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Mit dem Rennspiel Anki Overdrive geht das Duell Mensch/Maschine in die nächste Runde

von Britta Weddeling
Carrera-Bahn war gestern. Die nächste Generation von Kindern fährt Rennen gegen den Computer. In Amerika wird Anki Drive bereits als Erfolgsstory gefeiert. Jetzt kommt der Nachfolger Anki Overdrive auch nach Deutschland.

Commander Fuzz ist heute schlecht drauf. Das kommt öfter bei ihm vor. Kaum hat das Rennen begonnen, schaltet der maskierte Muskelmann auf Angriff um. Er feuert Blitze ab, gibt Vollgas, drängt seinen Gegenspieler von der Straße. Wieder und wieder geht das so. Hanns Tappeiner wehrt sich nach Kräften, holt hier und da ein paar Punkte, doch am Ende bleibt er chancenlos: Sieg für Fuzz! Hanns Tappeiner lächelt, freut sich. Ganz der stolze Papa. Als Spieler mag er gerade verloren haben; als Entwickler, als Forscher hat er triumphal gewonnen.

Commander Fuzz ist einer von mehreren Rennpiloten, die jeder, der Anki Overdrive kauft, mit dazubekommt: Rivalen aus dem Smartphone, die nur aus Computercode bestehen und dazu da sind, ihren Besitzern aus Fleisch und Blut die Hölle heiß zu machen — damit ein Spiel, das seit Generationen kleine und große Kinder begeistert, eine neue Dimension erhält. Wer mit Anki Rennen fährt, spielt gleichzeitig Carrera-­Bahn und Mario Kart; steuert Autos, die in der Stube über die Rennbahn jagen, lenkt sie aber mithilfe einer Smartphone-App und tritt gegen Gegner an, die genug künstliche Intelligenz besitzen, um mitzulernen: Nach drei Wochen sind sie schwerer zu schlagen als am Tag eins.

Hinzu kommen Shooter-­Game-Elemente, die der Autobahn einen Schuss extra Drama verleihen sollen. Erfolgreiche Attacken bringen Punkte, die das Spielerprofil verbessern und dazu genutzt werden können, neue Funktionen freizuschalten — etwa einen elektromagnetischen Impuls, der Gegnern in unmittelbarer Nähe alle Energie entzieht. „So starten zwei Spieler vielleicht mit ähnlichen Einstellungen in das Spiel“, sagt Tappeiner. „Aber schon nach dem ersten Tag können ihre Autos komplett anders aussehen.“

Das ungewöhnliche Konzept bescherte der Jungfirma aus San Francisco vom Start weg die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Sein Debüt feierte Anki Drive vor zwei Jahren auf der Entwicklerkonferenz von Apple; vor den Augen der Welt durften die Gründer auf der Bühne ein paar Runden mit ihren gewitzten Rennwagen drehen — Applaus, Schlagzeilen und Umsatzrekorde folgten von allein. Im Weihnachts­geschäft 2013 rangierte das Spiel, damals nur in Amerika zu haben, wochenlang auf Platz zwei der Amazon-­Verkaufscharts, übertrumpft nur von einer Disney-Puppe.

Im Konferenzraum der Anki-Zentrale erinnert eine Collage an die glorreichen Anfangstage. Hinter der Glasscheibe eines massiven Bilderrahmens sind zwei Miniautos auf dunklem Grund in ewiger Verfolgungsjagd erstarrt. Ein kleines Schild erklärt: WWDC 2013. Apples Code für die Entwicklerkonferenz. Der Ritterschlag des digitalen Riesen half dem Startup, an Tempo zu gewinnen — doch jetzt müssen Tappeiner und die Anki-Mitgründer Mark Palatucci und Boris Sofman zeigen, dass ihr Erfolg von Dauer ist; dass Autorennen nicht nur Early Adopter begeistern können, sondern auch Kids, die normalerweise von „World Of Warcraft“ träumen. Fast 100 Millionen Euro haben Investoren — darunter Netscape-Erfinder Marc Andreessen — darauf verwettet, dass Anki dieses Kunststück gelingt.

