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Dieselgate, rechter Populismus: 33c3-Themen, die die Gesellschaft bewegen

von Chris Köver
Auf dem Jahreskongress des Chaos Computer Club in Hamburg: 12.000 Besucher drängen sich durch die Gänge des CCH, ein großer Spielplatz für Hacker und Technikbegeisterte. Wer nicht selbst dabei sein kann, kann sich zumindest die hervorragenden Vorträge aus der Ferne anschauen. Hier!

In den Gängen und Foyers des Congress Center Hamburg (CCH) ist es so voll, dass man sich an bestimmten Engpässen nur im Gänseschritt vorwärtsbewegen kann. Die Versorgung mit WLAN ist hervorragend auf dem 33. Kongress des Chaos Computer Clubs, die Versorgung mit Sauerstoff scheint hingegen gefährdet, bereits am ersten Tag. Helfer in orangenen Westen schieben Paletten mit Club Mate durch die Gegend und bewachen die Eingänge.

Ein wenig ist es, als wäre man Alice hinterher in das Kaninchenloch gestürzt: Das CCH ist ohnehin schon ein Labyrinth mit unzähligen Ebenen, Zwischenebenen, Sälen, Foyers und Terrassen. So ganz sicher ist man sich nie, wo man landen wird, wenn man eine der vielen Rolltreppen betritt. Das ist allerdings auch nicht weiter schlimm, denn ebenso wie in einer fantastischen Erzählung, entdeckt man auch hier an jeder neuen Ecke und Gabelung wundersame Wesen und Orte. Man kann löten, Snowboard fahren, nach professioneller Anleitung Schlösser knacken (ja, analog) oder in den gelben Röhren des Seidenstraße genannten Postsystems, die hier überall von der Decke hängen, Bierdosen und Nachrichten versenden. Fetzt eine Kapsel durch den analogen Messenger, macht es ein Geräusch als würde man ein kleines Nilpferd per Kanone abschießen.

Man läuft durch abgedunkelte Hallen, in denen es in allen Ecken blinkt und die Gesichter der Arbeitenden nur von ihren Bildschirmen blau beleuchtet werden. In Halle G sitzen sie in so genannten Assemblys zusammen – kleine Dörfer innerhalb der weiten Republik des Kongresses, in denen sich Menschen mit ähnlichen Interessen zusammenfinden, um an einer Art Lagerfeuer sitzend gemeinsam zu arbeiten.

Über all das, was draußen auf den Gängen passiert, könnte man fast vergessen, dass hier parallel ein Kongressprogramm mit herausragenden Vorträgen läuft, die auf der ganzen Welt gesehen werden. Vor allem diese Vorträge sind es, für die das CCC-Event bekannt ist, alles wird augezeichnet und ist schon wenige Stunden später im Netz zu sehen – auch noch Monate und Jahre später. Das waren die interessantesten Themen des ersten Tages:

# 1: Das FBI hackt Computer auf der ganzen Welt – vermutlich ohne legale Grundlage

Eigentlich ist es nicht wirklich überraschend: Auch die Nachrichtendienste setzen Hacking-Werkzeuge ein, um ihre Ziele zu verfolgen. Der Journalist Joseph Cox hat über das vergangene Jahr recherchiert, wie das FBI im Darkweb gegen Kinderpornografie vorgeht. Ausfühlich beschrieb er die so genannte Operation Pacifier (auf deutsch: Operation Schnuller): Nachdem der Betreiber einer Seite Anfang 2015 festgenommen wurde, ließ der Geheimdienst den Server tagelang weiter im Betrieb – und infiltrierte in dieser Zeit die Computer von Besuchern, die sich Videos ansahen. Das Problem: Diese Rechner standen nicht in den USA, sondern auf der ganzen Welt, unter anderem in Österreich, Dänemark, Chile oder Kolumbien, wie Cox herausfand. In jedem dieser Länder brüsteten sich Stafverfolger anschließend mit der Zahl der festgenommenen Personen dank Operation Pacifier – wie Cox anhand von PDFs feststellte, die Polizisten ins Netz hochgeladen und dort vergessen hatten. Ob das FBI zu der Aktion überhaupt eine richterliche Erlaubnis hatte, ist allerdings unklar. Die Devise: Shoot first, ask questions later.

Hier könnt ihr das Video des gesamten Vortrags ansehen.

