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Nach dem Geständnis: Hat der E-Sport ein Doping-Problem?

von Max Biederbeck
Die E-Sport-Szene streitet über das Doping-Geständnis von Profi-Spieler Semphis: Echt oder nicht — das ist hier die Frage. Könnte Doping wirklich ein Problem für die aufstrebende Sportart werden? Zur Zeit leitet die größte Liga ESL für kommende Turniere die ersten Anti-Doping-Maßnahmen in der Geschichte des professionellen Gamings ein. Der richtige Schritt. Doch vielleicht, so sagt ein Insider gegenüber WIRED, könnte das Problem noch viel größer sein.

Es sind nur ein paar Sekunden, aber seit zwei Wochen erschüttern sie eine ganze Szene. Erst klingt das Interview mit ProGamer Kory „Semphis“ Friesen auf dem YouTube-Kanal „Launders Cstrike“ nur nach Fach-Kauderwelsch. Es geht um Probleme in Semphis ehemaligem Team Cloud9, um seine Leistung auf Turnieren und darum, wie erfolgreiche „Counter-Strike“-Spieler organisiert sein müssen. Aber dann kommen eben jene Sekunden, die ein diffuses Gerücht ein Stück weiter in die Realität zerren. „Weiß du was? Ist mir jetzt scheißegal, wir waren alle auf Adderall“, sagt Semphis — und liefert damit das erste öffentliche Eingeständnis von Doping im E-Sport.

Adderall ist eigentlich ein Medikament für Menschen mit Konzentrationsschwäche und steht in einer Reihe mit Mitteln wie Ritalin. Es kommt normalerweise bei Kindern mit ADHS zum Einsatz. In den USA erlebt die Droge gerade ein Hoch unter Schauspielern und Models, weil der Stoff auch appetithemmend wirkt und lange Drehs und Shootings erträglicher macht. Auch Studenten greifen zu Adderall, damit sie sich länger und besser konzentrieren können — genau darum geht es auch Konsumenten in der Gamer-Szene.

Sie müssen während ihrer Matches konzentriert bleiben, immer mehrere Dinge gleichzeitig im Auge behalten. Alles passiert in extrem hohen Geschwindigkeiten, teilweise kommen Pro-Gamer auf über 500 Mausklicks pro Minute, in Matches, die bis zu 40 Minuten dauern können. Leistungssport für den Kopf, für die Reflexe und für die Nerven.

„Wer richtig zugehört hat bei unseren Spielen“, behauptet Semphis, der müsse an der überdrehten Mannschaftskommunikation bemerkt haben, dass da etwas nicht stimmt. Der Interviewer greift die Aussage wenig verwundert auf, reagiert eher mit einer Feststellung als iner Frage: „Ich meine, jeder in der ESL nimmt Adderall, oder?“ Ein knappes „Yeah“ von Pro-Spieler Semphis beendet das Thema.

Die Kids kaufen das Zeug auch bei Dealern.

Szene-Insider

Egal, ob die beiden die Wahrheit gesagt haben oder nicht, der heftige Aufschrei nach dem Interview ließ nicht lange auf sich warten. Kurz nach dem Upload berichten die ersten amerikanischen Medien über den Vorfall. Die sozialen Netzwerke laufen heiß mit Kommentaren zum Geständnis von Semphis. Schließlich sah sich die Electronic Sports League (ESL) in der vergangenen Woche sogar dazu veranlasst, in naher Zukunft einen eigenen offiziellen Doping-Test einzuführen. Dazu will die Liga mit der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) kooperieren. Richtlinien, die den Gebrauch von Drogen verbieten, gibt es in Satzungen von E-Sport-Ligen eigentlich schon lange. 2013 ist etwa die International E-Sport Federation der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA beigetreten. Kontrollen gab es bisher aber keine.

Beim im August anstehenden „Counter Strike“-Mega-Event der ESL One sollen erste Hauttests durchgeführt werden. Die ESL geht davon aus, dass rund 300 Substanzen als Doping-Mittel in Frage kommen könnten. Anreiz besteht genug, immerhin geht es um 250.000 Dollar Preisgeld.

