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Mit Besson am Set von „Valerian“

von Adam Rogers
Es ist ein kleines Wunder, dass ein so ungewöhnlicher Film wie „Valerian“ überhaupt von Hollywood produziert wurde. Möglich war dies nur durch den Erfolg von „Avatar“ – und weil der französische Regisseur Luc Besson stets den richtigen Mix Avantgarde und Action findet. WIRED besuchte ihn am Set.

Das Raumschiff im Film von Luc Besson sieht seltsam aus. Es steht im Zentrum eines Sets, das vor allem wegen der vielen CGI ein bisschen merkwürdig aussieht: Greenscreens statt Dächer und leuchtende Punkte, die erst noch mit Texturen gefüllt werden müssen

Der Film geht dabei aber einen Schritt weiter, als die meisten CGI-Filme. Seine Charaktere erinnern mehr an die Kostüme aus der experimentellen Space-Oper in Das fünfte Element. Und vermittelt dabei dasselbe Gefühl wie die Gegenüberstellungen von Angst und Gewalt, die Besson bereits in Nikita und Lucy zeigte. Denn das Gefühl des Seltsamen lebt tief in der Seele des Regisseurs. So wie hier auf dem Set von Valerian im Cité du Cinéma, seinem Studiokomplex in Paris. Die haiförmigen Sessel an der Cockpitrückseite stehen zu weit auseinander, mit funkelndem Boden dazwischen. Die Steuerkonsolen haben zwar all die typischen Schalter und Knöpfe, stehen aber unharmonisch in alle Richtungen ab.

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Besson, der seine Kamera auf Schauspieler Dane DeHaan lenkt (er spielt Valerian), sieht darin nichts verkehrtes. Ein Meer aus Monitoren zeigt, worauf all die Kameras gerichtet sind. Es braucht einen Moment, bis man sieht: Das Cockpit wird auf dem Bildschirm zu einer glänzenden, schlecht belichteten Weltraumkammer. Es bietet einen flüchtigen Blick in eine weit entfernte und schöne Zukunft. Immer noch Seltsam, aber atemberaubend.

Nachdem er für den Tag mit den Dreharbeiten fertig ist, geht Besson in ein ausladendes Apartment auf den Dächern des Studios. Hier verbringt er sein Zeit außerhalb des Regisseurstuhls.

Auf die Frage, warum das Set sich durch die Kameralinse so stark verändert, zuckt Besson mit den Schultern: „Ja, ich habe das Set so designt“, sagt er. „Die Größe, die Höhe des Dachs, die Tiefe und die Länge der Korridore, wie sie sich krümmen. Aus meiner Perspektive, weil ich weiß, wie ich es drehen will.“ Nach sieben Monaten am Storyboard hat Besson den Film in hunderte Szenen in seinem Kopf zerlegt. Obwohl Valerian an den unterschiedlichsten Orten in der Galaxie spielt, passiert alles in Wirklichkeit auf dem Planeten von Luc Besson.

Luc Bessons Filme strotzen vor Menschen mit unklarer Sexualität

Besson hat seine Karriere auf internationalen Genre-Hits voller Gun-Fu, Explosionen und Schauspielern in faszinierenden Landschaften aufgebaut. Trotzdem fühlen sich seine Filme nicht wie ein Klischée an. Wenn Das fünfte Element im Fernsehen läuft, dann bleiben die Menschen hängen, hören auf zu Zappen. Man schaut den Film zu Ende, weil er Spaß macht und er eine coole Atmosphäre hat – und überraschend unamerikanisch ist. Seine Filme strotzen vor Menschen mit unklarer Sexualität oder Ethnienzugehörigkeit. Bessons Komik arbeitet mit einem exotischen Rhythmus.

Das fünfte Element fühlt sich an wie eine Strandparty auf dem Planeten Ibiza. Lucy schafft es Kampfszenen und Verfolgungsjagden so im dritten Akt zu vermengen, dass 2001: Odyssee im Weltraum wie ein gradliniger Film erscheint. (Keiner der beiden Filme war in den USA ein riesiger Erfolg, aber dafür weltweit.)

