.

Klein ist das Gegenteil eines zerstreuten Erfinders. Seine Haare schimmern silbrig, der Fünftagebart ist perfekt auf Länge getrimmt. Dazu trägt er Schwarz: Künstler-Look. Das passt, denn der Mann leitet in der slowakischen Hauptstadt Bratislava, eine Autostunde von Nitra entfernt, das Institut für Transport-Design an der Akademie der Bildenden Künste. Štefan Klein ist ein Ästhet. Und zeichnen kann er: Ein paar Linien, schon entsteht auf dem Blatt Papier eine eindrucksvolle Skizze des Aeromobils. „Es ist mehr als nur halb Auto, halb Flugzeug“, sagt er. „Es ist etwas Neues. Eine wirkliche Mischung.“

Kleins fliegendes Auto ist sechs Meter lang, vergleichbar mit einem größeren Rolls-Royce. Angetrieben wird es vom Rotax 912, einem Standardmotor für Leichtflugzeuge. Nichts Besonderes. Er schluckt handelsübliches Super-Benzin, ist pflegeleicht und relativ sparsam. Im Flug verbraucht der Motor 15 Liter pro Stunde. Die Karosserie besteht aus Carbon – einem leichten und stabilen Stoff. Fährt man die drei Meter langen Flügel aus, erinnert das Vehikel an eine freundliche Roboterfliege in Blau-Weiß. Ein wichtiger technischer Kniff liegt beim Angriffswinkel auf den Punkt, an dem die Motorkraft wirkt: Autos fahren horizontal, ein Flugzeug aber hebt diagonal ab. „Unser Angriffswinkel ist daher variabel, der Antriebspunkt rotiert“, sagt Klein und kritzelt eine Reihe von Pfeilen in seine Skizze. Sie zeigen, wie die Flügel nach unten kippen können, um den Auftrieb zu erhöhen. Das ist keine komplizierte Idee. Aber eine, die schwer zu realisieren war. Auch im komplexen Ausfahrmechanismus der Flügel liegt patentierte Spitzentechnologie versteckt. Die Erfinder halten sich bedeckt, wenn es darum geht, Einblicke in Details ihrer Fahrflugmaschine zu gewähren.

Vor der Tür des Hangars, in dem Klein mit seinem Team das Aeromobil baut, fällt als Erstes ein Schild mit durchgestrichenem Fotoapparat ins Auge: Kameras müssen draußen bleiben. Vier Techniker haben an diesem Vormittag zu tun, darunter auch Štefan Kleins Onkel, ein erfahrener Flugingenieur. Ein weiterer Techniker zählt zu den besten Kunstfliegern der Slowakei, einer arbeitete lange für die Autoindustrie, für BMW, Kia und Peugeot. „Es geht uns eben darum, beide Welten zu vereinen, die horizontale und die diagonale“, sagt Štefan Klein, Chef-Techniker und Designer. „Ich habe mir von Beginn an gesagt, dass es keine Kompromisse geben darf, weder bei der Qualität in der Ebene noch in der Luft.“ Ein Beispiel ist das Fahrwerk: „Es ist so robust gebaut, dass man problemlos auch auf unebenen Wiesen starten kann“, verspricht Klein. Seine guten Kontakte zur Auto- und Luftfahrtindustrie sollen helfen, das neuartige Gefährt in Serie zu produzieren. Er plant mit Modulen, die schnell von anderen Unternehmen geliefert werden können. „Das Aeromobil ist einzigartig“, sagt Klein, „aber viele Teile können zügig für uns hergestellt werden.“


In einem Hangar neben der Werkstatt schlummern ein Dutzend Kleinflugzeuge des Aeroklubs von Nitra. Auch Klein hat seine Propellermaschine hier stehen. „Wenn ich fliegen will, brauche ich einen Techniker und eine Genehmigung“, sagt er. Hat er Pech, muss er vor dem Start auch noch andere Flugzeuge aus dem Weg räumen.

Viele solcher Hürden, die Fliegen umständlich und bürokratisch machen, soll das Aeromobil aus der Welt schaffen. „Es steht später nicht im Hangar, sondern bei mir zu Hause in der Garage“, sagt Klein. „Und zum Starten brauche ich keine asphaltierte Startbahn, keinen Tower.“ Im Minutentakt entwirft er nun Szenarien für die Mobilität der Zukunft. Im Blick hat er etwa Geschäftsleute, die schnell von Wien nach Berlin müssen. „Die reine Flugzeit ist zwar kurz“, sagt er, „aber die gesamte Flughafenlogistik kostet Zeit, Nerven und Geld.“ In großen Ländern mit schlechter Infrastruktur nehme der Nutzwert weiter zu. „Im riesigen Russland zum Beispiel, in Afrika. Überall dort, wo die Entfernungen groß, die Straßen schlecht und die Anzahl der Flugplätze klein ist.“  

Klein ist nicht der Erste, der Autos das Fliegen beibringen möchte. Schon in den 1930er-Jahren entwickelte der US-Luftfahrtpionier Waldo Waterman ein flugfähiges Aerobile – es fand jedoch nie einen Markt. In Kalifornien arbeitet Paul Moller seit über 50 Jahren an seinem Skycar, das senkrecht starten und landen soll. Es sieht futuristisch aus, hat allerdings bis heute nur Testflüge absolviert. Ernsthaftester Konkurrent für das Aeromobil ist das Terrafugia Transition, von seinen Entwicklern als „straßenfähiges Flugzeug“ beworben. Die US-Firma hatte schon 2012 einen Preis festgelegt (279 000 Dollar), schlägt sich aber weiter mit technischen Feinheiten und Zulassungsfragen herum. Nun heißt es, bis März 2016 sollten die ersten Flugmobile ausgeliefert werden. Beeilen sich die Slowaken, könnten sie die Ersten sein.