E-Sport ist eine der am schnellsten wachsenden Sportarten weltweit. Allein bei Veranstaltungen der ESL kamen Spieler im Jahr 2013 aus 193 Ländern. Auf rund 120 ESL Events spielten sie in Spielen wie „League of Legends“, „Starcraft 2“ oder „Counter Strike: Global Offensive“ um Preisgelder in Millionenhöhe. Beim größten „Dota 2“-Turnier „The International“ verteilte der Veranstalter Valve Preisgelder im Wert von zehn Millionen Dollar an die Finalisten. Die ESL One in Katowice sahen sich nach Angaben der Liga Anfang des Jahres knapp neun Millionen Menschen im Netz an — 16 Millionen Stunden lang wurde der Wettkampf insgesamt gestreamt. Das Turnier, an dem auch das mutmaßliche Doping von Semphis stattgefunden hat.

Aber nicht nur für ihn scheint der Druck groß zu sein. Für Sponsorengelder muss Leistung her. Die Zuschauerzahlen wachsen und wachsen, die Konkurrenz im Traumberuf E-Sportler ist riesig. Sogar Wettbüros springen auf die Sportart an. Scheinbar reagieren mehr und mehr Pro-Gamer mit Chemie auf den Leistungsdruck.

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„Teilweise erfinden die Spieler Krankheiten, um Medikamente wie Ritalin oder Betablocker vom Arzt zu bekommen“, erzählt ein ehemaliger Pro-Gamer und Insider gegenüber WIRED. Er hat über zehn Jahre bei einem großen deutschen Clan Spieler betreut und die Entwicklungen in der Szene miterlebt. „Die Kids kaufen das Zeug auch bei Dealern“, behauptet er. Die böten ihren Kunden mittlerweile sogar fertige „Gamer-Pakete“ an. Leistungssteigernde „Upper“ wie Koks oder Methylphenidate für die Spiele, Marihuana oder auch „nur“ Alkohol, um danach wieder runterzukommen. Während bei seinem Arbeitgeber alles sauber abgelaufen sei, benutzten andere Teams sogenannte Smart Drugs zur Steigerung der kognitiven Leistungen während der Spiele regelmäßig. Die Trainer würden ihren Schützlingen die Substanzen teilweise sogar empfehlen.

Das Misstrauen gegenüber Medien ist groß.

Die Anschuldigungen liegen WIRED schon eine Weile vor. Vermittlungsversuche zu Spielern — unter anderem aus Köln — scheiterten. Die Gamer hatten Angst, im falschen Licht dazustehen, oder ihre Verträge zu verlieren. Das Misstrauen gegenüber Medien sei groß, weil sie „die Story ausschlachten“ könnten, wird uns mitgeteilt. Viele Spieler hätten noch die unreflektierte Berichterstattung über „Killerspiele“ im Hinterkopf oder erinnerten sich an die Folgen von Doping-Fällen in anderen Sportarten.

Druck scheint auch von den Veranstaltern zu kommen. Zur letztjährigen Weltmeisterschaft zum weltweit beliebten Spiel „League of Legends“ schien Entwickler Riot Games aus Angst vor Negativ-Berichterstattung die Daumenschrauben anziehen zu wollen. „Beim Briefing für die WM wurden Teams explizit angewiesen, das Thema Doping weder anzuschneiden, noch dazu irgendwelche Fragen von Medienvertretern zu beantworten“, behauptet unser Kontakt und verweist auf eine Vertragsklausel, die den Spielern offenbar vorgelegt wurde. Sie untersagt die Diskussion kritischer Themen in der Öffentlichkeit. Riot Games verneint diesen Vorwurf. „Wir haben Spieler niemals dazu aufgefordert oder es ihnen verboten, öffentlich zu sprechen“, sagt eine Sprecherin zu WIRED. Zur aufkommenen Doping-Problematik der Szene möchte das Unternehmen keine Stellung nehmen.

„Unsere Regeln verbieten die Teilnahme an Turnieren unter Drogeneinfluss ganz klar“, betont Anna Rozwandowicz, Sprecherin der ESL gegenüber WIRED UK. Sie behauptet, dass leistungssteigernde Substanzen im E-Sport keine große Wirkung hätten. „Wie in jedem Sport, gewinnt man durch harte Arbeit und Übung“, sagte sie direkt nach dem Dopinggeständnis. Außerdem zweifelt Rozwandowicz an der Glaubwürdigkeit von Semphis, der sein Team aufgrund von schlechter Leistung kurz zuvor verlassen hatte. Mit den neuen Tests und Regeln, habe die ESL eine wasserfeste Strategie gegen das Aufkommen einer Doping-Kultur, verspricht die Sprecherin. 

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