#2: Volkswagen tut alles, um im Dieselskandal Informationen zu verschleiern und Kunden nicht entschädigen zu müssen

Daniel Lange hat selbst 16 Jahre lang in der Automobilindustrie gearbeitet. Im vergangenen Jahr gab er gemeinsam mit einem Kollegen bereits einen ausführlichen Überblick über den Abgasskandal, der drei Monate zuvor bekannt geworden war. Was seitdem passiert ist, fasste er gestern zusammen, in einem Vortrag, der erstaunlich viele Lacher bot. Die Kurzfassung: Statt der „erbarmungslosen und umfassenden Aufklärung der Ereignisse“, die VW-Chef Mathias Müller damals zusicherte, tat VW im vergangenen Jahr alles in seiner Macht, um so wenige Informationen wie möglich herausrücken zu müssen. 250 Mitarbeitertelefone gingen verloren oder wurden „versehentlich gelöscht“, Zeugenaussagen wurden wochenlang hinausgezögert, nur damit einbestellte Ingenieure 250 Mal wiederholen konnten, sie wüssten von nichts. Und während die Wagen von Kunden in den USA aufwändig umgerüstet werden und eine Garantie bekommen, erhalten betrogene Kunden in Europa lediglich ein billiges Plastikröhrchen, das angeblich alle Probleme mit den manipulierten Abgassystemen beheben soll. Besonderes Highlight: Die Briefe, die Müller an den Verkehrsminister von Irland und die Regierungen anderen Länder schrieb, um zu versichern, es werde alles getan, um „das Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen.“

Hier geht es zum Video des Vortrags.

# 3: Künstliche Intelligenzen lernen aus unserer Sprache – und damit leider auch unsere Vorurteile

Künstliche Intelligenzen werden mit menschlichen Daten geschult, erklärt Aylin Caliskan, die an der Universität Princeton zum Thema forscht. Eine besondere Rolle spielen dabei so genannte „Word embeddings“, also die assoziativen Umfelder, in denen sich ein Begriff befindet. Das Problem: Damit lernen künstliche Intelligenzen nicht nur logische Zusammenhänge, sondern übernehmen auch alle Vorurteile, die unter Menschen verbreitet sind, egal ob diese nun zutreffend sind: Männer werden mit Karriere in Verbindung gebracht, Frauen mit der Familie. Weiße Menschen gelten als angenehm, Schwarze als eher unangenehm. Zu welchen Effekten diese Diskriminierung in der Maschine führen kann, zeigte Caliskan anhand von AI-gesteuerten Übersetzungsprogrammen: Wird aus einer geschlechtsneutralen Sprache wie dem Türkischen in eine gegenderte übersetzt, trifft der AI einfach selbst eine Entscheidung, welches Geschlecht die nicht weiter spezifizierte Person hat. „Er ist Arzt“ heißt es dann, aber „sie ist Krankenschwester.“ Die rassistischen Tendenzen einer AI können hingegen weitreichende Auswirkungen haben, wenn es um das so genannte predictive policing geht, also die Vorhersage von Straftaten auf Basis von Wahrscheinlichkeit. Wichtigste Frage deshalb: Kann man Vorurteile aus diesen Systemen eliminieren und ihre Funktionalität trotzdem erhalten?

Hier findet ihr das Video des Vortrags.

#4: Bonsai Kitten waren mir lieber – Rechte Falschmeldungen in sozialen Netzwerken

Lange vor der Debatte um Fake News im Netz gab es bereits Menschen, die sich dafür engagierten, dieses Thema sichtbar zu machen. Menschen wie Karolin Schwarz und Lutz Helm. Schwarz ist Social-Media-Redakteurin und gründete Anfang 2016 die Initiative Hoaxmap, eine Datenbank, in der Falschmeldungen und ihre Widerlegungen aus ganz Deutschland verzeichnet werden. Lutz Helm ist ein Leipziger Software-Entwickler und war lange beim Satire-Magazin Titanic tätig. Gemeinsam erklären sie anhand von Beispielen, wie durch Gerüchte über Geflüchtete rechte Stimmung in den sozialen Netzwerken entsteht. Häufig sind dabei banale Geschehnisse ausschlaggebend: So wurde etwa der Aufbau von Zelten vor einer Klinik von einer Facebook-Userin als ein klarer Beweis dafür angeführt, dass es sich um einen Fall von Tuberkulose handeln müsse. In Wirklichkeit waren es Festzelte für eine Feier des Krankenhauses. Neben privaten Initiativen wie Hoaxmap reagiert auch die Politik bereits mit Plänen für Fake-News-Verbote und sogar Fake-News-Abwehrzentren auf das Problem. Doch welche Lösungsansätze sind wirklich sinnvoll im Kampf gegen rechte Propaganda durch Falschmeldungen im Netz?

Hier seht ihr das Video des Vortrags.

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