Valerian wird noch seltsamer als diese Filme sein. Der französische Comic namens Valérian et Laureline ist nahezu unbekannt in den USA. Dazu kommt eine an Avatar erinnernde Andersartigkeit, die Besson in seinen Film pumpt – mehr als bei all seinen Projekten bisher. Der Film hat visuelle Effekte von Weta (bekannt durch Der Herr der Ringe) und Industrial Light & Magic. Während Das fünfte Element nur knapp 200 CGI-Elemente hatte – darunter das fliegende Auto und das Luxusliner-Raumschiff – sind es bei Valerian um die 2500. Und dazu kommt der seltsamste Fakt von allen: dass der Film überhaupt gemacht wurde.

Abgesehen von einigen Ausnahmen wie Interstellar oder Passengers gibt es mittlerweile keine teuren Science-Fiction-Produktionen mehr, die nicht auf einer bereits etablierten Marke basieren. Das finanzielle Risiko ist zu hoch. Egal, wie groß der Kult um Besson ist, eine Frage bleibt unbeantwortet: Wie zur Hölle ist es ihm gelungen, Valerian zu produzieren?

Wer zynisch ist, könnte sagen, dass Bessons Raumschiff vermutlich abstürzt und einen riesigen Krater in der Rechnung von Hollywood hinterlässt. Luc Besson selbst sieht das natürlich positiver. Sein Ansatz Filme zu machen, angefangen bei der Story bis zur Produktion und wie sie finanziert werden, ist stets voller Überraschungen – so wie die blaue Dame mit Tentakeln, die eine Elektro-Oper singt.

Was französische von amerikanischen Comics unterscheidet ist absonderliche Science-Fiction und Sex

Bessons Begeisterung für das Seltsame fing nicht mit Filmen an. Wie viele Jugendliche weltweit holte er sich stets Mittwochs die neusten Comics. Was die französischen von denen aus Amerika mit ihren Primärfarben und Spandexträger-Helden unterschied, ist, dass sie absonderliche Science-Fiction und Sex zeigten.

Er ging nicht auf die Filmschule. Besson konnte immer wieder Leute überzeugen, ihm Einstiegspositionen als Kabelträger oder Kamerawache zu geben. Sein zweiter Film war eine Hommage an Musicals, Gangster-Filme und dem Paris der 1980er. Durch ihn machte er sich einen Namen als aufstrebender junger Filmregisseur. Im Gegensatz zu den Arthouse-Größen wie Jean-Luc Godard oder FrançoisTruffaut hatten die jungen zeitgenössischen Regisseure, zu denen auch Besson gehörte, etwas für Story und Action übrig. Amerikanische Werte eben, auf die französische Kritiker keinen Wert legen. Sie bezeichneten Bessons Filme als „Cinéma du look“, verballhornten also das Französische, um ihren Unmut zu zeigen. Trotz dieser negativen Reaktionen wollte Besson nicht von seinen Kampfszenen in Urbanen-Ruinen ablassen. Er sah sich nicht als Autor seiner Filme, sondern als „Metteur en Scène“ – als Bühnenregisseur, als Handwerker.

Als Besson an Das fünfte Element arbeitete, holte er sich Hilfe für die Charaktere von Jean Giraud. Einem Produktionsdesigner, der unter dem Pseudonym Moebius die Ästhetik der Science-Fiction-Comics der 70er bestimmt hatte. Und das fliegende Taxi von Bruce Willis ließ er von Jean-Claude Mézières bauen, dem Coautor des Comics Valérian et Laureline – ein Lebensgroßes Modell des Taxies steht heute im kathedralenartigen Eingangsbereich von Cité du Cinéma. Laut Besson sei von Mézières auch die Idee gekommen, den Comic zu verfilmen. „Es gibt zu viele Aliens, Roboter und Raumschiffe. Das ist unmöglich“, hatte Besson ihm damals geantwortet.

