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Dieser Anwalt zeigt Facebook-Manager wegen Beihilfe zur Volksverhetzung an

von Joachim Hentschel
Jahrelang galt Facebook als juristisch unverwundbar. Nun häufen sich Fälle, in denen Staatsanwälte gegen den Social-Media-Konzern ermitteln lassen: Nach juristischen Niederlagen vor dem Europäischen Gerichtshof und in Belgien sind nun in Hamburg mehrere Facebook-Manager unter Verdacht der Volksverhetzung geraten. Urheber der Anzeige: der Würzburger Anwalt Chan-jo Jun, der mehr als 200 Hasskommentar-Fälle dokumentiert hat.

Vor dem EuGH unterlag Facebook in Sachen Datenschutz, ein Sieg für den Aktivisten Max Schrems. Aus Belgien gab es eine Verfügung gegen einen Tracking-Cookie des Sozialen Netzwerks. Und nun auch noch die Volksverhetzungs-Anzeigen in Deutschland. Chan-jo Jun erklärt im WIRED-Interview, was das in seinen Augen für Facebook bedeutet — und verrät, dass es längst noch eine andere Möglichkeit gibt, den Konzern unter Druck zu setzen.

WIRED: Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen Facebook-Europachef Martin Ott eingeleitet. Die Strafanzeige kam von Ihnen: Beihilfe zur Volksverhetzung. Was passiert da nun?
Chan-jo Jun: Es geht Schritt für Schritt. Zuerst prüft das Landeskriminalamt, wann und wie lange die von uns dokumentierten Hass-Postings tatsächlich online standen. Dann wird festgestellt, ob die Postings Straftatbestände erfüllen oder nicht — und wer im Hause Facebook dafür verantwortlich ist, dass sie trotz Meldung nicht gelöscht wurden. Ich glaube nicht, dass noch in diesem Jahr entschieden wird, ob es eine Anklage gibt oder nicht. Aber man kann sich irren.

WIRED: Polizisten, die bei der deutschen Facebook-Zentrale Festplatten beschlagnahmen — könnte das passieren?
Jun: Das hängt davon ab, ob Facebook im Fall des Falles kooperiert oder nicht. Gerade erst gab es ja in Berlin eine solche Razzia gegen die Schreiber von Hasskommentaren, auf Initiative des Innensenators hin. Offenbar werden die Beschwerden endlich ernstgenommen.

Es geht nicht darum, wo die Server stehen, sondern welche Personen angesprochen werden.

WIRED: Sie haben außerdem drei Geschäftsführer von Facebook Deutschland angezeigt. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass in dieser Sache wirklich jemand verurteilt werden wird. Sind Ihre Klagen nur symbolisch?
Jun: Ganz und gar nicht. Es geht hier um effektive Strafverfolgung, an Orten, an denen die deutsche Justiz auch zugreifen kann. Viele zweifeln ja an, dass eine US-Firma sich an deutsches Recht halten muss. In diesem Fall: Ja, das muss sie. Zum Tatbestand Volksverhetzung gibt es genügend BGH-Grundsatzentscheidungen, die klar sagen: Hier geht es nicht darum, wo die Server stehen, sondern welche Personen angesprochen werden.

WIRED: Weil die Personen, gegen die gehetzt wird, zum Beispiel syrische Flüchtlinge, in Deutschland sind?
Jun: Nein. Es geht laut Gesetz nicht um die Menschen, gegen die gehetzt wird. Es geht um den öffentlichen Frieden in einem Land, um die Frage, ob er durch bestimmte Handlungen gefährdet wird. Dass dieser Frieden in Deutschland praktisch bereits aufgehoben ist, belegen die gewalttätigen Vorfälle, von denen wir täglich hören.

WIRED: Trotzdem fragen sich viele: Müssten Sie nicht die europäischen Facebook-Manager in Dublin verklagen? Die deutsche Facebook-Filiale ist ja nur für Marketing und Anzeigenverkauf zuständig.
Jun: Es gibt da einen wichtigen Unterschied: Unsere Strafanzeigen richten sich ausdrücklich nicht gegen die Betreiber — unser Vorwurf ist Beihilfe zur Volksverhetzung. Zweck von Facebook Deutschland ist die Finanzierung des Portalbetriebs. Also: Beihilfe. Dass der besagte Nordeuropa-Chef seltsamerweise in Hamburg angestellt ist, obwohl eigentlich jedes Land seine eigene Gesellschaft hat, trägt nur zur scheinbaren Verwirrung bei.

