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China inspiriert Autokratien weltweit mit neuen Methoden digitaler Zensur

von Max Biederbeck
Wenn es um digitale Unterdrückung geht, inspiriert Chinas Regierung Autokratien weltweit. Die klassische Zensur ist dabei längst nicht mehr das einzige Mittel der smarten Kontrolle. Geleakte Dokumente der KP zeigen: Es geht um Einfluss auf Debatten, um Manipulation und Gegenkampagnen. 

Sarah Cook erklärt das Problem der Meinungsfreiheit in China mit einer goldenen Uhr. Vor einigen Jahren, so erinnert sich die Fernost-Expertin, interessierte sich die Kommunistische Partei nur für sich selbst. Für die Wahrnehmung ihrer Funktionäre in der Öffentlichkeit und die Unterdrückung der Opposition. „Es gab da einen Blogger, der teure Uhren von Parteimitgliedern auf Fotos identifizierte“, erzählt Cook. „Er wurde sofort mundtot gemacht, weil die Politiker nicht als reiche Kapitalisten dastehen wollten“. Parallel nahm die Kontrolle des Internets zu und westliche Websites wurden aus dem chinesischen Netz ausgesperrt: Die „Große Firewall“ Chinas ist längst ein gängiger Begriff. Und hinter dieser Mauer, so ist die Forscherin überzeugt, hat sich im vergangenen Jahr die nächste Stufe einer so genannten smarten Unterdrückung entwickelt.

Cook hat in der vergangenen Woche ihre neuste Studie bei Freedom House veröffentlicht. Die Organisation versteht sich selbst als Monitor für die Freiheit in der Welt. Die Forscherin untersucht darin 75 Direktiven der Kommunistischen Partei, die der kalifornischen China Digital Times zugespielt wurden. Es sind Anweisungen an News-Websites, Zeitungen und Social-Media-Admins. Sie geben vor, wie mit bestimmten Themen umgegangen werden soll.

Genau wie bei klassischer Zensur funktioniert das über die Löschung von Artikeln, das Auslassen von Themen und durch das Schließen von Kommentar-Funktionen. „Dabei bleibt es aber nicht“, sagt Cook. Es werde immer deutlicher, dass die Staatsführung unter Xi Jinping versucht, die Debatte im Internet als solche zurückzuerobern, zu kontrollieren und zu manipulieren. Eins der Hauptziele der Kommunistischen Partei für 2016 lautet passend, ihre Stimme zur lautesten im Internet zu machen.

Fünf der Direktiven zielten beispielsweise darauf ab, die virale Ausbreitung der Umwelt-Doku „Under the Dome“ zu behindern. Dazu gehörte die Zensur des Films. Gleichzeitig legte die Partei aber auch mit einer eigenen Digital-Kampagne nach. Bezahlte Kommentatoren und staatsnahe Blogs lenkten die Debatte weg von den Vorwürfen des Films. Dazu kommt eine weltweit einmalige Allianz zwischen Internet-Unternehmen und Staat. Sie macht es den Behörden jederzeit möglich, direkt auf einzelne Accounts zuzugreifen, falls diese unbequem werden. 

Die Staatsführung unter Xi Jinping versucht, die Debatte im Internet zurückzuerobern, zu kontrollieren und zu manipulieren.

„Es ist auffällig, wie auf einmal Themen wie Umwelt, Gesundheit und Wirtschaft in den Kontroll-Apparat aufgenommen wurden“, erklärt Cook. In einer größeren Studie, die sie bereits vor einem Jahr durchführte, spielten diese Themen noch eine untergeordnete Rolle. „Das zeigt, dass die Regierung mit technischen Mitteln versucht, immer mehr Einfluss auf den gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu nehmen“, so Cook. Es bestehe die Angst bei den Partei-Kadern, dass Themen wie Smog oder schwächelnde Wirtschaft auf einmal auf sie zurückfallen.

Diese Sorge haben nicht nur die Herrschenden in China, und die Antwort ist weltweit ähnlich. Über die vergangenen Jahre hinweg haben repressive Staaten verstanden, dass klassische Zensur und die Bedrohung von Journalisten und Intellektuellen für sich alleine nicht ausreichen. Anstatt den Informationsfluss zu unterdrücken, versuchen sie, ihn gezielt zu kontrollieren. Experten sprechen von „smarter Unterdrückung“.

Anstatt den Informationsfluss zu unterdrücken, versuchen Regime ihn auf vielfältige Weise zu kontrollieren.

Erfahrung mit dieser Art der Kontrolle haben auch die russischen Investigativ-Journalisten Andrei Soldatov und Irina Borogan. Seit dem Jahr 2000 berichten die beiden auf ihrer Website Agentura.ru über die Machenschaften des Geheimdiensts FSB und der Kommunikationsbehörde Roskomnadzor. Im vergangenen Jahr veröffentlichten sie das Buch „The Red Web: The Struggle Between Russia's Digital Dictators and The New Online Revolutionaries“. Sie erzählen darin auch von bezahlten Kommentatoren, die gezielt gesellschaftliche Diskussionen im Netz kapern. „Diese Trolle manipulieren Emotionen. Es geht nicht nur darum, irgendeine politische Diskussion zu stören, sondern ganze Narrative zu erzeugen“, sagte Soldatov im WIRED-Interview. Die Masse an Kommentaren reiche aus, um Zweifel zu sähen.

In dieser Unsicherheit baut die russische Regierung ihren digitalen Unterdrückungsapparat aus — und eifere dabei vor allem China nach, wie Soldatov sagt: „Sie hätte am liebsten eine Hotline, mit der sie direkt bei Plattformen wie Twitter und YouTube anrufen kann und sagt: Der und der Inhalt gefällt uns nicht, nehmt das mal offline.“

In China existiert eine solche Hotline zu den entsprechenden Unternehmen bereits. Sie ist geradezu natürlich gewachsen, weil sich die asiatischen Alternativen zu Whatsapp, Facebook und Google mit der Partei arrangiert haben. Die Regierung kann so wesentlich einfacher Druck auf die Anbieter ausüben.

Noch einmal eine andere Erfahrung hat Forscherin Mahsa Alimardani gemacht. Sie beschäftigt sich mit der Überwachung im Iran. Auch dort hat seit der Ablösung des alten Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad die smarte Unterdrückung zugenommen.

Der Staat hier nutze gerne selbst Facebook, Instagram und Co., um regimetreue Meinungen zu verbreiten und Kampagnen gegen politische Aktivisten zu organisieren. Gleichzeitig wird für die User vorausgewählt: „Das häufigste Ziel von Filterversuchen sind Seiten mit aufreizend gekleideten Frauen, nicht etwa Seiten mit offensichtlich politischen Inhalten“, erklärte Alimardani gegenüber WIRED. „Das zuständige Ministerium im Iran behauptet, es habe eine Blockquote von 83 Prozent, aber unsere Ergebnisse zeigen etwas anderes“.

Während Soldatov und Alimardani noch Hoffnung für ihre Länder sehen, weil der Staat technisch noch nicht mithalten könne, fällt Cooks Einschätzung für China deutlich negativer aus. „Die Partei hat junge fähige Leute mit an Board geholt“, erklärt sie. Der auffällige inhaltliche Wechsel zu Gesellschaftsthemen verspreche nichts Gutes für die Zukunft. Zu gut funktioniere das System, zu fest sitzen die Beziehungen zwischen Unternehmen und Staatsführung. 

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