Und damit hat Besson in gewisser Weise recht. Die Serie folgt den titelgebenden Charakteren. Sie sind die Weltraumpolizei einer fernen Zukunft an Board einer fliegenden Untertasse. In der ersten Ausgabe des Comics reisen sie zurück in die Vergangenheit, um einen verrückten Wissenschaftler im postapokalyptischen Manhatten zu stoppen. Danach geht es zu einem Hohlplaneten, auf dem Männer einen Krieg gegen Frauen mit galeonsartigen Luftschiffen führen. (Laureline trägt darin einen Kettenbikini.) Keine leichte Aufgabe, das alles in einen einzigen Film zu packen.

Zusammen mit seiner Frau und Produzentin Virgine Besson-Silla hat Besson trotzdem die Rechte am Comic gekauft – vielleicht würde sich ja doch etwas ergeben. Und das tat es: Avatar veränderte die Filmindustrie. Leistungsstarke Computer und viel Geld konnten dafür sorgen, dass alles real wurde. „Plötzlich war nur die Vorstellungskraft das Limit“, sagt Besson.

Kreativität war keine knappe Ressource für ihn. In einem Ringordner füllte Besson hunderte Seiten mit den Biografien von Valerian, Laureline und zahllosen Nebencharakteren. Darin beschrieb er die jahrhundertelange Geschichte von Alpha, eine zwölf Meilen große Weltraumstation auf der 17 Millionen Menschen leben, die meisten von ihnen Aliens.

Besson suchte seine Ideen bei Designern überall auf der Welt, ließ sich über 3500 Kreaturen zeichnen. „Als die Schauspieler ankamen, erhielten sie ein Paket mit all dem als Hausaufgabe“, sagt Besson. „Ehrlich gesagt, wurde nichts davon im Film verwendet. Aber wenn du zu ihnen sagst, dass sie sich im Hauptquartier von Alpha befinden, dann wissen sie genau, was damit gemeint ist.“

Luc Besson tendiert in Richtung Nische und Nerdtum

Science Fiction-, Fantasy-Fans und Filmemacher lieben es, Welten zu erschaffen. George Lucas träumte schon von den Details seines Star-Wars-Universums, bevor er mit den Filmarbeiten begann. J.R.R. Tolkiens Herr-der-Ringe-Bücher sind nicht deshalb so großartig, weil man als Leser all seine Anspielungen versteht, sondern weil die Welt so komplett erscheint.  Aber aus einer kommerziellen Perspektive tendieren diese ganzen Hintergrund-Geschichten die eigentliche Story von Bessons Filmen zu verstopfen. Die New-York-City-Szenen aus Das Fünfte Element kommen vielen Fans deshalb so vollgestopft vor, weil ihnen unter anderem ein 20-seitiges Essay über modulares Wohnen in der Metropole zu Grunde liegt. Das führte auch dazu, dass französische Kritiker Besson vorwarfen, zu amerikanisch zu sein, und amerikanische Zuschauer fanden, er sei ein wenig zu französisch.

Besson tendiert in der Tat in Richtung Nische und Nerdtum. Um zu verstehen warum, braucht man sich nur eine Szene im Film Nikita anschauen. Darin findet eine Auftragsmörderin heraus, dass eine Einladung zum Essen seitens ihres Boss in Wahrheit eine List war, um sie näher an ein Opfer zu führen. „Der Kampf selbst ist gut gemacht, aber das war es”, sagt Besson. „Was ist der große Unterschied? Man fühlt mit ihr. Sie wurde betrogen. Das war die Szene. Die Action ist nur der Anstrich. Was die Action unvergesslich macht, sind die Emotionen.”