WIRED: Wieso hat dann der österreichische Aktivist Max Schrems seine Datenschutzklagen gegen die Europazentrale in Dublin gerichtet?
Jun: Weil Herr Schrems nicht nach Strafrecht vorgegangen ist, sondern zivilrechtlich. So etwas wie Beihilfe gibt es in dem Fall nicht. Da muss man tatsächlich die Person angehen, die die Datenverarbeitung final verantwortet.

Warum löscht Google mittlerweile Inhalte? Weil sie so oft verklagt wurden. Die haben ihre Lektion gelernt.

WIRED: Jeder kleine Blogger weiß, dass er Kommentare löschen muss, wenn er eine einstweilige Verfügung bekommt — weil ihm sonst Strafen drohen. Wieso scheint das für Facebook nicht zu gelten?
Jun: Berechtigte Frage. Aber Sie müssen das gar nicht mit dem Blogger vergleichen — nehmen Sie Google. Warum löscht Google mittlerweile Inhalte? Warum halten die sich an deutsches Recht und Facebook nicht? Der einzige plausible Grund: weil Google zuletzt so oft verklagt wurde. Die haben ihre Lektion gelernt.

WIRED: Könnte man von Facebook nicht sogar verlangen, aktives Community-Management zu betreiben? Hasskommentare selbsttätig zu löschen, auch ohne, dass es vorher eine Aufforderung gibt?
Jun: Einerseits gilt der Grundsatz, dass eine Firma erst dann haftet, wenn sie von einem Rechtsbruch in Kenntnis gesetzt wurde. Andererseits verlangen die Gerichte in Zivilsachen: Nach einem solchen Hinweis hat die Firma auch eine aktive Überwachungspflicht. Versuchen Sie mal, auf eBay eine gefälschte Louis-Vuitton-Tasche einzustellen — das hat die Rechtsprechung schon vor zehn Jahren geklärt. Man könnte von Facebook durchaus erwarten, bestimmte Profile aktiv zu beobachten, die wiederholt wegen Hasskommentaren gemeldet wurden.

WIRED: Wie sehen Sie die Fälle von Internet-Selbstjustiz? Seiten wie „Perlen aus Freital“, auf denen Hasskommentatoren präsentiert werden?
Jun: Die sehe ich als sehr problematisch. Wir wissen, dass Klarnamen auf Facebook nicht unbedingt stimmen. Es gab Fälle, in denen Menschen auf Basis von Fake-Profilen fälschlicherweise bezichtigt wurden. Wer hier nicht vorher alles genau prüft, leistet sich unter Umständen schwere Eingriffe in Persönlichkeitsrechte.

Facebook ist seit Oktober Teil der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia. Jeder kann kritische Inhalte jetzt auch dort melden.

WIRED: Dem deutschen Justizminister hat Facebook zugesichert, stärker mit Kontrollinstanzen wie Jugendschutz.net oder der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia (FSM) zusammenzuarbeiten. Glauben Sie, dass das passiert?
Jun: Es passiert bereits! Die wenigsten haben es bemerkt, aber Facebook ist seit Oktober tatsächlich Mitglied der FSM. Das bedeutet: Jeder kann kritische Inhalte ab jetzt auch bei der FSM melden — entweder sofort oder nachdem Facebook eine direkte Meldung abgeschmettert hat. Das wird sehr interessant, weil der Kodex der FSM sogar strenger ist als die gesetzlichen Vorgaben. Und wenn eine der Mitgliedsfirmen sich nicht an die Weisungen der FSM hält, sieht die Satzung schwere Sanktionen vor, Vertragsstrafen, im schlimmsten Fall sogar den Rauswurf. Das Verfahren dauert aber zu lange — Facebook muss seine Verantwortung selbst wahrnehmen.

WIRED: Warum hat das niemand mitbekommen?
Jun: Weil weder Facebook noch die FSM es bislang öffentlich gemacht haben. Ich bin sehr gespannt, was passieren wird, falls die FSM irgendwann tatsächlich jeden Tag Gutachten für 30.000 gemeldete Hass-Postings schreiben muss. Aber wenn sie am Ende zu Facebook sagen: „Nehmt das Zeug jetzt endlich offline!“ — dann hätten wir einen großen Teil unseres Ziels erreicht. 

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