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Von Laborfleisch, Mikroalgen und Gewächshäusern

von Sarah Heuberger
Wie werden wir in Zukunft essen? Und vor allem was? Die Food-and-Tech-Summit zeigt: viel Grünzeug und Fleisch aus der Petrischale.

Essen wird zum Problem – bei der Frage, wie man neun Milliarden Menschen ernähren soll und im Hinblick auf globale Erwärmung, Tierschutz und Ressourcenknappheit. Große Probleme, die große Innovationen erfordern. WIRED stellt die spannendsten Entwicklungen von der Food-and-Tech-Summit in Berlin vor.

Fleisch statt Fleisch
Eigentlich ist Fleisch ein tolles Produkt – nahrhaft, lecker, von einem Großteil der Weltbevölkerung geschätzt und regelmäßig verzehrt. Wären da nur nicht all die Probleme, die Fleisch mit sich bringt. Die Fleischproduktion gilt als eine der Hauptursachen der globalen Erwärmung, der Tierschutz ist noch ein anderes Thema. Was also tun? Auf der Suche nach einer geeigneten Alternative kam der Lebensmittelchemiker Peter Verstrate zum Ergebnis: Nichts ersetzt Fleisch besser als Fleisch. Also entwickelt Verstrate mit seinem Startup mosameat sogenanntes In-vitro-Fleisch, Fleisch aus der Petrischale.

Dafür entnehmen die Forscher bei einer Biopsie zunächst Muskelzellen einer Kuh. Dann bringen sie die Zellen, die neues Muskelgewebe produzieren, wenn Muskeln verletzt sind, dazu, sich zu vermehren. Ist die Zellmasse groß genug, kann sie sich zu neuem Gewebe verbinden, das wiederum die Grundlage für das künstliche Fleisch bildet. Der erste Burger, den mosameat 2013 vorstellte, bestand aus 10.000 schmalen Muskelfasern. Dieser Hamburger war laut Verstrate vermutlich „der teuerste Hamburger der Geschichte“ mit rund 25.000 Euro Produktionskosten. Verstrates langfristiges Ziel aber ist es, ein Produkt herzustellen, das günstiger als herkömmliches Fleisch ist. Das könnte erreicht werden, wenn nicht mehr jede Faser per Hand hergestellt werden müsste. Ein paar wichtige Bestandteile fehlen dem mosameat-Burger momentan noch, bis er marktreif ist – zum Beispiel Fettzellen, mit deren Produktion das Team von Verstrate momentan beschäftigt ist. Verstrate ist aber zuversichtlich und glaubt, dass der mosameat-Burger in etwa drei bis vier Jahren in die Produktion gehen kann.

Und der Hamburger soll dabei nur der Anfang sein. Auch andere tierische Produkte könnten eines Tages künstlich hergestellt werden – so wie Eier, Fisch oder Leder. Dann würde sich die Frage erübrigen, die sich schon Winston Churchill einst gestellt hat: Wieso ein ganzes Huhn züchten, um dann nur die Brust zu essen?

Kleines Grünes
Früher galten sie als Heilpflanzen, jetzt eben als Superfood: schon 1974 haben die Vereinten Nationen Mikroalgen als „ideales Essen für die Menschheit“ beschrieben. Anders als Makroalgen, die man zum Beispiel für Sushi verwendet, sind Mikroalgen weniger als einen Millimeter groß und daher auf den ersten Blick nur als grünes Wasser erkennbar. Sie erhalten doppelt so viele Proteine wie Fleisch, und mit wichtigen Inhaltsstoffen wie zum Beispiel B12 oder Eisen könnten Mikroalgen ein wichtiges Mittel gegen Mangelernährung sein, den sogenannten „hidden hunger“. Außerdem könnten sie helfen, die Abholzung der Wälder zu stoppen, indem sie Sojaproteine in Tiernahrung ersetzen. Indem sie CO2 aufnehmen, tragen Mikroalgen sogar dazu bei, dass sich die Luftqualität verbessert.

Langsam sprechen sich die Superkräfte der Mikroalge auch in Deutschland und Europa herum. Der Ertrag bei der Algenzüchtung ist sehr hoch, auf einem Hektar Land können etwa 25 Tonnen Algen jährlich geerntet werden. Für Bauern kann die Algenproduktion also ein interessanter Nebenverdienst sein. Eine der ersten Mikroalgenfarmen in Deutschland ist der Familienbetrieb Cordes Chlorella in der Nähe von Vechta. Familie Cordes hat sich auf die Chlorella spezialisiert, eine der bekanntesten Mikroalgenarten und verkauft diese vor allem in Form von Pulver. Das kann man sich zum Beispiel in den Orangensaft mischen oder zum Backen verwenden. So kommt die Alge nicht nur bei tendenziell Superfood-affinen Großstädtern gut an, sondern auch bei älteren Frauen auf dem niedersächsischen Land.

Auch Space10, ein Zukunftslabor von IKEA, experimentiert mit der Produktion von Mikroalgen. „Algen an sich schmecken nicht besonders toll“, gibt Stefannia Russo von Space10 zu. Deshalb arbeitet Space10 mit einem Koch zusammen, um zu testen, wie die Alge besser schmecken kann, zum Beispiel in Form von Teig oder Suppe. Nur die grüne Farbe irritiert vielleicht manchmal noch.

Drinnen gärtnern
Gebäudeflächen in der Stadt dafür nutzen, Gemüse und Pflanzen zu kultivieren – die Idee des Indoor Farmings wird in Großstädten wie Berlin immer bekannter. Im letzten Jahr hat Good Bank in Berlin-Mitte eröffnet, ein Restaurant mit eigenen Gewächshäusern. Die passenden Gewächshaus-Module liefern ihnen Infarm. Das Startup entwickelt Gewächshäuser, die auf der Technologie der Hydroponik basieren – die Pflanzen wachsen nicht auf Erde, sondern auf einer dünnen, nährstoffreichen Schicht. Sie konzentrieren sich dabei vor allem auf Gemüse, das man in Deutschland nicht anbauen kann. Ihnen geht es darum, unnötige Essensimporte zu stoppen und nicht der traditionellen Landwirtschaft in Deutschland Konkurrenz zu machen. Dabei sei es immer wichtig, sich zu fragen, wie lang eine Pflanze zum Wachsen braucht, sagt Claire Gusko von Infarm. Dauere es zu lange, sei der Energieaufwand nicht mehr verhältnismäßig. Deshalb baut Infarm vor allem Kräuter und Gemüse an.

Bislang stehen die Infarm-Gewächshäuser in Supermärkten wie in der Metro und Restaurants wie eben Good Bank. „Eine Möglichkeit wäre aber zum Beispiel auch, die Module im Keller von Wohnhäusern zu installieren und die Mieter teilen sich den Ertrag“, erzählt Claire Gusko. Module für Einzelhaushalte hingegen soll es erstmal nicht geben. Damit sich das lohnt, müssten laut Gusko im Haushalt mindestens 3-4 Salatköpfe pro Tag gegessen werden. Denkbar wäre stattdessen, Gemüseboxen auszuliefern, deren Inhalte aus einem Infarm-Modul in der Nachbarschaft kommen. Auch Good Bank hat Expansionspläne. Mit ihrem ersten Good Bank-Restaurant in Berlin-Mitte haben sich die beiden Gründer in einer der ältesten Raucherkneipen Berlins niedergelassen, weitere sollen bald folgen.

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