Ein anderes Beispiel ist der Film Lucy, in dem Scarlett Johansson eine unscheinbare junge Frau spielt, die Superkräfte bekommt, nachdem sie einer illegalen Droge ausgesetzt wird – am Ende überkommt sie das Menschsein. Was ihn an Lucy besonders interessiere, sagt Besson, sei die Szene der Verfolgungsjagd und der darin liegende Unterschied zwischen einem Polizisten auf der einen Seite, der zu Tode verängstigt ist, und Lucy auf der anderen, die sage: „Wenn man drüber nachdenkt, Leben und Tod. Alles das Selbe. Spielt keine Rolle.“ Es ist eines der Geheimnisse des bessonistischen Genres: Nervenaufreibenden Subtext in Set-Teile einbauen – in Schießereien, Verfolgungsjagden und Weltraumschlachten. „Man erkennt sein sapatte, wie wir in Frankreich sagen”, sagt Produzentin Besson-Silla. „Den Anstrich, den alle seine Filme haben.” 

Damals, noch bevor Buffy und Katniss Everdeen aus The Hunger Games auf den Plan traten, war Besson einer der einzigen Regisseure, in dessen Filmen Frauen die Action-Hauptrolle spielten. Spricht man ihn darauf an, wirkt er vorsichtig: „Ich lasse Frauen und Männern dieselbe Aufmerksamkeit zukommen”, sagt Besson. „Was ich in der Tat mag, ist die Stärke der Frau und die Schwäche des Manns. Ich werde mich an dem Tag für den Terminator interessieren, an dem er beginnt zu weinen, weil er seine Mutter vermisst.”

Das täuscht über eine kompliziertere Wahrheit hinweg. Nikita, The Professional, Das fünfte Element, Johanna von Orleans und Lucy porträtieren keine Frauen als Actionhelden, sondern Frauen, die erst zu Actionhelden werden – normalerweise gegen ihren Willen. Susan Hayward schrieb 1998 in ihrem Buch Luc Besson, Nikita mache ein elaboriertes „Zivilisations“-Ritual durch. Man könnte es mit Pretty Woman vergleichen, nur mit Toten. In Das fünfte Element erschaffen Männer die Heldin Leeloo sprichwörtlich aus einer Gewebeprobe. Die Bösewichte in Lucy setzen die von Johansson gespielte Charakterin ihren Körpersäften aus, indem sie sie zwingen, ihr Drogenkurier zu werden. Sogar wenn Bessons Hauptcharakter eine Frau ist, ihre Verwandlung wird immer von Männern ausgelöst, die sie umgeben.

Es könnte einfach die akademische Überhöhung sein, von der Besson sagt, er ignoriere sie. Abgesehen davon, dass er in einer Beziehung sowohl mit dem Star aus Nikita, Anne Parillaud, als auch mit Milla Jovovich aus Das fünfte Element war. Seine Filme gehen in der Transformation der Filmcharaktere dieser Frauen auf, genauso wie Besson ihre Charaktere im echten Leben transformierte. Viel männlicher kann ein Blickwinkel gar nicht werden.

Das ist ziemlich französisch, dennoch unwiderstehlich. Für Genre-Fans, die sich tatsächlich etwas Subtext in ihrem SciFi wünschen, sind Bessons Filme ein gefundenes Fressen. Deren Storys sind schwerer zu verdauen, als zum Beispiel: Spider-Man ist in Mary Jane verknallt und muss sie retten. Fünf Filme und zwei Spider-Men haben dieses Schema in den vergangenen 15 Jahren ihren Zuschauern erklärt, der sechste Film mit Spider-Man Nummer Drei ist eine angenehme Ausnahme. Ansonsten wird der beruhigende Einheitsbrei gepflegt.

Bessons Filme gehen genau in die andere Richtung, sind ganz und gar nicht beruhigend. Bei einem mittleren Budget und einem Helden mit möglichst wenig Dialog ist das in Ordnung. Bei einem Blockbuster mit unbekanntem Titelhelden, unbekanntem Drehbuch und einem Riesen-Budget? Da kann man den Wind schon John Carter pfeifen hören.

Unbekannter Titelheld mit Riesen-Budget. Wie geht das?

Aber das lässt sich Besson nicht anmerken. Er bekam grünes Licht und die Ressourcen, um seinen bisher größten Film zu drehen – ohne einem großen Studio hinter sich. Wie das gehen soll? Auch das ist kompliziert.