„Könnten Sie sich vorstellen, unser Vehikel zu nutzen?“, fragt Juraj Vaculík unvermittelt zwischen Kürbissuppe und Lammkarree. Der Aeromobil-CEO sitzt in einem Fünf-Sterne-Restaurant in Bratislava. Vaculík ist der Mann, der aus Kleins Erfindung ein Geschäft machen soll. Bislang ist er vor allem der einzige private Geldgeber. Die zwei kennen sich schon lange. Vaculík war einer der wichtigsten Widerständler während der Samtenen Revolution, die 1989 das Ende der ČSSR einleitete. Auch Klein war bei den Studentenprotesten dabei, beide verband eine romantische Vorstellung von Freiheit: „Bratislava ist nur einen Steinwurf von Österreich entfernt. Uns trennt nur die Donau. Da der Straßenweg über die Grenze vom Eisernen Vorhang versperrt war, träumten wir: Man müsste rüberfliegen können.“

Nach der politischen Wende trennten sich die Wege der Freunde. Klein startete seine Karriere als Akademiker und begann, am fliegenden Auto zu tüfteln. Vaculík leitete zunächst die wichtigsten Theater der jungen Nation, arbeitete dann als Kreativdirektor internationaler Werbeagenturen und gründete 1996 sein eigenes Kommunikationsunternehmen. In der Slowakei zählt er zu den erfolgreichsten Marketingprofis. Er ist ein Macher und Freigeist. Und jemand, der beim Essen unvermittelt Fragen stellt. Ob man selbst das Aeromobil nutzen würde? Geht das denn ohne Pilotenschein? – „Noch nicht“, sagt Vaculík. „Aber selbst ich mache ihn gerade. Ich kann Ihnen versichern, es ist längst nicht so schwer, wie Sie sich das vorstellen.“

In den Ohren von Experten klingt das nach Zweckoptimismus. Vor allem die Alltagstauglichkeit müssten die Erfinder erst noch beweisen: „Die Anforderungen an ein Auto und an ein Flugzeug sind komplett verschieden“, gibt Eike Stumpf, Professor am Aachener Institut für Luft- und Raumfahrt, zu bedenken. Auf der Straße sind andere Stärken gefragt als in der Luft – Flügel, auch weggeklappt, stören eher, und um sich im Straßenverkehr zu bewähren, müsste das Aeromobil ähnlich crashsicher sein wie jeder VW Golf und Opel Manta. Als Flugzeug wiederum darf es nicht nur für Sonnentage taugen. „Fliegen hat viel mit dem Wetter zu tun“, sagt Stumpf. „Die echten Probleme tauchen auf, wenn es stürmt und regnet.“ Immerhin: Bedingt durch die Drohnenforschung, erlebe die Luftfahrt einen enormen Wandel, der auch Behörden zum Umdenken bewege. „Die Flugzulassung“, sagt Stumpf, „wird man hinkriegen.“

Fürs Erste beantragten Klein und Vaculík, ihr Aeromobil in die Klasse der leichten Sportflugzeuge einzuordnen. Bis zur Zulassung testet der Erfinder, und der CEO begibt sich auf Investorensuche. „Die erste Frage der Interessierten lautet meist: Wann verdient ihr denn Geld?“, erzählt Vaculík. Und? „Wir peilen 2016, 2017 an.“ Der Preis werde irgendwo zwischen einem Luxus-Sportwagen und einem leichten Sportflugzeug liegen. Der nächste Prototyp soll der letzte sein, dann könnte das fliegende Auto in Serie gehen. Gespräche mit Autobauern und der Luftfahrtindustrie laufen schon. Im nahen Bratislava liefen 2013 fast eine Million Fahrzeuge vom Band, Experten sprechen sogar vom „Detroit des Ostens“.

Juraj Vaculík bestellt noch Dessert, dann bricht er auf, Investorengespräche vorbereiten. Er wirkt abgeklärt, so als habe er sein Leben lang nichts anderes getan, als über fliegende Autos zu reden. „Ich bin seit vielen Jahren Unternehmer. Ich weiß, wie man jemanden von einer Idee überzeugt, an die man selber glaubt.“ Was ihn optimistisch stimmt, ist die politische Situation: „Schengen hat die Grenzen geöffnet. Als wir anfingen, über das Aeromobil nachzudenken, war ein offenes Europa ein Traum. Nun ist es Wirklichkeit. Wenn es jetzt nichts mit dem fliegenden Auto aus Europa wird, wann dann?“
An der Garderobe erzählt er noch eine letzte Geschichte. „Kaum hatten die Medien zum ersten Mal vom Aeromobil berichtet, erhielten wir einen Anruf. Ein Millionär meldete sich, der unsere Erfindung kaufen wollte. Egal, zu welchem Preis. Und ihm war auch egal, ob das Auto nun wirklich fliegen kann oder nicht.“ Nein, Richard Branson sei es nicht gewesen. Aber klar, Vaculík hat abgelehnt. „Wir verkaufen hier kein teures Spielzeug für millionenschwere Abenteurer, keine Science-Fiction. Wir entwickeln eine Mobilitätsform der Zukunft. Und wir meinen es ernst.“

GQ Empfiehlt