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Terror und Urheberrecht: Die Bundesregierung will Zensur privatisieren

von Max Biederbeck
Die deutsche Regierung will für den Kampf gegen Terror und Hass im Internet private Unternehmen bemühen. Damit überlässt sie die Aufgaben des Rechtstaats anderen und schadet der Internetwirtschaft in Europa. Das WIRED Cheat Sheet zum Anti-Terror-Paket der Bundesregierung.

Was ist passiert?
Der Staat hat schon lange Probleme mit Terrorismus im Netz. Mit dem Recruiting von neuen Kämpfern über geschlossene Facebook-Gruppen, mit brutalen Propaganda-Videos bei YouTube, mit Hass und Hetze allgemein. Die Bundesregierung sieht das Problem als so gravierend an, dass die Online-Aktivitäten von Terroristen auch Teil ihres neuen Anti-Terror-Pakets sein werden.

Das Gesetz werde gerade „zügig“ fertiggestellt, sagten Sprecher bei Justiz- und Innenministerium gegenüber netzpolitik.org. In einem Maßnahmenkatalog heißt es: „Wir wollen eine freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen der Internetwirtschaft, zum selbstständigen und aktiven Vorgehen gegen terroristische Propaganda auf ihren Netzwerken. Wir werden zudem die Möglichkeiten einer europarechtlichen Verschärfung des ‚Host-Provider-Privilegs‘ – d. h. die Haftung der Host-Provider für Inhalte – prüfen.“ Zwei Sätze, die enorme Probleme verursachen könnten.

Warum ist die Selbstverpflichtung ein Problem?
Es gibt einen Trend in Europa, der sich schon länger beobachten lässt: Auf der einen Seite propagieren die Regierungen der Einzelstaaten und die EU, dass sie das Internet in einen Rechtsraum umwandeln wollen. Sie geben die große Message aus: „Wir formen den digitalen Raum!“

Dazu gehört das Datenschutzgrundabkommen, dazu gehören Gesetzespakete wie Privacy Shield und die Überarbeitung des europäischen Urheberrechts. Im Falle der Abwehr von Terror und Hassrede soll die Task Force von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) helfen, ebenso das EU Internet Forum und jetzt eben auch das Anti-Terror-Paket.

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Wo die Regierungen scheinbar aktiv gestalten, passiert bei der Durchsetzung der Gesetze in Wahrheit etwas anderes – und genau das enttarnen die Worte des neuen Maßnahmen-Katalogs: Der Staat setzt auf „Selbstverpflichtungen“, er wird also weniger selbst wegen Hass-Posts ermitteln, sondern überlässt es den Unternehmen, dagegen vorzugehen: Facebook, Google und so weiter. Die sollen ihre Angebote proaktiv sauber halten.

„Die Behörden kommen nicht hinterher mit der Verfolgung von Online-Tätern, deshalb kapitulieren sie und sourcen das Problem an Private aus“, sagt Volker Tripp vom Verein Digitale Gesellschaft, der sich für Bürgerrechte in der Netzpolitik einsetzt. Als weitere Beispiele für diese Entwicklung nennt er das Recht auf Vergessenwerden, bei dem allein Google sich um die Löschung von Sucheinträgen kümmern muss, und die Fälle Goldesel.to und 3dl.am, bei denen die Provider nach einer Beschwerde selbst für die Sperrung der Piratenseiten Sorge tragen müssen.

Was ist all diesen Fällen gemein? Sie spielen sich zwischen Rechteinhabern, Usern und Providern ab. Der Staat macht nicht mehr mit. „Da entscheidet dann kein Richter mehr, was Terror ist und was nicht, sondern ein Unternehmen“, sagt Tripp. Einen effektiven Rechtsschutz gebe es so nicht mehr. Laut Tripp entsteht eine Slippery Slope, ein gefährliches Gefälle, dass bei terroristischen Inhalten erst anfängt. Schon bald könnten sich die Netzwerke auch um die Verletzungen des Urheberrechts kümmern müssen und so weiter, bis die Meinungsfreiheit völlig eingeschränkt sei. „Wer sagt, dass Begriffe wie ‚Terror‘ nicht umgedeutet, anders verstanden oder umdefiniert werden?“, fragt Tripp.

Warum ist das Host-Provider-Privileg ein Problem?
Durch die geplanten Bestimmungen bekommen die Anbieter nicht nur semi-staatliche Gewalt über Inhalte, sondern gehen auch ein großes Risiko ein: Falls etwas Illegales auf ihren Seiten vorgeht, machen sie sich strafbar.

Für große Unternehmen wie Google, Facebook und Twitter ist das zu bewältigen. Sie können sich Rechtsabteilungen und Teams sowie Technik zum Aufspüren von problematischem Content leisten. Doch selbst sie haben Schwierigkeiten. Für kleinere Unternehmen könnte die Rechtsunsicherheit, die durch die Haftung und den ungenauen rechtlichen Rahmen entsteht, erst recht zum unüberwindbaren Hindernis werden.

„Die Transaktionskosten für jedes kleinere europäische Startup werden extrem steigen“, sagt Tripp. Die Markteintrittshürden für junge Unternehmen könnten damit so hoch werden, dass sie es sich vielleicht anders überlegten mit der Gründung. Eine Katastrophe für den Internet-Standort Deutschland und Europa. Die jetzige Rechtssicherheit für Hosts und Provider sei „ein wesentlicher Garant für die Praktikabilität und damit den Erfolg zahlreicher Internetdienste“, sagte Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder vom Digitalverband Deutschlands gegenüber netzpolitik.org. Und genau die könnte jetzt wegfallen.

Wie geht es weiter?
Noch ist nichts final entschieden. Selbst wenn das Gesetz beschlossen wird, stehen ihm noch das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof im Weg, die beide den Abbau der Rechtsstaatlichkeit im Internet stoppen könnten. Immerhin könnten Unternehmen in Grundrechte wie die Meinungs- und allgemeine Handlungsfreiheit eingreifen, falls das Anti-Terror-Paket in der geplanten Form durchkommt. Die erste Verfassungsbeschwerde dürfte nur eine Frage der Zeit sein.

Außerdem steht 2017 erst einmal die Wahl eines neuen Bundestages an, und danach werden wahrscheinlich auch die Ministerien neu aufgestellt. Das Thema wird dann sicher noch einmal neu verhandelt.

An der langfristigen Entwicklung, dass sich öffentliche Aufgaben im Internet immer weiter in private Hände verlagern, ändert das jedoch nichts. Kritiker wie Volker Tripp sind überzeugt, dass der Rechtsstaat langsam verschluckt wird, wenn seine Prinzipien nicht auch online gewahrt werden.

Ein Cheat Sheet ist mehr als ein Spickzettel. Studenten packen Gleichungen darauf, kritzeln Aufzählungen, listen Infos auf. Während sie den Zettel für ihre Klausur zusammenschreiben, lernen sie die Materie. Am Ende brauchen sie ihn vielleicht gar nicht mehr. Wir wollen euch so einen Cheat Sheet für aktuelle Debatten zur Hand geben. 

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