Auf Grund einer US-Gerichtsentscheidung gegen Monopolisierung aus den 1940ern dürfen Studios wie Fox oder Warner Bros keine eigenen Kinos besitzen. Alle anderen Teile des Filmemachens übernehmen sie jedoch selbst – Entwicklung, Übersetzung, Marketing Fernsehrechte und Urheberrechte. Studios bezahlen viel Geld und üben Kontrolle aus.

Dieses System hat sich zu einem Punkt entwickelt, an dem es eine bestimmte Art von Film bevorzugt. „Drei bis sechs 200-Millionen-Dollar-Filme bestimmen, wie gut es einem wichtigen Studio im jeweiligen Jahr geht”, sagt Adam Fogelson,Vorstand bei STX Entertainment. Sein Unternehmen hat gerade einen neuen Deal mit EropaCorp beschlossen, Bessons eigenem Studio und Produktionsfirma. „Alles andere kommt oben drauf.“

Aber wer produziert die günstigeren Filme? Viele Menschen, auf ganz unterschiedliche Weise. Hier ein einfaches Beispiel: Studio-Kofinanzierung. Dazu muss man ein Studio dazu bekommen, einen Teil des Budgets zu übernehmen, den Rest finanziert man über einen privaten Investor. Das sichert das Studio ab, während das Filmprojekt selbst Zugang zu dessen Marketing und Distribution bekommt – auf diesem Wege bekamen die Koproduktionen Birdman und The Revenant das entscheidende Prestige und das nötige Marketing.

Wer die großen Studios ignoriert, für den wird es schwieriger. Für solche Projekte etwa, die normalerweise als „independent“ bezeichnet werden, muss bedacht werden, dass die Produktion selbst nur einen Teil der Kosten verursacht. Dazu kommt Marketing und noch wichtiger: Distribution – man muss den Film zu Hause und international in die Kinos bekommen.

Eine Finanzierungsmethode, die dieses System umgeht, ist Eigenkapitalfinanzierung. Dabei finden die Produzenten Menschen, die bereit sind, in den Film zu investieren, und damit die Produktionskosten zu tragen. Wenn er fertig ist, muss ein Verleiher gefunden werden – etwa bei einem Filmfestival wie Sundance oder Cannes. Oder sie finanzieren den Vertrieb mit mehr Eigenkapital selbst.

Filme dieser Art haben meist ein Budget von unter zehn Millionen Dollar. Nocturnal Animals nutzte das Model genauso wie das aktuelle Projekt von Regisseur Paul Thomas Anderson. Für Filme, die zwischen zehn und 100 Millionen Dollar liegen, gibt es auch die Möglichkeit, den Film an ausländische Verleiher zu verkaufen. Der Produzent präsentiert in diesem Fall den unfertigen Film vor Verleihern aus anderen Ländern. Oft gibt es nur ein Drehbuch, manchmal Bilder, seltener einen Trailer oder eine frühe Version des Films. Am Ende des Pitches unterzeichnet der Verleiher – sofern er den Film mag – einen Vorverkaufsvertrag. Damit verpflichtet er sich, einen Vorschuss an die Produzenten zu zahlen und bei Fertigstellung des Films den Restbetrag zu begleichen.

Diese Verträge gehen oft Hand in Hand mit einem Bankkredit, der den Großteil der Produktionskosten deckt, also 50 bis 80 Prozent. All das bietet einen Anreiz für Kapitalgeber, den Rest beizusteuern. Zusätzlich gibt es vielleicht noch Steuervergünstigungen in dem Land, wo die Dreharbeiten stattfinden.

Vor drei Jahrzehnten war diese Art der Finanzierung noch genau so riskant wie sie klingt und wurde eher für Filme mit abgehalfterten Stars und D-Promis benutzt. Die dann meist direkt auf Video erschienen.