 

Viel wird vom 20. September abhängen. An diesem Tag kommt zeitgleich in den USA, Großbritannien und Deutschland die zweite Version des Rennspiels in den Handel: Anki Overdrive. Die Autos sind schlauer, die Fahrbahn — bisher fest auf einer Matte aufgebracht — lässt sich nun kreativ aus Einzelteilen zusammenstecken. Die Flex-Track-Elemente sind biegsam, das erlaubt Brücken, Steigungen und Luftsprünge, selbst Kehrtwende und Gegenverkehr sind möglich. „Dies ist das Spiel, das wir von Anfang an im Sinn hatten“, erklärt Hanns Tappeiner. „Anki Drive war nur der Anfang.“

Der Präsident der Jungfirma ist 35 Jahre alt, in Frankfurt geboren, und spricht mit selbstbewusstem Akzent Englisch. Als seine größte Herausforderung sieht er es an, „wie ein Normalo zu denken und nicht wie ein Geek“. Gemütlich hockt er sich auf einen Stuhl in seinem Büro und legt die Ellenbogen auf der Tischplatte ab. Der Blick aus der 15. Etage reicht weit über San Franciscos Innenstadt hinaus Richtung Bay ­Bridge und Oakland. Gut zehn Jahre ist es her, dass Tappeiner etwa 3700 Kilometer weiter östlich, an der Carnegie-Mellon-Universität in Pittsburgh, sein Studium der Robotik begann. 

Er spezialisierte sich auf Kontrollsysteme und erforschte gemeinsam mit Palatucci und Sofman die Zukunft autonomer Fahrzeuge. Die Wissenschaftler beschäftigte etwa die Frage, wie ein Rettungswagen, von künstlicher Intelligenz gesteuert, seinen Standort in einem Katastrophengebiet bestimmen kann. Oder wie ein Roboter zwecks Bombenentschärfung am besten den Weg von A nach B berechnet. Der Etat für solche Projekte betrug Millionen; die Rettung der Welt gibt es nicht in klein und günstig.

Bei Anki dagegen darf Technik, die ähnlich Schlaues leisten muss, nur einen Bruchteil kosten. Für 180 Euro bekommen Overdrive-Käufer ein Starter Kit mit zehn Strecken­elementen, zwei Brückenpfeilern und zwei Rennwagen. Wer später mehr will, kann Fahrbahnteile und andere Autos dazukaufen. Die Robocars tragen Namen wie Big Bang und Sonic Beam und haben einen prominenten Schöpfer: Für das futuristische Design der insgesamt sechs neuen, etwa 30 Gramm schweren Modelle engagierte Anki einen echten Holly­woodstar, den Designer Harald Belker. Normalerweise entwirft der in Los Angeles lebende Deutsche die Autos für Superhelden in Blockbustern wie „Batman & Robin“, „Minority Report“ oder „Iron Man“.

Das Rennen beginnt mit einem Countdown: „Drei, zwei, eins … “, zählt eine elektronische Frauenstimme aus dem Smartphone herunter, dann brausen die kleinen Fahrzeuge los über die schwarz glänzende Fahrbahn auf dem Konferenztisch in Ankis Hauptquartier. Spur halten können die Autos automatisch, zum Lenken kippt Hanns Tappeiner sein iPhone nach links und rechts, ein Daumenwischen regelt die Geschwindigkeit. Per Bluetooth funkt die Anki-App dem Wagen zu, wo er langfahren soll und wie schnell. Tausende Testfahrten mag Tappeiner schon hinter sich haben, doch er grinst so beglückt, als dürfte er heute zum ersten Mal Anki Overdrive spielen. Mit leuchtenden Augen folgt er den Manövern der Autos, in seinem Blick die Begeisterung des Erfinders, der noch immer darüber staunen kann, dass alles funktioniert.

Es ist ja auch ein kleines Wunder. Damit die Robo-Rennwagen eigenständig reagieren können, müssen sie zunächst erkennen können, wo sie sind, wie die Strecke aussieht und mit wem sie es um sich herum zu tun haben. Möglich wird das durch eine spezielle Beschichtung der Fahrbahn. Für menschliche Betrachter mag die Oberfläche aussehen wie jede andere Spielzeug-Rennbahn; die Autos dagegen schauen genauer hin: Mithilfe von Sensoren und einer Infrarot­kamera orientieren sie sich an einem Muster, das in einer tiefer liegenden Schicht — für das bloße Auge nicht erkennbar — in die Fahrbahn eingearbeitet ist.

