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Händler wünschen sich den gläsernen Kunden

von Karsten Lemm
Per Handy, WLAN und Sensoren messen Händler, wie Käufer sich im Laden verhalten. Gezielte Angebote sollen aus beiläufigen Passanten treue Kunden machen. Online allerdings zeigen sich bereits die Nachteile der gläsernen Konsumenten.

Wo, bitte, geht’s zur Butter? Das Licht weist den Weg: Auf 240 000 Quadratmetern hat Edeka-Paschmann in Düsseldorf LED-Leuchten installiert, die einen besonderen Trick beherrschen. Jede einzelne flickert auf ganz spezielle Weise – unsichtbar für das menschliche Auge, aber eindeutig zu erkennen für Selfie-Kameras von Handys. Damit kann das von Philips entwickelte System jeden Einkäufer, der das Smartphone zückt, auf 30 Zentimeter genau erkennen und durch die Regallandschaften lenken.

„Die reine Ortung funktioniert schon“, erzählt Geschäftsführer Falk Paschmann, doch er hat noch weit mehr vor: Im Zusammenspiel mit elektronischen Preisschildern, die beim Näherkommen blinken, soll die App bald auch daran erinnern, was auf dem Einkaufszettel steht, und dazu noch Sonderangebote zeigen, ganz individuell. „Das ist dann das perfekte Paket“, schwärmt Paschmann. Bisher hadert der 28-Jährige damit, dass er so gut wie nichts weiß über die etwa 20.000 Menschen, die Tag für Tag die acht Supermärkte seines Familienbetriebs besuchen. „Von denen kenne ich eigentlich keinen“, sagt Paschmann. „Das ist ein riesiger Nachteil gegenüber online.“

Zahlreiche Dienstleister arbeiten daran, die Wissenslücke zu schließen – häufig mithilfe von WLAN und Bluetooth, weil Shopper dank ihrer Handys für diese Technologien besonders empfänglich sind. „Die meisten Menschen lassen WLAN ständig an, und die Genauigkeit von etwa drei Metern reicht aus, um Besucherströme zu analysieren“, sagt Axel Simon, Technikchef der HP-Tochter Aruba, die Tracking-Systeme für den Einzelhandel entwickelt. „Damit hat man schon einen ersten Eindruck davon: Wie funktioniert meine Fläche?“

Viele Menschen sind bereit, Einblicke in ihr Kaufverhalten zu gewähren, wenn sie im Gegenzug Bonuspunkte und Rabatte erhalten.

Nutzer bekommen davon wenig mit, denn WLAN-Analysen verlangen keine aktive Teilnahme. Es reicht, dass die Handys nach Signalen suchen und dabei Basisdaten über das Gerät verraten. Daraus lässt sich schon ableiten, wie viele Menschen am Laden vorbeilaufen, wie viele hineinkommen, wo sie sich aufhalten und ob der Weg am Ende zur Kasse führt.

Wer die Besucher sind, erfahren Händler dabei allerdings noch nicht. Dazu müssen Kunden Mobil-Apps aktiv nutzen, am besten im Zusammenspiel mit Bluetooth-­Sendern (Beacons), die bis auf einen halben Meter genau arbeiten. „Der Markt ist im Moment am Testen“, sagt Payback-Geschäftsführer Dominik Dommick. „Wir arbeiten mit fast allen unseren großen Partnern an Mikrolokalisierung.“

30 Millionen aktive Kunden zählt das Münchner Unternehmen – ein Zeichen, dass viele Menschen bereit sind, Einblicke in ihr Kaufverhalten zu gewähren, wenn sie im Gegenzug Bonuspunkte und Rabatte erhalten. Stimmt der Nutzen, so das Mantra vieler Händler, haben Menschen auch nichts dagegen, sich beim Einkauf über die Schulter schauen zu lassen. „Wir vergleichen uns mit Tante Emma“, sagt Dommick. „Die weiß auch: Der Peter kauft immer Bonbons und Kuchen.“

E-Commerce-Anbieter haben noch ganz andere Möglichkeiten. Sie können jeden Klick auswerten und dabei sehen, wer per iPhone oder Android-­Handy vorbeischaut, aus welchem Land die Besucher kommen und wie oft sie nach demselben Produkt suchen. Smarte Algorithmen berechnen aus solchen Hinweisen den für Verkäufer optimalen Preis: Wie viel ist der Kunde bereit zu zahlen? Ein Hotelzimmer, vom Smartphone gebucht, kann dadurch teurer werden als bei der Suche vom Laptop – weil die Software vermutet, dass der Druck, eine Unterkunft zu finden, bei Handynutzern höher ist.

Kaufhäuser und Filialketten wären froh, ihre Preise so gezielt auf Kunden abstimmen zu können. Doch nicht nur technische Hürden stehen ihnen im Weg. Deutsche Konsumenten reagieren auch besonders sensibel auf jeden offensichtlichen Versuch, ihr Verhalten auszuwerten. Als die Metro-Tochter Real im Sommer Kameras an den Kassen installierte, um per Bildanalyse Kundenströme zu analysieren, hagelte es Proteste. Eilig stellte Real das Experiment wieder ein.

Michael Feindt sieht in solchen Aktionen vermeidbare Patzer: „Man kann sehr vieles machen, auch ohne den Kunden genau zu kennen“, sagt der Mitgründer des Analytik-Dienstleis­ters Blue Yonder. Lagerbestände genau zu beobachten, um zu wissen, wann das Regal leer ist, bringe oft mehr, als Kunden mit Coupons zu locken, argumentiert Feindt. „Es geht darum, einen Kompromiss zu finden zwischen zu viel und zu wenig Ware.“

Edeka-Kaufmann Falk Paschmann wünscht sich von seiner wegweisenden Einkaufs-App vor allem, dass sie Käufer begeistert. „Es geht mir nicht ums Datensammeln“, versichert er. „Der Kunde soll einfach mit einem Lächeln aus dem Laden gehen – dann habe ich gewonnen.“

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