Der Kritikerliebling Loving wurde genau so finanziert. John Wick wurde von Auslandsumsätzen und Eigenkapital getragen. Nach dem Pitch vor den Filmstudios, kaufte Lionsgate die Distributionsrechte. Lionsgate hat wiederum La La Land teilfinanziert. Der Rest wurde von zwei Partnerunternehmen getragen. Brad Pitts Produktionsfirma Plan B entwickelte das Drehbuch zu Oscar-Gewinner Moonlight und tat sich dann mit A24 zusammen, um die Produktion und den Vertrieb zu finanzieren.

Offensichtlich gibt es keine Patentlösung für die Finanzierung von Kunst. Vielmehr hat jedes Studio seine eigenen Kooperationen und Konstellationen. So riskant und willkürlich diese Finanzierungsmodelle auch erscheinen mögen, wenn ein Film zum Hit wird, war es in den Augen der Produzenten schlau.

Besson hat alle diese Modelle durchgespielt – und darüber hinaus. Er drehte Das fünfte Element in England, nachdem das Studio in Frankreich keinen Finanzierungs-Deal zustande brachte. Der Film spielte weltweit 264 Millionen Dollar ein. Trotzdem sperrte sich das französische Studio Gaumont gegen Bessons nächstes Projekt. Also gründete er seine eigene Firma und produzierte 1998 Taxi, der Auftakt zu einer Filmreihe, die 2007 mit T4xi zu Ende ging.

Luc Besson hat den Ruf, seine Filme immer pünktlich abzuliefern und das Budget nicht zu überziehen

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Mit dem Geld aus Taxi gründete er EuropaCorp, sein eigenes Studio. Und während er seinen Studiokomlpex Cité du Cinéma aufbaute, schrieb und produzierte er lukrative TV- und Film-Projekte wie Taken und Transporter.

Luc Besson hat die spezielle Fähigkeiten, intensive Actionhits mit wenig Dialog zu produzieren. Er hat den Ruf, seine Filme immer pünktlich abzuliefern und das Budget nicht zu überziehen. Das hat ihm gute über Jahrzehnte anhaltende Beziehungen zu Verleihern (und ihrem Geld) auf der ganzen Welt einbrachte.

EuropaCorp vertreibt seine eigenen Filme in Frankreich und hat Verträge mit internationalen Verleihern für die Finanzierung. 2015 gingen Besson und Besson-Silla nach Cannes, um dort eine Präsentation vor 70 Filmverleihern zu halten – die meisten davon kannte Besson. „Wir kamen mit 80 Zeichnungen. Wir haben ihnen alle Designs gezeigt, ich habe die gesamte Handlung erzählt, sie konnten das Drehbuch lesen und dann ihr Angebot machen”, sagt Besson. „Wir haben an dem Tag fast 80 Millionen Dollar aus Vorverkäufen erhalten.” Schließlich ging der Pitch an Verleiher aus mehr als 100 Ländern.

Valerian mag zwar ein riesiger Sommer-Blockbuster sein, finanziert ist er aber wie ein Indiefilm. Alle Verträge, die Vorverkäufe und Steuervergünstigungen bedeuten, dass Besson nur ein Bruchteil des Risikos trägt. Er musste dafür auch keinem konservativen, markenversessenen Studio einen teuren Science-Fiction-Film mit weitgehend unbekanntem Ausgangsstoff vorstellen.  

Dadurch umgeht Besson noch ein weiteres Risiko: Anmerkungen. Viele, viele Anmerkungen. „Er hat ein Finanzierungsnetz gesponnen, das es ihm erlaubte, den Film ohne – und ich wähle meine Worte mit Bedacht – den Einfluss von großen Studiobossen zu produzieren. Diese hätten, weil sie hohe Summen investiert haben, mit gutem Recht Mitspracherechte eingefordert”, sagt STX-Entertainment-Vorstand Fogelson.

So kam Valerian also zustande. „Wir haben die Freiheit zu tun, was wir wollen, ohne von Finanziers und Marketing-Teams geleitet zu werden”, sagt Besson-Silla. „Weil dann am Ende auch nicht der Film herauskommen würde, den wir machen wollten.”