Fünfhundertmal pro Sekunde erfassen die Autos das Geschehen und funken die Daten der App zu, die sie steuert. Die Software auf dem Smartphone wandelt die Informationen in lesbare Strukturen und Prinzipien um. Lenkt der Mensch, muss die App nur dessen Kommandos zurückfunken. Commander Fuzz und die anderen Computerpiloten dagegen verlangen reichlich künstliche Intelligenz (KI). Lediglich 25 Milli­sekunden bleiben der Software zum Analysieren und Reagieren, denn die Autos können mit ihren Kameras nur etwa fünf Zentimeter weit sehen, und bei Vollgas rasen sie mit zwei Metern pro Sekunde durchs Wohnzimmer — ein halsbrecherisches Tempo auf einer Fahrbahn, die nur wenige Zentimeter breit ist.

Das KI-System trifft Hunderte, manchmal Tausende solcher Entscheidungen pro Sekunde

Anki-Miterfinder Hanns Tappeiner

In diesen 25 Millisekunden muss die Software entscheiden: Soll der Wagen auf der Innenspur bleiben, vielleicht versuchen, per Turbo-­Boost zu überholen? Oder lieber nach links ziehen und das Feuer auf den Gegner eröffnen? Oder unvermittelt bremsen, um den Rivalen abzudrängen, der sich gerade von hinten nähert? „Das KI-System trifft Hunderte, manchmal Tausende solcher Entscheidungen pro Sekunde“, erklärt Tappeiner. Der Algorithmus, auf den die Software sich dabei verlässt, stammt aus der Roboterforschung und nennt sich Anytime A*. Er basiert auf dem Prinzip, dass es unter Zeitdruck besser ist, schnell eine halbwegs ordentliche Entscheidung zu treffen, als nach einer perfekten Lösung zu suchen und womöglich zu spät zu reagieren.

Nach jeder Aktion berechnet die Software blitzschnell, wie effektiv der Spielzug war. Bringt er Punkte, passt der Algorithmus sein Verhalten an. Daher auch der Name Anki: Das japanische Wort bedeutet übersetzt so viel wie Auswendiglernen. Je mehr Wissen und Erfahrung die Software sammelt, umso gefährlicher werden die Roboter-Fahrer als Gegner. 

Ob ich gegen die KI spiele oder gegen einen Menschen, ist vom Schwierigkeitsgrad fast dasselbe.

Florian Uhlemann, Pilot und Anki-Drive-Spieler

„Wir lassen Anytime A* komplett auf dem Smartphone laufen“, sagt Tappeiner. Das stellt hohe Anforderungen an die Hardware; mit älteren iPhone- und Android-Modellen kann die App deshalb wenig anfangen. Auch sind bisher nur Rennen möglich, bei denen alle Beteiligten die gleiche Mobilsoftware besitzen: entweder Android oder iOS. Doch wenn es läuft, dann wie versprochen: „Man fühlt sich wie in dieser Mario-Kart-Welt, hat aber auch den Realismus, dass das Auto vor einem durch den Raum fährt“, erzählt Florian Uhlemann, ein 27-jähriger Pilot aus Rossau bei Dresden.

Sobald Anki Drive im Herbst 2013 erhältlich war, ließ er sich das Spiel von seiner Schwester, die in den USA lebt, zuschicken. Besonders beeindruckt haben ihn die Kontrahenten aus dem Computer: „Man merkt, es steckt Intelligenz dahinter“, sagt Uhlemann. „Ob ich gegen die KI spiele oder gegen einen Menschen, ist vom Schwierigkeitsgrad fast dasselbe.“

Das hört Hanns Tappeiner gern. Eine der größten Herausforderungen für die Entwickler war die Unberechenbarkeit der Umstände. Roboter, die im Forschungslabor bravourös alle Aufgaben bewältigen, müssen nicht unbedingt alltagstauglich sein. Ganz anders bei einem Spiel, das Millionen von Haushalten erobern soll. „Da müssen die Robotik und die künstliche Intelligenz verlässlich arbeiten, Tag für Tag wieder. Unter Bedingungen, die wir nicht immer vorhersehen können“, sagt Tappeiner.  

Die geballte Ladung Intelligenz im Zusammenspiel mit einem traditionellen Autorennen hat die Kalifornier zu Vorreitern in einem brandneuen Entertainment-Segment gemacht: Das sogenannte „Mixed-­Reality Gaming“ verknüpft Elemente von Online- und Offline-Welt, um originelle Erlebnisse zu schaffen. Sphero etwa, ein kleiner Plastikball, lässt sich per Smartphone lenken, sein Bruder Ollie erlaubt mit bunten, ferngesteuerten Plastikwalzen sogar Verfolgungsjagden über Stock und Stein. Und in England steht, pünktlich zum Weihnachtsgeschäft, der Anki-Ri­vale Real FX Racing in den Startlöchern — ein Kickstarter-finanziertes Rennspiel mit künstlich intelligenten Roboter-Autos, ganz wie beim Vorbild aus Kalifornien. 

