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Binaural Bits / Brian Foo verwandelt Datensätze in Sound

von Christian Grasse
Der New Yorker Medienkünstler und Programmierer Brian Foo verbindet das erzählerische Potenzial von Daten mit der emotionalen Kraft des Klangs. Unser Autor Christian Grasse ist von der Arbeit des selbst ernannten „Daten-DJs“ fasziniert.

Daten sind abstrakt und meist nur in verarbeiteter Form verständlich. Wenige Menschen besitzen die Fähigkeit, nach nur einem Blick eine Aussage aus einer Datenbank herauszulesen. Texte und Visualierungen in Form von Tabellen oder Infografiken können bei der Komplexitätsreduktion helfen. Der New Yorker Künstler Brian Foo geht noch einen Schritt weiter: Er beschäftigt sich mit der Sonifikation von Daten. Das heißt, er verwandelt Zahlenwerte in Sound und programmiert beziehungsweise komponiert so aus Datensätzen Musik. Damit schafft er hörbare, emotionale Zugänge zu komplexen gesellschaftlichen Themen wie Einkommensungleichheit, Umweltverschmutzung oder Flucht.

12 Songs stehen auf der Tracklist des New Yorker Künstlers, die er bis zum Januar 2016 vollenden will. Die Hälfte davon hat er schon veröffentlicht. Foos Premierenstück heißt „Two Trains“ und vertont eine U-Bahn-Fahrt durch die New Yorker Innenstadt. Der öffentlich zugängliche Datensatz zum Durchschnittseinkommen aus dem Jahr 2011 in den Stadtteilen Brooklyn, Manhattan und der Bronx dirigiert dabei ein digitales Orchester. Die musikalische Reise beginnt leise, verhalten und monoton, und je näher sich die U-Bahn auf der Linie 2 dem reichen Manhattan nähert, desto dynamischer und lauter wird der Song, die Zahl der Intrumente nimmt zu. Mit bis zu 30 verschiedenen Klängen arrangierte Foo seinen Soundtrack zum ungleich verteilten New Yorker Pro-Kopf-Einkommen.

Die Herausforderung bestand für ihn vor allem darin, einen Sound zu finden, der die Daten repräsentiert, ohne eine persönliche Wertung vorzunehmen. In einer ersten Version experimentierte er mit verschiedenen Audioqualitäten. Geringe Einkommen klangen dumpf und verzerrt, hohe Einkommen klar und voluminös. Doch Foo verwarf die Idee, denn sein Ziel ist es, die Datensätze möglichst vorurteilsfrei in auditiver Form wiederzugeben.

Mit „Rhapsody In Grey“ liefert der Künstler die Verklanglichung eines epileptischen Anfalls. Dafür verwandelt er die elektrischen Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche eines Epilepsie-Patienten in eingängige Popmusik, die er als „Brainworm“ bezeichnet. Die aufgezeichneten 18 Frequenzen der Hirnaktivität vor, während und nach dem Anfall erinnern an ein Notenblatt, das die Wiedergabe von über 70 Gesangs-, Bass- und Percussion-Samples steuert.

Der Song klingt im ersten Drittel entspannt und harmonisch, bei Minute 1:45 beginnt der epileptische Anfall und die Musik verwandelt sich in ein chaotisches Arrangement aus Wortfetzen, Rhythmen und Melodieverläufen, die beim ersten Hören gleichermaßen verstören und faszinieren. Seine Musik solle die Empathie und das intuitive Verständnis von Epilepsie fördern, sagt Brian Foo. Das könne kein anderes Medium besser. Normalerweise korrespondiert die Aussage eines Songtextes mit der komponierten musikalischen Stimmung. Bei Brian Foo sind es Daten und ihre Korrelationen, die die kompositorische Struktur der Lieder bestimmen. Seine kreative Leistung besteht vor allem darin, den richtigen Sound für die ausgewählten Datensätze zu finden.

In seinem aktuellsten Stück hat er sich für den Klang einer Steal-Gitarre entschieden, wie er in der Blues- und Countrymusik vorkommt. Die grundlegende melancholische Stimmung des Intruments transportiert das Thema sehr gut. „Distance from Home“ vertont internationale Flüchtlingsströme der vergangenen vier Jahrzehnte. Der bisher größte Datensatz des Daten-DJ-Projekts.

Jedes Jahr zwischen 1975 und 2012 entspricht vier Sekunden im Song, die Distanz, die Flüchtlinge weltweit zurückgelegt haben, wird mit der Tonlänge und dem Pitch symbolisiert, wie viele Menschen auf der Flucht waren, gibt Brian Foo mit der Lautstärke und der Anzahl der verwendeten Intrumente wieder. Ein konkretes Ergebnis hinterlässt der Song beim Hören zwar nicht, er vermittelt jedoch ein diffuses Gefühl einer Welt voller Unordnung und zunehmender Bewegung, Flucht und Angst. Das Stück endet irgendwann, aber es macht auch deutlich, dass „Distance from Home“ nur der Beginn eines wahrscheinlich endlosen Medleys ist. 

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