Dank dieser erfindungsreichen Finanzierungsmaschinerie – abgesehen von immer günstiger werdender Kameratechnik und Spezialeffekten, sowie ein Überangebot an Veröffentlichungswegen – können immer mehr Menschen die Filme machen, die sie wollen. Der chinesische Film The Mermaid ist genau diese Art internationaler Erfolg, der Valerian sein möchte – ganz ohne ein großes US-Studio im Rücken.

Die richtige Arbeit begann, als Valerian in Produktion ging. An einem Morgen musste Cara Delevingne eine Szene mit etwas spielen, was das Publikum später als niedliches meerschweinchengroßes Alien sehen würde. (Ohne Raumanzug diesmal. Sie trägt zur Abwechslung einen Bikini und ein durchsichtiges Strandtuch). In der Raumschiffkulisse, in einem Raum mit Wänden, an denen Kalibrierungspunkte für die CGI angebracht sind, redet Delevingne mit der Kreatur. „Wow, du hast wunderschöne Augen”, sagt sie und hebt es zu ihrem Gesicht. „Hey, ich glaube, jemand versucht hier mit mir zu flirten.” Dann trägt sie den kleinen Kerl zu einer Öffnung in der Wand.

Sieben Jahre wurde „Valerian“ vorbereitet

Mit Besson hinter der Kamera und eine Menge Crew-Mitglieder, die sich in das enge Set drängen, spielt Delevingne die Szene immer und immer wieder. Nicht, weil sie irgendetwas falsch macht, sondern weil das Tier später computeranimiert wird und das Team von Weta mehrere Takes braucht. Delevingne spielt mit leeren Händen in einem leeren Raum. Erst hat sie es mit einem Plüschtier geprobt, dann mit einem echten Kaninchen. Dann gaben ihr die Weta-Leute einer spiegelglatten Kugel mit der Größe eines Tennisballs und schließlich eine mattschwarze Kugel.

Dann spielte sie die Szene noch einmal für den entgegengesetzten Blickwinkel und die Kamera hinter sich. Dann noch ein paar Takes mit einer ihr folgenden Steadycam. Diese Szene scheint nicht besonders interessant, aber so mag es Besson eben. „Die eigentlichen Dreharbeiten waren nur die Bestätigung von all dem, was wir vorher designt hatten”, sagt er. 

Nach Sieben Jahre für Drehbuch und Vorbereitung, 100 Tagen Dreharbeiten und 20 Monaten Postproduktion ist Valerian ein fertiger Film geworden. Er mag zwar relativ einfach zu finanzieren gewesen sein, einfach zu verkaufen ist er nicht. Das Marketing wird wahrscheinlich versuchen, den Film über Bessons frühere Erfolge zu verkaufen – Action-Filme wie Lucy und Das fünfte Element. „Die Leute lieben es, Sachen zu entdecken. Und wenn du es schaffst, es in ein aufregendes aber trotzdem vertrautes Gewand zu hüllen, umso besser”, sagt Fogelson. „Es ist ein riesiges und spaßiges Science-Fiction-Spektakel.”

Wenn es nach den Marketing-Leuten geht, schauen sich Kinogänger eine Ausgabe des Comics Valérian et Laureline an und merken, wie einige Designs und Figuren Star Wars ähneln. Wenn das hilft, die Leute ins Kino zu bekommen, haben sie ihren Job getan.

Besson hat den Film gemacht, den er machen wollte. Valerian wird eine eng-gestricke, wenn auch nicht ganz überzeugende Handlung haben, leicht zu übersetzende Dialoge und einprägsame Bilder und Actionszenen. Egal ob jeder auf der Welt ein Ticket kauft oder alle erst auf die Ausstrahlung im Fernsehen warten – die Infrastruktur bleibt intakt. Filmemacher haben heute viele verschiedene Optionen, Filme zu produzieren. Fox oder Disney sind dabei nur eine von vielen. Und wenn Valerian: Die Stadt der Tausend Planeten es nicht schafft, die Umlaufbahn zu verlassen? Nunja, Besson arbeitet schon an seinem nächsten Drehbuch.

WIRED.com

Dieser Artikel erschien zuerst bei WIRED.com
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