Alle jagen dem Ziel hinter­her, ein Stück vom schnell wachsenden digitalen Spielemarkt zu erobern. Allein das Segment für Mobile Games verspricht im nächsten Jahr gut 26 Milliarden Euro Umsatz weltweit, schätzt der Marktforscher Juniper Research und gibt innovativen Neulingen wie Anki gute Chancen, davon zu profitieren: „Die Mischung aus künstlicher Intelligenz, App-Software und Robotik macht das Gebiet potenziell sehr spannend“, urteilt Juniper-Analyst Windsor Holden. Für Tappeiner besteht ohnehin kein Zweifel, dass die Zukunft Produkten mit IQ gehört: „Robotik und KI werden einen enormen Einfluss auf unser Leben haben, in vielen Bereichen, von Landwirtschaft und Medizin bis Entertainment“, sagt der Anki-Präsident voraus.

Für alle, die weniger schlaue Dinge anbieten, sieht Tappeiner harte Zeiten anbrechen. „Wenn Leute erst einmal Anki Overdrive erlebt haben, wie begeistert werden sie dann noch von einem herkömmlichen Autorennspiel sein?“, fragt er. Das ist rhetorisch gemeint: natürlich gar nicht. „Und diese Reaktion werden wir überall sehen, wo Menschen es mit Produkten zu tun bekommen, die KI und Robotik ernsthaft implementieren. Denn die Vorteile, die der technische Fortschritt ihrem Leben bringt, lassen sich schwer leugnen.“

Joe Duncko ließ sich von Anki Drive gefangen nehmen, als er das Spiel im vorigen Jahr zum Schnäppchenpreis entdeckte. Der Student aus Ohio war beeindruckt davon, „was ich für mein Geld alles bekommen habe“ — von hochwertigen Autos bis zu lang anhaltendem Spielspaß. „Die KI-Fahrer und die Extra-Funktionen halten das Spiel frisch“, lobt Duncko. Wenn nur die Autos nicht so früh schlapp machen würden: Nach spätestens 20 Minuten braucht die Batterie eine Erholungspause an der Ladestation. Auch die Overdrive-Modelle halten nur wenig länger durch. Dennoch wird der 20-Jährige wohl im September zuschlagen, wenn die neue Version herauskommt. „Die Fahrzeuge bleiben ja kompatibel“, erklärt Duncko. „Also ist das ein günstiger Weg, zwei weitere Autos und die neuen Streckenteile zu bekommen.“

Während die Fans warten, sind die Ingenieure in San Francisco noch mit dem Finetuning der Software beschäftigt. Die interne Datenauswertung zeigt, dass die meis­ten Spieler mindestens ein vom Computer gesteuertes Fahrzeug dazuholen, selbst wenn sie mehr als genug menschliche Mitspieler haben. „Den Leuten macht es Spaß, gegen KI anzutreten“, sagt Tappeiner.

„Wenn es das Produkt besser macht, wollen die Menschen künstliche Intelligenz in ihrem Leben haben.“ Sie darf nur nicht zu intelligent werden. Wer im Duell mit den Robocars ständig den Kürzeren zieht, verliert unter Umständen schnell die Lust. „Es passiert gelegentlich, dass man mehr abge­schossen wird, als man will“, erzählt der deutsche Anki-Spieler Florian Uhlemann. „Man hat wirklich zu kämpfen. Ich bin zum Teil daran verzweifelt.“

Den Erfindern ist der schmale Grat bewusst. Eigentlich sind ihre Algorithmen längst so schlau, dass ihr System unschlagbar sein könnte. „Die optimale KI ist so gut und so schnell, dass sie immer gewinnt, auch gegen die besten Spieler, selbst in einem unterlegenen Auto“, sagt Tappeiner. Der stolze Erfinder in ihm kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Aber natürlich, es stimmt schon: „Wir müssen die Balance finden zwischen Technik und Spielspaß“, sagt er. Denn nur wenn Commander Fuzz seinen Zorn im Zaum hält und nicht jedes Match für sich entscheidet, hat Anki selbst eine Chance, am Ende als Sieger gefeiert zu werden. 

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